Archiv

"Videokills"
Auseinandersetzung mit dem Erlebnis Stadt

"Videokills" nennt die Musikerin JJ Weihl die von ihr veranstalteten Abende. Experimentalfilme werden auf Leinwand projiziert und live vertont. Da kann ein Wäscheständer schon mal zum Instrument werden. Zu erleben waren diese "Invisible City Symphonies", unsichtbaren Großstadtsymphonien, jetzt in München.

Von Andi Hörmann |
    Der Kurfürstendamm bei Nacht.
    Bei "Videokills" folgt der Ton dem Bild - in Umkehrung des Videoclips. (Willi Gutberlet / dpa)
    Sonntagabend, zur besten Tatort-Zeit. Der alternative Keller-Club Milla im schicken Münchner Glockenbachviertel. Backstage fällt eine schwere, graue Brandschutztür ins Schloss: Im Heizungsraum hat Konrad Sziedat sein selbstgebautes Instrument abgestellt:
    "Das ist der Wäscheständer, handelsüblich, für zehn Euro aus dem Baumarkt. Der ist ein bisschen präpariert: Ich hab hier ein Kuchenblech angehängt und ein Nudelsieb drauf gespannt. Dann gibt es noch einen Geschirrtrockner, der auf einem Tisch steht."
    Mit Schneebesen, Kochlöffel und Schlagklöppel bearbeitet Konrad Sziedat seinen Wäscheständer, als Headliner - auf der Bühne also erst als letzter, als Highlight des Abends. Vor ihm vertonen noch fünf andere Musikformationen kleine Filme - projiziert mit einem Video-Beamer auf den mit einem weißen Tuch abgehängten Hintergrund.
    JJ Weihl: "Du kannst das überall machen, weil es keine Sprache gibt - nur Musik und Filme. Du kannst das in China machen oder in New York, alle Leute verstehen Musik und Bilder."
    JJ Weihl hat in New York Film studiert und lebt als Musikerin in Berlin. Mit den Songs ihrer Dream-Pop-Band Fenster weckt sie verblasste Bilder über verhauchte Töne - gerne mal mit Anklängen an französischer Soft-Porno-Romantik:
    Mit ihrem Projekt "Videokills" vereint JJ Weihl die Idee der analogen Stummfilme in alter Chaplin-Manier mit den Farbexplosionen digitaler Visuals der Club-Kultur. Als "Invisible City Symphonies" - unerkannte Großstadtsymphonien - beschreibt sie ihr Konzept. Eine Anlehnung an den experimentellen Dokumentarfilm "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" von Walther Ruttmann aus dem Jahr 1927 und die Prosagedichte "Die unsichtbaren Städte" von Italo Calvino.
    JJ Weihl: "Ich starte einen Aufruf: Schickt mal Videos. Das versuche ich auf verschiedene Social Networks. Dann bekomme ich ganz viele Videos, die kucke ich an. Dann höre ich die Samples der Musiker an und stelle mir vor: Wer passt zu wem, was ist eine interessante Kombination? Dann schicke ich ein Video an jeden Musiker."
    Der Ton folgt dem Bild
    Die Umkehrung des Musikclips: Der Ton folgt dem Bild. Das Video kommt aus einer Internet-Community, die Musiker aus der Stadt in der JJ Weihl "Videokills" veranstaltet. Nach New York, London, Barcelona und Berlin nun also eine Kooperation mit dem Filmfest München. Benedikt Sepp und seine Rock-Formation This Is Not Metal verpacken den achtminütigen Schwarz-Weiß-Film der Regiestudentin Susanne Steinmassl in einen epischen Sound-Teppich.
    Benedikt Sepp: "Wir haben uns schon Mühe gegeben, dem ganzen einen gewissen Spannungsbogen zu geben: Der Teil erfordert jetzt eine ganz andere Herangehensweise als das Wilde davor. Aber man lässt sich einfach davon leiten, was man sieht und dabei fühlt."
    Benedikt Sepp: "Es sind Aufnahmen von Häusersprengungen, die aber rückwärts gefilmt werden. Das heißt: Die Häuser stehen aus Ruinen auf."
    Mit Laptop und Mikrofon schickt Ella Zwietnig vom Duo UMA ihre Stimme durch eine Loop-Station und vertont eine entspannte Kamerafahrt: Innenstadt, Passanten, eingefroren in ihren Bewegungen wie bei einem Flashmop.
    Ella Zwietnig: "In dem Film gehen Leute tatsächlich ausschließlich. Schwarzweiß. Die laufen in zwei verschiedene Richtungen. Deswegen passt das perfekt zu meiner Musik, weil ich auch immer mit Sound-Schleifen arbeite."
    Kurze Umbaupause: Und nun, als krönender Abschluss, baut Konrad Sziedat seinen Wäscheständer vor der Leinwand auf. Gemeinsam mit der Filmmusikerin Verena Marisa Schmidt am Theremin untermalt er Medienkunst von André Uhl.
    Konrad Sziedat: "Das ist ein relativ abstrakter Film, der eigentlich nur mit Bildpunkten arbeitet, die sich bewegen. Das geht so über viereinhalb Minuten und hat verschiedene Transformationen, aber ist relativ fließend."
    Eine Art Kamerafahrt durch eine Matrix aus weißen Punkten vor schwarzem Hintergrund weckt Assoziationen an Sternbilder und Universum. Der Wäscheständer liefert die Klänge für diese abstrakten Bilderwelten - und es funktioniert fantastisch, mit größtmöglicher Fallhöhe.
    Konrad Sziedat: "Der Wäscheständer hat auch, wenn er auf einem Resonanzkörper steht, plötzlich ein ganz tiefes Grummeln und Rauschen. Ich dachte sofort: Dieser Klang ist ja so spacig von diesem Wäscheständer, das passt zu diesem Video unglaublich gut."
    Auf der abgedunkelten Bühne hantieren die beiden Musiker sogar noch mit Taschenlampen an ihren Instrumenten, dem Theremin und dem Wäscheständer. Sie vertonen nicht nur, sondern holen auch die weißen Bildpunkte aus dem Video mit auf die Bühne, sozusagen Expanded Cinema - das Kinoerlebnis von der Leinwand in der Realität, vor den Augen des Publikums.