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Verzweiflung pur

Seit Sonntagabend ist der Medea-Kanon um ein Werk reicher: In Wien fand die Uraufführung von Aribert Reimanns neuer Oper statt und wurde ein großer Erfolg - das Orchster war gut aufgelegt und die Sänger boten Glanzleistungen.

Von Jörn Florian Fuchs | 01.03.2010
    Seit beinahe 20 Jahren leitet Ion Holender die Wiener Staatsoper und unter seiner Ägide wurde das Haus am Ring wahrlich nicht zu einem Tempel zeitgenössischer Opernliteratur. Im letzten Jahr seiner Amtszeit jedoch gelang dem immer etwas grantelnden Impressario ein großer Wurf.

    Mit Aribert Reimanns "Medea"-Vertonung, nach der Vorlage von Grillparzer, veredelt die Staatsoper nun ihren Spielplan, denn das Werk ist ebenso anspruchsvoll wie publikumswirksam. Im Gegensatz zu anderen Medea-Varianten gestattet Grillparzer seiner Titelheldin nach der Mordtat immerhin einen Funken Hoffnung, sie wird das Goldene Vlies zurückbringen und erwartet das Ende ihrer Albtraumnacht.

    Bis es in der Partitur jedoch zu einigen verwunschenen, verwachsenen Sphärenklängen kommt, durchleiden die Protagonisten 110 vorwiegend atemlos dahineilende Minuten, Reimann verwendet zwar seine altbekannten verwinkelten aber dennoch organischen Bögen, raut diese jedoch durch eine Vielzahl von Schlagzeugbomben und aggressive Blechinterventionen gehörig auf. Hinzu kommen vorsichtig eingesetzte Leitmotive, die über bloßes akustisches Bebildern hinausgehen und immer wieder direkt ins Innere der jeweils handelnden Personen verweisen. Bei den Gesangslinien erweist sich Reimann wieder einmal als der Vokalkomponist unserer Tage, Transparenz und Klarheit stehen im Zentrum, nie überlagern die bisweilen mechanischen Tuttikaskaden die menschliche Stimme.

    Das Orchester der Wiener Staatsoper unter Michael Boder machte seine Sache vorzüglich, Marlis Petersen sang die Titelpartie hinreißend, mühelos, ungemein facettenreich, Adrian Eröd gab einen dynamisch-frischen Jason, Michael Roider den Kreon mit würdiger Wärme. Auch Michaela Selinger als Kreusa, Elisabeth Kulman als Gora sowie der junge Countertenor Max Emanuel Cencic als Herold boten Glanzleistungen.

    Etwas von der Kraft der Musik, des Textes und des Ensembles hätte man sich indes auch von der Inszenierung Marco Arturo Marellis gewünscht. Zwar schafft Marelli, der hier wie fast immer auch als sein eigener Bühnenbildner und Lichtdesigner wirkte, einige kraftvolle Momente, im Ganzen aber fehlt es vor allem bei der Personenführung an handwerklichem Geschick. Viel Stehen und Sitzen an der Rampe ist da zu erleben und wo große Gefühle überwältigen sollen, da ergeht sich Marelli in absurden Gags.

    So spielen Medeas Kinder gern Tennis, die Damen erlauben sich öfters ein Späßchen oder turnen durch die Gegend, eine blechgepanzerte Soldateska steht dumm in der Landschaft herum und Medeas Kleidungsstil ist auch sehr gewöhnungsbedürftig: mit ihrem roten Haute-Couture-Kleid, in das sorgfältige Fransen geschnitten wurden, wirkt sie eher wie ein Paradiesvogel denn wie die blutige Rächerin und Mörderin ihrer Kinder. Dabei würde der Bühnenraum eigentlich recht gut funktionieren, der Boden ist bedeckt von Lava und Gestein und gegen Ende vermittelt ein Erdrutsch das tragische Geschehen recht eindrücklich. Immerhin muss man Marelli zugute halten, dass er das Stück nicht mit irgendeinem Konzept überfrachtet, stattdessen gibt es eben – irgendwie – gar kein Konzept.

    Das Publikum feierte diese Uraufführung mit stehenden Ovationen, Aribert Reimann erhielt ein paar Minibuhs, was sicher auch seine Richtigkeit hat. Denn wenn man in Wien bei einer Uraufführung keine Buhs bekommt, dann hat man – irgendwie – auch was falsch gemacht.