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Viel Geld - wenig Effekt?

Trotz zahlreicher Zuschüsse, Steuererleichterungen und Unterstützungsleistungen steht Deutschland im internationalen Vergleich in puncto Familienförderung schlecht da. Möglicherweise wirken manche Leistungen nicht so, wie sie eigentlich sollen.

Von Constanze Hacke | 16.12.2009
    Freitagmorgen, kurz nach halb neun, in einem Kölner Kindergarten: Tom, zweieinhalb Jahre, hat gerade seinen braunen Anorak ausgezogen. Nun läuft er – bepackt mit zwei kleinen roten Butterbrotdosen – zum Frühstückstisch der Maulwurfgruppe. Dort sitzen schon zwei andere Kinder und eine der Erzieherinnen. Tom packt seine Salamibrote aus und nimmt sich von der kleinen Anrichte sein Glas; die Erzieherin gießt ihm Milch ein. Nun interessiert Tom nur noch sein Frühstück, gelegentlich wandern seine Blicke neugierig in die Bauecke. Toms Mutter Sandra kann sich auf den Weg machen:

    "So, Tom, ich bin jetzt weg. Tschüüs! Bis heute Mittag, viel Spaß. Tschüüs!"

    Seit drei Monaten geht Sandras Sohn in den Kindergarten. Die 37-Jährige hatte nach langem Warten Glück: Sie hat in der Einrichtung einen der vier begehrten U3-Plätze bekommen – also Plätze für Unter-Dreijährige. Schon kurz nach der Geburt hatte sie Tom dort angemeldet, ging immer wieder dort hin oder rief an, um sich und ihr Anliegen in Erinnerung zu rufen. Klinken putzen im Kindergarten. Denn die gelernte Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft wollte und musste wieder arbeiten.

    Sandra: "Steigende Kosten noch und noch. Alles wird immer teurer, der ganze Kreislauf Lebensmittel, Versicherungen, alles, was man tagtäglich ausgibt und auch weiterhin braucht. Sprich, alles das ist in dieser kurzen Zeit von zwei, drei Jahren erheblich gestiegen, es wird immer teurer. Nichts ist günstiger geworden, und wir sind eigentlich immer nur dabei zu sehen, was können wir noch runterschrauben, durchforsten immer wieder unsere Versicherungslage, können wir noch was sparen. Und haben das alles, soweit es geht, auch runtergeschraubt und sind trotzdem am Limit. Es geht nicht gut."

    Dabei gehören Sandra und ihre Familie eher zur Mittelschicht; ihr Ehemann ist leitender Angestellter in der Lebensmittelbranche, verdient dort gut. Sie haben vor der Geburt ihres Sohnes ein Haus gekauft, auch als Altersvorsorge. Nun heißt es sparen, sparen, sparen, nicht in Urlaub fahren – und an die Reserven gehen.

    Sandra: "Es ist ein finanzielles Loch entstanden, das wir Gott sei Dank durch Rücklagen haben decken können. Wir haben also auch durchaus von Rücklagen gelebt, die wir uns eigentlich für ganz andere Dinge zurückgelegt hatten, nämlich für Reparaturen am Haus, sprich wenn mal was Größeres ist wie Heizungsanlage, Dach usw., haben uns da erst mal leider bedienen müssen, weil das alles nicht so geklappt hat, wie man sich das vorgestellt und ausgerechnet hatte."

    Als Tom sieben Monate alt ist, sucht sich Sandra deswegen einen Minijob für einen Tag in der Woche. In dieser Zeit betreut eine Tagesmutter aus der Nachbarschaft den Kleinen. Aber sowohl Job als auch Betreuung sind schon bald wieder Vergangenheit. Und Sandra muss sich nach einem neuen Nebenjob umsehen – und vor allem nach verlässlicher Kinderbetreuung. Nun hat Tom zwar endlich einen Kindergartenplatz, aber nun steht Sandra kurz vor der Arbeitslosigkeit:

    Sandra: "Aufgrund diverser Umstrukturierungen und natürlich der schlechten Marktlage hat meine Firma mir kürzlich offenbart, dass man weder meine alte Stelle noch eine Teilzeitstelle anbieten kann, wenn ich zurückkomme aus meiner Elternzeit. Somit stehe ich vor einem erneuten großen Rätsel nämlich wie geht es bei uns finanziell weiter; wann, wo werde ich arbeiten, in was für einer Form, in was für einen Umfang. Ich muss jetzt diverse Dinge klären mit dem Wissen, dass ich ab April arbeitslos oder arbeitssuchend bin."

