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Viel Arbeit, kaum Geld, keine Versicherung

Die Aussicht auf einen festen Job lockt viele osteuropäische Wanderarbeiter nach Deutschland. Doch das vermeintlich gute Angebot stellt sich oft als Luftnummer heraus. Hier schuften sie unter schlechten Bedingungen und warten wochenlang auf ihr Geld. Ein Fall aus Saarbrücken.

Von Tonia Koch |
    Das Haus, in dem 30 Wanderarbeitnehmer aus Litauen, Bulgarien und Rumänien in Saarbrücken untergebracht sind, hat schon lange keinen Farbanstrich mehr bekommen. Bis zu fünf Betten, so viele wie eben rein passen, stehen in einem Zimmer, zwei Waschmaschinen auf dem Flur, in der beengten Küche ist dafür kein Platz. Jeder habe eine etwas andere Geschichte, das Ergebnis aber sei für alle gleich, sagt Elena.

    "Kein Geld, kein Job, fehlerhafte Verträge, keine Krankenversicherung, nichts!"

    Die Rumänin Elena ist im Auftrag eines deutschen Personaldienstleisters von einem polnischen Subunternehmer angeworben worden. Beim Fleischverarbeiter Höll in Saarbrücken sollte sie Fleisch und Wurst verpacken.

    "Herr Victor versprach uns 5 Tage die Woche, 5 Euro die Stunde und ein Jahr Vertrag. Als wir hier ankamen, war alles anders."

    Auch für die erst 19 Jahre alte Litauerin Diana haben sich die Versprechen nicht erfüllt. Sie wurde im Auftrag des gleichen nordrhein-westfälischen Personaldienstleisters, der Firma Wenzel aus Hamm, von einem anderen ausländischen Subunternehmer nach Deutschland gelockt.

    "Sie sagten, wir könnten 1000 Euro verdienen im Monat, wir sollten 40 Stunden die Woche arbeiten, von Montag bis Freitag, acht Stunden täglich."

    Erst vor Ort stellten sie fest, dass ihre Tätigkeit am Verpackungsband nicht nach Stunden sondern nach Leistung entlohnt wird, zum Beispiel nach der Zahl der Verpackungen. Im Rahmen von Werkverträgen wird immer erfolgsorientiert und nicht nach Arbeitszeit abgerechnet, das ist wesentlicher Bestandteil eines solches Vertrages. Im vorliegenden Fall waren die Akkord-Vorgaben jedoch offenbar so hoch, dass die Wanderarbeitnehmer diese selbst dann nicht hätten erfüllen können, hätten sie rund um die Uhr gearbeitet. Dieses Risiko tragen sie alleine. Die versprochenen 1000 Euro sind daher bei aller Anstrengung nicht zu erreichen. Aber, das ist noch nicht alles. Der Personaldienstleister zahlt keine Löhne. Bar ausgezahlt wurden seit Februar lediglich Abschlagszahlungen zwischen 100 und 250 Euro. Mehr sei im Moment nicht drin, sagte Rolf Wenzel, der Geschäftsführer der Wenzel Personal-Service GmbH dem Saarländischen Rundfunk.

    "Aufgrund der hohen Forderung, die ich habe, sehe ich mich im Moment nur sehr schwer in der Lage, ich kann also nicht die volle Auszahlung der Gehälter übernehmen, das kann ich nicht."

    Wenzel streitet sich mit dem Auftraggeber, dem Fleischwarenhersteller Höll. Dieser sei seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen. Nach einer Strafanzeige ermittelt allerdings inzwischen die Staatsanwaltschaft gegen den Personaldienstleister wegen Betruges. Der Werkvertrag zwischen dem Fleischverarbeiter und dem Personalvermittler ist gekündigt, die Leidtragenden sind die osteuropäischen Wanderarbeitnehmer. Sie sitzen ohne Geld und Perspektive in drei Saarbrücker Wohnungen. Inzwischen haben sich private Initiativen und die NGG, die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten ihrer angenommen. Sie werden mit Geld, Lebensmitteln und Hygieneartikeln versorgt und auch eine ärztliche Versorgung ist sichergestellt. Ingeborg Damaske von der Frauengruppe Courage:

    "Wir wollten eine Öffentlichkeit herstellen und diese Zustände, die ja keine Einzelfälle mehr sind, dass Menschen in ganz Europa zu menschenunwürdigen Bedingungen vermittelt werden und dann hier auch noch vor Ort allein gelassen werden, das wollten wir durchbrechen und auch zeigen."

    Werkverträge sind nach Angaben der NGG, eine stark wachsende Beschäftigungsform in Deutschland. In der deutschen Schlachtindustrie sei bereits jeder Dritte mit einem solchen Vertrag ausgestattet. Diese Vertragskonstruktion kennt weder Mindestlöhne noch Tarife. Immer mehr Leiharbeit, die gerade wegen tariflicher Regelungen vielen Arbeitgebern als zu teuer gelte, werde von schlecht bezahlten Werkverträgen abgelöst. NGG Bundesvorsitzender Franz-Josef Möllenberg:

    "Ich gehe so weit, dass ich sage, da entwickelt sich ein neues Krebsgeschwür was den Arbeitsmarkt angeht, was Unordnung am Arbeitsmarkt angeht und dagegen muss man sich wehren."

    Wer den Missbrauch mit Werkverträgen eindämmen wolle, müsse für einen gesetzlichen Mindestlohn sorgen und für mehr Transparenz. Die Betriebsräte, die die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten von Fremdfirmen in der Regel nicht kennen, müssten Einblick bekommen in die Vertragsgestaltung, um geltendes Arbeitsrecht einfordern zu können. Und schließlich müsse in Deutschland intensiver kontrolliert werden, so Möllenberg.