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Videokunst
Spiritualität in Slow Motion

Eine Retrospektive des amerikanischen Videokünstlers Bill Viola ist im Pariser Grand Palais zu sehen. In fast allen seinen Installationen arbeitet er mit einer extrem verlangsamten Zeitlupe. Das erinnert nicht von ungefähr an die Werke Alter Meister und zwingt den Zuschauer, genau hinzusehen.

Von Kathrin Hondl | 09.03.2014
    Der amerikanische Videokünstler Bill Viola gestikuliert mit der linken Hand.
    Der amerikanische Videokünstler Bill Viola auf einer Pressekonferenz am 3. März 2014. (picture alliance / dpa)
    Keine Audioguides, keine Erklärtexte an den Wänden – Bill Violas Ausstellung im Grand Palais verfolgt keinerlei didaktische Absichten. Die Besucher sollen vielmehr eintauchen in Violas Welt und Werk, wo sich alles um drei große Fragen dreht: Wer bin ich? Wo bin ich? Und: Wohin gehe ich?
    "Ich stelle mir das Menschsein gerne als eine ständige Reise vor. Dabei gibt es zwei 'Lagerstätten!: Einerseits das ungeborene Leben, das immer weiter geht und andererseits die Toten, die immer mehr werden - bis in alle Ewigkeit. Wir dagegen sind vergänglich, hier und jetzt, in diesem Augenblick. Das bedeutet: Zeiterfahrung. Wir müssen mit der Zeit klar kommen!"
    Da ist zum Beispiel eine Arbeit aus dem Jahr 1996: "Nine attempts to achieve immortality" – "Neun Versuche, Unsterblichkeit zu erlangen". Das Gesicht von Bill Viola selbst ist da in Großaufnahme auf einem Schwarz-Weiss-Video zu sehen. Immer wieder hält er die Luft an, so lange wie möglich …
    Ausatmen, einatmen. Die Versuche des Mannes, den Tod zu überwinden, scheitern. Um die Endlichkeit des menschlichen Lebens geht es auch in einer neuen Installation aus dem vergangenen Jahr: Wie überall in der Ausstellung ist es dunkel. An der Wand lehnen nebeneinander zwei schwarze Granitplatten. In auf den Stein projizierten Videos tauchen ein Mann und eine Frau auf, beide sind alt und nackt. Mit Taschenlampen leuchten sie ihre Körper ab. Dann verschwinden sie wieder in dem Granit, aus dem sie aufgetaucht sind. Dass Bill Viola hier mit Stein arbeitet ist neu. Sonst ist meistens Wasser das Element, das die Hauptrolle spielt. Schon in der frühen Videoarbeit "Reflecting Pool", mit der die Pariser Ausstellung beginnt, ist Wasser das zentrale Motiv. Und die Ausstellung endet auch im Wasser: Die Installation "The Dreamers" - "Die Träumer" zeigt auf sieben großen Plasmabildschirmen Männer, Frauen und ein Kind unter Wasser - mit geschlossenen Augen und friedlich entspannten Gesichtszügen, als seien sie ganz in ihrem Element. Bill Violas Vorliebe für Wasser als Metapher tiefer Träume, der Geburt und Verwandlung, des Lebens schlechthin hat auch einen biografischen Hintergrund. Mit sechs Jahren, erzählt er, sei er einmal fast in einem Badesee ertrunken.
    Spirituell aufgeladene Bilder
    "Ich sprang in den See und ging unter, bis auf den Grund. Dort öffnete ich die Augen und sah Fische, Pflanzen und überall blaues Licht. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Es war wie im Paradies. Ich saß da unten, bis mich mein Onkel aus dem Wasser fischte und mein Leben rettete. "
    In dem Video "Ascension" ist es ein erwachsener Mann, der plötzlich in die Stille einer Unterwasserwelt ein- und abtaucht, langsamer wird, wieder auftaucht, um ein zweites Mal unterzugehen und schließlich im dunklen tiefen Wasser zu verschwinden. Manchen Kritikern sind diese aufwendig produzierten und spirituell aufgeladenen Videobilder zu simpel, zu pathetisch. Doch Bill Viola nimmt ganz bewusst eine Gegenposition ein zur Flut der schnellen Bilder in Medien und Gegenwartskunst.
    "Informationen sind zu einer Art Umweltverschmutzung geworden. Das beschädigt unseren Blick auf die Welt. Wir werden von sinnlosen Informationen überflutet. Deshalb ist Kunst heute so wertvoll und notwendig."
    Fast alle Videos von Bill Viola sind in Zeitlupe - so entstehen extrem verlangsamte Bilder, die nicht von ungefähr an die Gemälde alter Meister erinnern. Mit der monumentalen Installation "Going forth by day", die zum ersten Mal 2002 in Berlin zu sehen war, bezieht sich Bill Viola auf Giottos berühmte Fresken in der Basilika von Assisi. Ein Gemälde des niederländischen Renaissance-Malers Hieronymus Bosch war das Vorbild für ein Slow Motion-Video, wo sich auf den Gesichtern von fünf Menschen selbst kleinste Spuren emotionaler Regungen beobachten lassen. Bill Viola - das wird in der dichten, emotionsgeladenen und schönen Pariser Ausstellung einmal mehr deutlich - zwingt uns, genau hinzuschauen. Besser noch: er zwingt uns nicht, sondern er schenkt uns die rare Gelegenheit, Zeit - unsere begrenzte Lebenszeit - zu sehen und zu spüren.