    Der Rechtsanspruch auf Teilzeit, vor allem für Eltern, nützt Sandra nicht viel. Insbesondere, weil sie sich dafür einklagen müsste. Von besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder staatlicher Unterstützung für Eltern und Kinder bekommt Sandra wenig zu spüren; sie fühlt sich allein gelassen.

    Außer Kindergeld nichts gewesen?

    "… Kindergeld / Kinderfreibetrag / Entlastungsbetrag für Alleinerziehende / Sonderausgabenabzug für Schulgeld / Kinderzulage für Riester-Rente / Elterngeld / Unterhaltsvorschuss / Mehrbedarfszuschlag beim Arbeitslosengeld II / beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung / Haushaltshilfe / Rentenzahlungen für Kindererziehungszeiten …"

    156 verschiedene Leistungen bietet der deutsche Staat, um Ehe und Familie zu fördern. Dafür gibt er jährlich 183 Milliarden Euro aus, wobei einige Leistungen noch nicht einmal konkret beziffert werden können. Und ganz aktuell kommt noch etwas obendrauf: Am Freitag entscheidet der Bundesrat darüber, ob mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Kindergeld und Kinderfreibetrag erhöht werden.

    Aber trotz der zahlreichen Zuschüsse, Steuererleichterungen und Unterstützungsleistungen steht Deutschland im internationalen Vergleich in puncto Familienförderung schlecht da. Unter anderem auch deswegen, weil manche Leistungen möglicherweise nicht so wirken, wie sie sollen.

    Eine Studie der internationalen Steuerberatungsgesellschaft Ecovis auf Basis von Daten der OECD, der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, belegt: Vergleicht man die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben, so liegt Deutschland auf dem vorletzten Platz. Bei Ehepaaren mit zwei Kindern ist diese Nettoabgabenbelastung lediglich in Dänemark höher, bei Alleinerziehenden liegt Deutschland nur noch knapp vor der Türkei. Leistungen wie Kindergeld oder ähnliche Zuschüsse sind bei dieser Rechnung bereits berücksichtigt. Für Peter Lüdemann, Vorstand bei Ecovis, stellt sich daher die Frage nach dem Sinn der vielfältigen finanziellen Leistungen:

    "Wenn man sich anguckt, was es alles an Einzelfördermaßnahmen in den unterschiedlichsten Gesetzen, nicht nur im Steuerrecht, gibt, dann kommt man auf eine verwirrende Liste, bei der man selbst als Jurist keine Vorstellung mehr hat, wie die noch zusammenwirken soll. Ob die dann im Einzelfall das richtige bewirkt oder auch vollkommen am Bedarf vorbeigeht. Wenn man sich jetzt nur das Steuerrecht anguckt, dann habe ich das Gefühl, dass eine der Hauptfördermaßnahmen für Familien, nämlich der Splitting-Tarif, an der Lebenswirklichkeit vorbei geht."

    Kritiker führen immer wieder an, dass das Ehegattensplitting die Versorgerehe begünstigt. Denn der steuerliche Vorteil des Splittings wiegt umso mehr, je weiter die beiden Einkommen der Ehepartner auseinanderliegen. Positiv also für all die Familien, in denen der Ehemann das Haupteinkommen oder den einzigen Verdienst erzielt. Ein Modell der Vergangenheit, erfunden in den Fünfzigerjahren.

    1953 ist ein Schlüsseljahr der deutschen Familienpolitik: In diesem Jahr wird der Beschluss gefasst, ein eigenes Ministerium für Familienfragen einzurichten. Das Leitbild der Familienpolitik ist klar umrissen: Die Arbeits- und Rollenteilung in der Familie soll gesichert werden. Vater geht arbeiten, Mutter versorgt zuhause die Kinder; Eltern mit mehreren Kindern sollen nicht Gefahr laufen zu verarmen. Die Berufstätigkeit von Frauen oder gar Müttern wird dagegen als Gefahr für die Familie betrachtet. Erst in den darauf folgenden Jahrzehnten ändert sich dieses Familienideal allmählich. An den Grundfesten der Familienförderung wird jedoch nicht gerüttelt – bis heute.

