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Verwirrspiel des Staatssekretärs

In der letzten Arbeitssitzung des Bundestags-Sportausschusses wurde in dieser Woche die Weiterbeschäftigung von Dopingtrainern debattiert. Ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in dem die nachträgliche Überprüfung von Sportfördermitteln gefordert wird, wurde von der Koalition kompromisslos abgeschmettert.

Von Jens Weinreich |
    Sport-Staatssekretär Christoph Bergner (CDU) behauptete im Ausschuss und in Interviews, es gäbe "keine Möglichkeiten", Fördermittel zurückzufordern. Nun aber stellt sich die Frage: Hat Bergner, haben Abgeordnete der Koalition wider besseren Wissens entschieden?

    Der Sportausschuss soll eigentlich ein Kontrollorgan der Regierung sein. In der Leistungssportförderung müssen also vor allem das Bundesministerium des Innern, Minister Wolfgang Schäuble, sein Parlamentarischer Sport-Staatssekretär Christoph Bergner und die in Bonn angesiedelte Abteilung Sport kontrolliert werden. Wie die Abgeordneten ihrer Kontrollpflicht nachkommen, konnten man in den vergangenen Monaten an zahlreichen Beispielen der Dopingbekämpfung beobachten. Trotz etlicher, teils schwer wiegender Verstöße wurden keinem Sportverband Mittel gekürzt oder gar zurückgefordert.

    Am Beispiel der Weiterbeschäftigung von sechs Dopingtrainern im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) stellt sich nun die Frage, ob Staatssekretär Bergner (CDU), ob Sportausschuss-Chef Peter Danckert (SPD) und die Sportsprecher von SPD, Dagmar Freitag, und CDU, Klaus Riegert, wider besseren Wissens entschieden haben.

    Diese drei Abgeordneten zählen zu jenen Mitgliedern des Sportausschusses, die gleichzeitig hohe Ehrenämter im Sport einnehmen und deshalb auch als Interessensvertreter des Sports bezeichnet werden können. Danckert beispielsweise ist Präsident des Pferdesportverbandes Berlin-Brandenburg, Freitag Vizepräsidentin des DLV, Riegert Vize des Schwäbischen Turnerbundes; zu den Sport-Lobbyisten im Bundestag zählen auch der DOSB-Vizepräsident Leistungssport, Eberhard Gienger (CDU), der einst selbst Anabolika eingenommen hat, Martin Gerster (SPD), Präsident des Sportakrobatik-Bundes, und andere.

    Der vielfach in die Kritik geratene Staatssekretär Bergner ist übrigens Präsident des SV Halle und beschäftigt als Hauptgeschäftsführer seines Großvereins den ehemaligen Stasi-Spitzel Klaus-Dieter Malzahn. Der Stasi-IM bereitet in Halle gerade die Fusion mit dem Universitätssportverein vor, dessen Geschäftsführer Thomas Prochnow hat einst in der DDR als Dopingwissenschaftler am berüchtigten FKS promoviert. Dies in Kurzfassung einige weitere personelle Stränge, die zahlreiche Fragen aufwerfen.

    Höchst brisant ist in der aktuellen Diskussion ein Brief, der dem Deutschlandfunk vorliegt, den Staatssekretär Bergner am vergangenen Montag, zwei Tage vor der Sportausschuss-Sitzung, an Peter Danckert geschrieben hat. Demnach hatte der DLV in seinen Verträgen ausdrücklich das Recht auf außerordentliche Kündigung vereinbart. Explosiver aber ist, dass Bergner die zuwendungsrechtliche Situation unmissverständlich anders darstellt als später im Ausschuss, als er behauptete, er sehe rechtlich "keine Möglichkeiten und würde das von der Sache her auch nicht für gerechtfertigt halten", die Zuwendungen zu überprüfen und Steuermittel zurückzufordern.

    Dabei hatte er zwei Tage zuvor an Danckert geschrieben: "In Bezug auf den DLV ist festzustellen, dass auf der Basis der Nebenbestimmungen der gegenwärtigen Bewilligungsbescheide eine Weiterbeschäftigung von Trainern, bei denen ein Verstoß gegen die Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings (...) vorliegt und der DLV nicht die nach den Nebenbestimmungen vorgesehenen Konsequenzen zieht, sanktioniert werden kann."

    Sportpolitisch und zuwendungsrechtlich birgt diese Feststellung enormen Zündstoff. Denn eigentlich müsste die Vergabe der Sportfördermittel überprüft werden, müsste der Verband wegen fortgesetzter Verstöße über einen Zeitraum von fast 20 Jahren sanktioniert werden. Das Parlament wäre in der Pflicht, eine solche Überprüfung anzuordnen. Doch der Antrag wurde abgelehnt.

    Als der Deutschlandfunk den 16 Abgeordneten Anfang Mai 20 Fragen zur problematischen Beschäftigung von Dopern mit Steuermitteln vorlegte, antwortete nur ein Abgeordneter ausführlich und ging auf alle Fragen ein - der Grünen-Sportsprecher Winfried Hermann. Riegert, Freitag und Detlef Parr (FDP) schickten lediglich Pamphlete, ohne auf Details einzugehen.

    Einige Beispiele für Fragen, die nicht beantwortet wurden:

    Ist die vom BMI, dem DOSB und dem DLV gewählte Form der Vergangenheitsbewältigung, die Dopingopfer als "Entschuldungspauschale für Sportkriminelle" bezeichnen, für die Abgeordneten akzeptabel?

    Wann gedenken die Abgeordneten, Ihrer verfassungsgemäßen Rolle als Kontrollinstanz nachzukommen und die rückwirkende Überprüfung von Zuwendungsbescheiden an Sportverbände zu verlangen? Zumal ja mit den vorliegenden Trainererklärungen, und anderen Beispielen, längst Beweise erbracht sind, dass seit 1991 Bundesmittel zweckentfremdet wurden.

    Und schließlich:

    Steht es in der Macht des Innenministers und seiner Sportabteilung, sich selbst von der Kontrollpflicht zu befreien und dauerhafte Verstöße über beinahe 20 Jahre zu bereinigen?

    Die Antwort auf die letzte Frage muss nach den jüngsten Vorkommnissen heißen: Ja. In Deutschland, zumindest im Sportausschuss, bestimmt die Exekutive über die Legislative - oder kungelt zumindest Lösungen aus. Klaus Zöllig, Vorsitzender des Dopingopferhilfevereins, hat sich deshalb im April an den Petitionsausschuss des Bundestages gewandt.