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Verwirrspiel um Snowden

Wieder blickte die Welt auf ihn, wieder hat sie ihn nicht gesehen: Edward Snowden hat den Moskauer Flughafen nicht wie von Medien angekündigt verlassen. Stattdessen verkündete sein Anwalt Anatolij Kutscherena, Snowden stelle sich auf einen langen Aufenthalt in Russland ein.

Von Gesine Dornblüth |
    Erneut großer Auflauf am Moskauer Flughafen Scheremetjewo. Dutzende Fernsehteams waren am Nachmittag angereist, um Edward Snowden in Empfang zu nehmen. Auch ein Reporter des staatlichen russischen Senders Rossija 24.

    "Der einzige Ausgang aus dem Transitbereich, die Tür, durch die Anatolij Kutscherena verschwunden ist und aus der er mit Snowden wieder herauskommen soll, ist eng von Fernsehkameras umstellt. Wenn sie nicht durch einen Hinterausgang verschwinden, kommen sie an den Journalisten nicht vorbei."

    "Danke, Alexander. Also warten wir, dass Edward Snowden sich zeigt."

    Das Warten war vergebens. Nach einer guten Stunde kam der Anwalt Kutscherena allein wieder heraus. Wegen Überlastung brachen die Leitungen zusammen.

    Den ganzen Tag über hatten russische Agenturen unter Berufung auf anonyme Quellen am Flughafen berichtet, der Anwalt Kutscherena werde Edward Snowden ein Papier überbringen, das ihn zum Verlassen des Transitbereichs berechtige, mithin zur Einreise nach Russland. Es hieß sogar, Snowden habe schon seine Tasche gepackt. Nichts als heiße Luft. Anwalt Kutscherena:

    "Das Papier ist noch nicht ausgehändigt. Ich spreche deshalb fast täglich mit der Migrationsbehörde. Sie arbeiten daran. So einen Fall haben wir in Russland das erste Mal. Er erfordert Zeit. Sobald das Papier fertig ist, werde ich Edward Snowden informieren."

    Wohl gemerkt: Es ging nicht um die Bewilligung von Snowdens Antrag auf einen befristeten Aufenthalt, sondern lediglich um die Bestätigung, dass dieser Antrag formal angenommen ist und bearbeitet wird. Schon sie berechtigt zur Einreise nach Russland. Das Papier zu erstellen ist Routine, wie Svetlana Gannuschkina, Expertin für Flüchtlingsfragen, bemerkt.

    Warum aber dann überhaupt der Besuch am Flughafen? Er habe Snowden frische Hemden gebracht, berichtete Kutscherena. Ein paar T-Shirts, eine Jeans und Bücher.

    "Ich habe ihm Dostojewskij gekauft: 'Verbrechen und Strafe', weil ich denke, dass er über Raskolnikow, der die alte Pfandleiherin erschlägt, lesen muss. Ich will nicht sagen, dass die beiden sich in ihren inneren Widersprüchen ähneln, aber trotzdem... Das ist ein Klassiker der Weltliteratur, das wird ihn interessieren. Und zum Nachtisch habe ich ihm Tschechow gekauft, das ist mein Lieblingsschriftsteller."

    Anwalt Kutscherena ist ein Putin-Mann. Bei der Präsidentenwahl trat er als dessen Vertrauensperson auf. Nach den Worten Kutscherenas stellt sich Snowden auf einen langen Aufenthalt in Russland ein.

    "Er will die russische Kultur kennenlernen. Er hat heute schon einige Worte Russisch gesprochen: 'Hallo', 'tschüs' und 'Ich ruf dich an'."

    Dann fuhr Kutscherena ab. Viele Reporter blieben - in der Hoffnung, Snowden könne sich doch noch zeigen und etwas Wissenswertes erzählen. Wenn man seinem Anwalt glaubt, wird er das nicht tun. Kutscherena sagte, Snowden wolle aus Sicherheitsgründen keine Interviews geben. Erneut stellt sich die Frage, wie frei Snowden zum heutigen Zeitpunkt tatsächlich ist.