    Stattdessen entwickeln Familienpolitiker aller Parten den Ehrgeiz, immer neue kleine Transfers für Eltern und Kinder zu erfinden. Stück für Stück entstehen aus Wahlversprechen neue Förderinstrumente, Leistungen werden abgeschafft und wieder eingeführt, geändert und ergänzt. Kein Bereich des Sozialstaats ist heute so unübersichtlich wie die Familienförderung. Frauke Greven vom Verband berufstätiger Mütter und Väter:

    "Familienleistungen sind gewachsene Strukturen, das heißt es wird ein Bedarf erkannt und dann wird geschaut an welcher Stelle können wir dazu auch ein Gesetz und damit auch finanzielle Mittel auf den Weg bringen. Und so ist denke ich in Sachen Familienleistungen eine sehr vielfältige Förderlandschaft entstanden, die natürlich einzelne Bedarfe durchaus deckt, die aber unübersichtlich ist und wahrscheinlich auch vielen Stellen Synergien nicht nutzt. Familie ist vielfältig und da muss man aber nicht zwingend mit vielfältigen Leistungen reagieren."

    Familienpolitische Placebos, die mit der Realität von Eltern und Kindern nicht mehr viel zu tun haben? Obwohl sich die Politik – etwa im jährlichen Familienbericht – immer wieder einen Dreiklang von Zeit, Geld und Infrastruktur für Familien auf die Fahnen schreibt, zielen viele Leistungen vor allem auf finanzielle Unterstützung. Milliarden werden hier investiert, wie aktuell für die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen. Bei der Infrastruktur hingegen etwa hinkt Deutschland immer noch hinterher.

    So soll es zwar ab 2013 einen Rechtsanspruch für die Betreuung der Unter-Dreijährigen geben. Das Statistische Bundesamt hat vor Kurzem jedoch errechnet, dass in den kommenden drei Jahren mindestens 275.000 Betreuungsplätze erst noch geschaffen werden müssen. Dass es so mancher familienpolitischen Leistung in Deutschland an Treffsicherheit fehlt, ist ein Punkt, den auch die OECD immer wieder kritisiert. Der OECD-Sozialpolitik-Experte Herwig Immervoll fordert, Brücken zu anderen Politikinstrumenten zu schlagen:

    Immervoll: "Hier ist es wichtig, Brücken zu schaffen zwischen den einzelnen Politik-Instrumenten. Das heißt, wenn zum Beispiel das Elterngeld nach einem Jahr wegfällt und die Eltern und meistens die Mütter versuchen, wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und dann vor einer Situation stehen, dass keine Kinderbetreuungseinrichtung in der entsprechenden Qualität oder in der entsprechenden geografischen Lage vorhanden ist, die das ermöglicht, dann gibt es hier gewisse Lücken. Es ist notwendig, eine Kontinuität zu schaffen, dass über den gesamten Lebenszyklus des Kindes die Familienpolitik ineinander schlüssig ist und ähnliche Zielsetzungen verfolgt."

    Immer mehr Eltern kämpfen damit, dass die Betreuungsangebote nicht zu ihrer Lebens- und Arbeitswelt passen. Dies gilt in besonderem Maße für Alleinerziehende. Maria ist 31 Jahre alt und sorgt allein für ihre zweijährige Tochter Christina. Alleinerziehend war sie von Anfang an. Und wusste daher auch, dass sie nach einem Jahr Elterngeld wieder arbeiten musste. Ausgebildet als Fachwirtin für Lagerwirtschaft hatte sie sogar ihren Meister gemacht, arbeitete im Schichtdienst. Aber nach der Geburt kam das nicht mehr in Frage. Also wechselte Maria bei ihrem Arbeitgeber, einer größeren Firma in der Autoindustrie, auf eine andere Stelle; arbeitet nun Teilzeit als Chefsekretärin.

    Maria: "Ich möchte schon meine gearbeiteten Stunden erhöhen. Momentan bin ich bei vier Stunden am Tag, will vielleicht auf sechs Stunden gehen. Es ist auch ein bisschen schwer, ins Berufsleben reinzukommen. Es ist schwer, das Kind zur Seite zu schieben, sage ich mal, für den Beruf. Man ist ja nicht Mutter geworden, um zehn Stunden mit Wegzeit zu arbeiten und dann vier Stunden was vom Kind zu haben."

