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Verzögerte Fusion

Energietechnik. - Verzögerung beim internationalen Fusionsexperiment Iter: Der Rat des Projektes beschloss, dass sich der Beginn der eigentlichen Fusionsexperimente auf 2026 verschiebt. Der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen berichtet im Gespräch mit Ralf Krauter.

18.06.2009
    Krauter: Herr Grotelüschen, wie weit hinkt man dem Zeitplan jetzt hinterher?

    Grotelüschen: Also heute hat der Iter-Rat, das ist das wichtige Gremium, das alle wichtigen Entscheidungen trifft, in Japan getagt und letztlich die Weichen gestellt, dass der Reaktor erst 2026 seinen vollen Betrieb aufnehmen wird, das sind sechs Jahre später als geplant. Im Detail sieht das so aus: Bis 2018 soll erst einmal nur ein Grundgerüst fertig sein, und mit dieser Grundversion kann man vereinfacht gesagt nur gewöhnliches Wasserstoffgas auf 100 Millionen Grad erhitzen und bestimmte Komponenten damit erst einmal testen. Aber eine Fusion dann wirklich zu zünden, was ja eigentlich der Sinn und Zweck ist von Iter, das wird man erst acht Jahre später hinkriegen, dann erst wird man die Anlage auf den Betrieb mit Deuterium und Tritium umrüsten, und das ist die Voraussetzung für die Kernfusion.

    Krauter: Welche Gründe führen die Experten denn jetzt für die Verschiebung ins Feld?

    Grotelüschen: Ganz einfach, die Kosten sind explodiert. Als man 2005, also vor vier Jahren das Projekt beschlossen hatte, da war man von etwa fünf Milliarden Euro Investitionskosten ausgegangen. Aber in den letzten beiden Jahren wurde immer klarer, das reicht einfach nicht. Denn Iter wird aufwändiger und teurer, vermutlich gleich doppelt so teuer, das steht noch gar nicht fest. Um das jetzt ein wenig aufzufangen, will der Iter-Rat jetzt das Projekt strecken, damit man diese beträchtlichen Mehrkosten auf mehrere Jahre verteilen kann, dann tut das den Partnern, die hinter Iter stehen, nicht ganz so weh. Das ist also vor allem die EU, die etwa zur Hälfte für Iter geradesteht, der Reaktor soll in Frankreich stehen, und die andere Hälfte tragen Japan, Südkorea, Russland, Indien, China und die USA.

    Krauter: Klingt so, als wäre dieses Forschungsprojekt ein bisschen ein Fass ohne Boden, finanziell gesehen. Wie kommt denn diese Kostenexplosion zustande?

    Grotelüschen: Ja, das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen sind die Rohstoff- und Energiepreise in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und bei Iter geht es ja auch wirklich um Tausende Tonnen von speziellen Stahllegierungen zum Beispiel, die dort verbaut werden sollen. Das haut natürlich ins Kontor. Dann gab es vor einiger Zeit auch eine unerwartete Entdeckung in der Plasmaphysik, oder besser gesagt böse Überraschung. In dem Reaktor, in Iter soll der Wasserstoff auf 100 Millionen Grad erhitzt und in einen Magnetkäfig dann eingesperrt werden. Man hatte entdeckt, dass dieses heiße Plasma so in der Nähe dieser Magnetwand unerwartete, sagen wir mal, nervöse Zuckungen zeigen dürfte. Und um diese Zuckungen in Zaum zu halten, müssen die Physiker jetzt zusätzliche Magnetspulen einbauen in das Gerät, und das kostet natürlich. Und drittens: Die ganze Struktur des Iter-Projekts ist ziemlich unübersichtlich und lässt sich schwer managen. Es gibt also nicht etwa eine Zentrale, wo sämtliche Fäden zusammenlaufen, sondern jeder dieser Partner, die ich vorhin genannt habe, will relativ autonom zum Projekt beitragen und einzelne Komponenten liefern, um seine heimischen Forscher und seine heimische Industrie zu beschäftigen. Da wird also zum Teil doppelt und wenig effektiv gearbeitet, und das macht die Sache teurer als geplant.

    Krauter: Eine Melange also aus technischen und organisatorischen Gründen. Welche Folgen hat das Ganze denn jetzt für die Fusionsforscher? Laufen die Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit und ihren Kredit zu verspielen?

    Grotelüschen: Ich denke schon, das ist Öl auf den Mühlen der Kritiker, die schon lange sagen, das ist viel zu aufwändig, zu teuer, zu ungewiss, man soll das Geld lieber in andere Projekte stecken. Und vor Jahren hieß es ja auch noch, dieses Gerät, dieser Iter wird ein Erfolg, wir wissen genau, wie man so etwas zu bauen hat. Und jetzt sieht man: Ganz so einfach ist das nicht, daran leidet natürlich die Glaubwürdigkeit. Und es werden auch andere Forscher Auftrieb erhalten, die mit anderen Mitteln die Kernfusion schaffen wollen, und zwar mit Lasern, mit großen Lasern. Die werden jetzt auch sagen, gebt uns mehr Geld, damit wir arbeiten können. Aber man wird so schnell die Finger nicht davon lassen, denn die Kernfusion ist, wenn sie denn klappt, einfach zu aussichtsreich, um es nicht zu versuchen. Die Rohstoffe sind weitgehend unerschöpflich, es ist klimaschonend, es gibt keinen langlebigen Atommüll. Aber klar ist: Iter ist die Nagelprobe, wenn das fehlschlägt, ist zumindest diese thermonukleare Fusion am Ende.