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Verzicht aufs Kino

Nach "Die Wanderhure" ist nun auch der Bestseller "Die Säulen der Erde" im Fernsehen zu sehen. Läuft das so genannte Event-TV den Lichtspielhäusern den Rang ab?

Von Josef Schnelle |
    "Eine Kathedrale ist Gottes Vorzimmer."

    Es hat sich etwas verändert in der Beziehung zwischen Kino und Fernsehfilmen. Zuletzt haben die durchaus kinotauglichen Lang-Filme "Carlos" von Olivier Assayas und "Im Angesicht des Verbrechens" von Dominik Graf künstlerisch eindrucksvoll demonstriert, dass die große Filmform nicht mehr allein für das Kino reserviert ist. Nun tummelt sich das Fernsehen auch im Bereich der Trivialmythen und bei denen handelt es sich im Augenblick nach dem exorbitanten Erfolg von "Die Wanderhure" mit fast zehn Millionen Zuschauern vor allem um Geschichten aus dem Mittelalter mit klassenübergreifendem Sex, bösen kirchlichen Intrigen und blutigen Schwertkämpfen. Folletts Geschichte kreist um den Bau einer Kathedrale im England des 12. Jahrhunderts. Die Herrschaft ist noch nicht entschieden zwischen Adel und Klerus als König Heinrich I. stirbt ohne einen männlichen Nachkommen zu hinterlassen. Ein Erbfolgekrieg ist unvermeidlich.

    "Ergebt euch Verräter."

    Inmitten dieser politischen Verschwörungen betritt der Ordensmann Phillip die heruntergekommene Priorei Kingsbridge. Er ist in einer kleinen Außenstelle des Klosters im Wald aufgewachsen, wo er von den Intrigen der Zeit bislang verschont geblieben ist. Ein aus der väterlichen Burg vertriebenes Geschwisterpaar, eine Familie von Steinmetzen und eine junge Frau, deren Heilungskünste Hexenkräfte zugeschrieben werden vervollständigen das Personal der 400-minütigen Serie, deren Handlung die Ereignisse in der Politik und im Leben dieser Figuren in rund 50 Jahren umspannt. So werden Geschichten vom Aufstieg und vom Fall der guten wie der bösen zu einem erzählerischen Bouquet verknüpft. Phillip der zunächst nur so schnell wie möglich wieder zurück will in seine Mönchszelle im Wald muss bald eine wichtige Entscheidung treffen

    "Wie können wir den so verschuldet sein. Die Priorei besitzt mehr Land denn je." - "Und dazu säumige Pächter, faule Mönche, schlechte Finanzen und eine baufällige Kirche, die keine Pilger mehr anzieht. Die Menschen kommen um von der Ehrfurcht vor Gott ergriffen zu werden. Bruder Remigius ist das völlig gleichgültig." - "Weshalb ihn dann zum Pior wählen?" - "Wer sollte gegen ihn antreten."

    Weil er beliebt ist und für einen neuen Stil steht wird Phillip tatsächlich der nächste Prior. Er lernt den Baumeister Tom Builder kennen, der ihm eine Kathedrale errichten wird. Um dieses Großprojekt, dessen Finanzierung, dessen Fortschritte und Rückschläge entfaltet sich das Intrigengeschehen von Königen, Rittern und Bischöfen in dieser britischen frühgotischen Welt. Historienschinken wie dieser haben ihre eigenen Gesetze, weswegen Regisseur Sergio Mimica-Gezzan aus dem mehr als 1000 Seiten langen Roman nur wenige wichtige Handlungsstränge und spektakuläre Szenen erhalten konnte. Das filmische Ergebnis ist dennoch beeindruckend und dürfte Freunde des Genres durchaus entzücken. Natürlich konnte die Kathedrale nur mit digitalen Effekten vollendet werden. Ein bisschen musste auch gespart werden. Und so wirkt manche Schlacht wie eine Wirtshausschlägerei, was möglicherweise realistischer ist als manche filmische Überhöhung. Natürlich hält sich der Film an den Kolportagecharakter der Vorlage, ist aber unter dem Strich auch nicht schlechter als etwa die aufwändige Verfilmung der "Päpstin" von Sönke Worthmann, die 2009 die Standards für das Historienkino zu definieren schien. In den USA und in Großbritannien hat die Miniserie schon ein Millionenpublikum und die Münchner Produktionsfirma, die hinter dem Projekt steckt, geht so sicher von einem Erfolg auch in Deutschland aus, dass sie sich kürzlich die Rechte an Folletts Nachfolgeroman "Die Tore der Welt" gesichert hat. Das Eventfernsehen scheint sich zu einer echten Konkurrenz für das Kino zu entwickeln. Eine Filmszene scheint das vorwegzunehmen.

    "Und das ist?" - "Das ist Jack. Er spricht nicht viel. Aber sieh Mal. Er hat ein Bildnis von mir gemacht." - "Das ist beeindruckend. Dein Bruder ist talentiert." - Er ist nicht mein Bruder. Jack ist ein Bastard." - "Ein sehr talentierter Bastard."