    Ein Konflikt, den viele Mütter innerlich ausfechten. Und immer wieder auch mit anderen. Wer jedoch nicht auf den Staat angewiesen sein möchte, sein eigenes Geld verdienen und sich für später absichern will, braucht Betreuungsangebote. Oft aber lässt der Mangel an Plätzen diese Wahl gar nicht zu. Schon die Teilzeitstelle stellte Maria vor große organisatorische Probleme. Eine befreundete Tagesmutter, die die Tochter betreuen wollte, sagte kurzfristig ab – wenige Wochen, bevor Maria ihre Arbeit wieder aufnehmen wollte.

    Der einzige Kindergartenplatz, den ihr das Jugendamt vermitteln konnte, war 40 Kilometer entfernt. Auf ihr Drängen konnte Maria ihre Tochter schließlich im Notfallkindergarten ihres Arbeitgebers unterbringen. Eine Überbrückungslösung für maximal sechs Wochen. Seit diesem Sommer nun hat Maria für ihre Tochter endlich einen Platz in einem Kindergarten in ihrem Viertel.

    Maria: "Kindergartenplätze finde ich immer noch – gerade für die Mütter, die arbeiten wollen – sehr schwierig. Und dann gibt es noch die Situation, nicht bei mir, aber bei einer Freundin von mir: Die kriegt keinen Kindergartenplatz, weil sie keine Arbeit hat. Und sie kriegt keine Arbeit vom Arbeitsamt aus, weil sie keinen Kindergartenplatz hat."

    Theoretisch gibt es bereits seit 1996 einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Praktisch ist in vielen Regionen nur schwer einer zu finden. Und wenn, dann halbtags und zu Zeiten, die mit dem Arbeitsleben nur schwer zu vereinbaren sind.

    War es früher vor allem für einige wenige Karrierefrauen ein Problem, dass die Kita erst um acht oder neun öffnet oder über Mittag schließt, trifft das heute auch die Kassiererin im Supermarkt, die bis 20 Uhr arbeiten muss. Oder aber die Krankenschwester, deren erste Schicht um sechs Uhr beginnt. Auch hier ist der Rechtsanspruch kaum mehr als ein Placebo, wie die Bochumer Familienforscherin Notburga Ott erläutert.

    Ott: "Der Rechtsanspruch ist im Prinzip die einzige Krücke gewesen, um die Länder zwingen zu können, überhaupt tätig zu werden. Betreuung fällt in den Bereich Bildung und das ist mittlerweile ausschließlich Ländersache. Das heißt, der Bund kann da überhaupt nichts machen, außer vielleicht einen Rechtsanspruch einzuführen, damit die Länder tätig werden müssen."

    Das föderale Geflecht in der Familienpolitik ist ein Teil des Problems: Der Bund kann vor allem für finanzielle Unterstützung sorgen. Betreuungsangebote oder andere Unterstützung, die über das Geld hinausgeht, laufen in kommunaler Verantwortung oder einzelnen Modellprojekten. Hier wiederum fehlt das Geld an allen Ecken und Enden. Also werden die betroffenen Eltern zur Kasse gebeten – oder aber müssen sich teure private Alternativen suchen. Betreuungsgutscheine, wie sie jetzt in der Debatte um das Betreuungsgeld diskutiert werden, sind in Deutschland noch so gut wie unbekannt.

    Eltern können diese zweckgebundenen Gutscheine bei einer Kita oder einer Tagesmutter einlösen und die Betreuungsanbieter lassen sich den Gutscheinsbetrag von der Gemeinde auszahlen. Ein solches System wäre nach Einschätzung von Familienforscherin Ott, die auch Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfamilienministerium ist, eine Lösung für viele Probleme:

    Ott: "Die Vielfalt würde zunehmen, dadurch dass die Einrichtungen praktisch sich nach den Wünschen der Eltern richten müssten. Weil die Eltern den Gutschein dort hinbringen, wo das Angebot ihren Bedürfnissen entspricht. Und trotzdem müssten es die Leute nicht selbst zahlen. Also, diese Extremsituation: Familie oder Staat. Wir diskutieren viel in solchen Extremen. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Wir brauchen ein vielfältiges Angebot, weil wir vielfältige Lebensformen haben. Ein Gutschein hat gerade unter solchen Bedingungen, wo wir sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben, wo Planung überhaupt nicht möglich ist, – man kann den Familien nichts überstülpen –, ist ein Gutscheinsystem das beste Instrument, um die Vielfalt möglichst gut das entsprechende Angebot dazu zu bekommen."

