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Videospiel
Das gemalte Kind des Lichts

Während sich Fantasy-Blockbuster bei Videospielern größter Beliebtheit erfreuen, kommt das Märchen häufig zu kurz. Nun widmet sich Ubisoft, einer der weltweit größten Spieleentwickler, dem stiefmütterlich behandelten Genre mit dem kleinen, aber feinen Rollenspiel "Child of Light".

Von Kai Löffler | 01.05.2014
    Messebesucher stehen 2011 in Köln auf der Gamescom an Computertastaturen.
    Mit kleinen Spielen den Massengeschmack treffen? Ubisoft wagt mit "Child of Light" einen Versuch. (Oliver Berg dpa/lnw)
    "Child, tuck yourself in bed,
    And let me tell a story.
    Of Lemuria, a long lost kingdom
    And a girl, born for glory."
    Wenn eine sanfte Stimme und eine Reihe bunter Glasfenster von einem prächtigen Schloss und einem fernen Königreich erzählen, dann denkt man sofort an Walt Disneys "Die Schöne und das Biest". Hier allerdings stirbt die Heldin bereits am Anfang der Geschichte - und wird dann in einem verwunschenen Wald wiedergeboren.
    Das ist der Beginn einer langen Reise durch ein Land voll Magie, Monster und sprechender Mäuse in einem neuen Spiel des französischen Studios Ubisoft. "Child of Light" erzählt seine märchenhafte, interaktive Geschichte in Form eines Rollenspiels. Ein Spielgenre, das einen ganz besonderen Reiz ausübt, sagt Björn Bartholdy vom Cologne Game Lab.
    "Ich werde eine andere Person, ich schlüpfe in ein Leben, in eine Welt, in der eine von einem Autor erdachte Figur lebt und kann ein Zauberer sein, ich kann ein Ork oder irgendein Monster sein - ich glaube, das ist die Hauptattraktion, die von diesen Spielen ausgeht."
    In "Child of Light" schlüpft der Spieler in die Rolle von Aurora, einer jungen Prinzessin mit reinem Herz und wehenden roten Haaren. Sie macht sich auf die Suche nach Sonne, Mond und Sternen, um Licht in das Reich Lemuria zurückzubringen. Bevor es soweit ist muss sie allerdings eine Reihe von Rätseln lösen, Gegenstände ausfindig machen und Lemurias Wälder, Ruinen und Höhlen von Monstern befreien. Die gut platzierten Puzzle-Elemente fügen sich organisch ein und sind nur selten langatmig oder frustrierend. Beim Rätseln und Kämpfen stehen Aurora außerdem eine Reihe von Gefährten zur Seite – sowie ein sprechendes Glühwürmchen namens Igniculus.
    Großzügig geborgte Mythen
    Über den fiktiven Kontinent "Lemuria" haben schon Mitte des 19. Jahrhunderts Zoologen spekuliert, bevor "Conan"-Autor Robert E. Howard und H.P. Lovecraft Geschichten über das angeblich versunkene Land geschrieben haben. Überhaupt bedient sich "Child of Light" großzügig bei Mythen aus aller Welt – von den griechischen Sagen bis hin zu den Gebrüdern Grimm. Die modernen Fantasy-Klischees, die das Rollenspielgenre sonst dominieren, sucht man dagegen vergeblich.
    "Das ist im Prinzip 'ne Geschichte, die auch Erwachsene anspricht, und da glaube ich, entsteht auch gerade eine neue Spielerschaft, die nach alternativen Erzählmodellen, nach alternativen Visualitäten und nach neuen Geschichten auch sucht."
    Diese Visualität ist vor allem dem Einfluss des schwedischen Jugendstil-Illustrators John Bauer geschuldet, der um die Jahrhundertwende mit seinen Trollen, leuchtenden Feen und dunklen Wäldern die westliche Vorstellung von Märchenwelten stark geprägt hat. In "Child of Light", mitgestaltet von Künstlern des kanadischen "Cirque du Soleil", hat man weniger das Gefühl, sich durch eine Welt aus Pixeln zu bewegen, als vielmehr gewaltige Aquarellgemälde zu betreten.
    Eine derart radikale künstlerische Vision ist bei Mainstream-Spielen selten. Dafür hat es in den letzten Jahren eine Reihe von Indie-Spielen gegeben, die etablierte Spielmechaniken und visuelle Standards radikal umgekrempelt. So richtig erfolgreich sind solche Titel selten. Trotzdem, sagt Björn Bartholdy, "ist es wichtig, dass gerade auch am Rande der Kommerzialität solche Projekte entwickelt werden, weil die bieten natürlich neue Impulse."
    Ein interaktives Märchenbuch
    Die verträumte Pastelloptik, die melancholische Musik und die eigenwilligen, wenn auch manchmal etwas holprigen Dialoge – komplett in Reimen – tragen viel zur besonderen Atmosphäre bei. „Child of Light ist, zumindest auf den ersten Blick, ein lebendig gewordenes, interaktives Märchenbuch.
    Unter der charmanten Oberfläche steckt aber außerdem ein komplexes und im Verlauf zunehmend anspruchsvolles Spiel: Trifft man auf eine Gruppe von Monstern, dann gilt es Runde für Runde die richtigen Zaubersprüche, Tränke und Angriffe auszuspielen, und den Gegner bei dessen Aktionen zu stören. Dabei kann Glühwürmchen Igniculus, optional von einem zweiten Spieler gesteuert, den Gegner strategisch verlangsamen.
    So richtig "Indie" ist "Child of Light" nicht – schließlich ist Ubisoft einer der größten und internationalen erfolgreichsten Spieleentwickler. Trotzdem hat das Spiel eine sehr persönliche Handschrift, einen ambitioniert-experimentellen Look, und eine originelle wie ausgefeilte Spielmechanik, die auch nach vielen Stunden noch großen Spaß macht. Wahrscheinlich würde Lemuria Touristen vor allem mit seinen magischen Landschaften anlocken, aber die wahre Attraktion sind seine spannenden Rätsel und die strategisch gewieften Monster.