    Andere Länder machen nicht alles besser. Aber manches anders und damit vielleicht zielgerichteter. In Tschechien profitieren Alleinerziehende von besonderen Vergünstigungen bei Steuern und Sozialabgaben; unterm Strich steht de facto ein staatlicher Nettozuschuss. Großbritannien hat vor einigen Jahren einen Child Tax Credit eingeführt, der entweder von der Steuerschuld abgezogen oder direkt ausgezahlt wird. Frankreich setzt in puncto Kinderbetreuung auf ein Tagesmuttersystem – mit gut qualifizierten Betreuerinnen und staatlich garantiertem Mindestlohn. OECD-Experte Immervoll sieht noch weitere Vorbilder für eine effiziente Familienpolitik:

    "Die nordischen Länder schneiden hier sehr gut ab, aber auch Länder wie Frankreich tun sich hier leichter. Ein Hauptgrund dafür ist die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Das liegt vor allem daran, dass die Serviceleistungen, die die öffentliche Hand zur Verfügung stellt für Familien mit kleinen Kindern, stärker darauf konzentrieren, die Erwerbsarbeit zu einem frühen Zeitpunkt wieder zu ermöglichen. Es wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass Mütter ab einem gewissen Zeitpunkt wieder in ihren ehemaligen Job zurückkehren und auch Vollzeit großteils arbeiten. Das schlägt sich dann natürlich nieder in der Einkommenssituation der Haushalte."

    Die Frage, ob Eltern und insbesondere Mütter möglichst schnell wieder in den Beruf einsteigen sollten oder nicht, ist in Deutschland allerdings ideologisch aufgeladen. Das zeigt etwa die Tatsache, dass das Betreuungsgeld von Kritikern als Herdprämie bezeichnet wird. Familienpolitische Ideale und Realitäten werden gegeneinander ausgespielt. Ein Kulturkampf, von dem am Ende niemand profitiert, ist der Berliner Soziologe Hans Bertram überzeugt.

    Bertram: "In Deutschland machen Sie es immer falsch, wenn Sie Kinder haben. Die Amerikaner sind, glaube ich, dort in dem Punkt die Besten: Wenn man die fragt, ist es befriedigend Hausfrau und Mutter zu sein und zu Hause zu bleiben, sagen die, na klar, zu 90 Prozent. Und wenn man sie fragt, schadet es den Kindern, wenn die Mutter arbeitet, sagen da vielleicht 10 Prozent ja, aber 90 Prozent lehnen dieses Statement ab. Das finden Sie in ganz Europa. Dummerweise ist Deutschland in dem Punkt eine wirkliche Ausnahme – weil wir auf der einen Seite einen großen Prozentsatz von Leuten haben, die sagen, wenn jemand Hausfrau und Mutter ist, das kann nicht so befriedigend sein, wie wenn man berufstätig ist. Aber dummerweise sagen auch wieder relativ viel mehr Leute in Deutschland als in anderen Ländern, dass, wenn man arbeitet, dass das dem Kind schadet, sodass man als Mutter oder als Vater es im Grundsatz eigentlich immer nur falsch machen kann."

    Bertram arbeitet im Kompetenzzentrum mit, das die ehemalige Familienministerin von der Leyen geschaffen hat. Hier sollten – erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik – familienpolitische Leistungen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.

    Bertram: "Es gibt – und das ist das zentrale Problem – keine systematische Übersicht, wie eigentlich die Leistungen in Bezug auf Kinder und Familien in bestimmten Lebensformen sich kumulieren, sodass wir möglicherweise bestimmte Effekte haben, dass in bestimmten Familienformen besonders viele Leistungen ankommen und in anderen besonders wenige ankommen."

    In mühevoller Kleinarbeit hat das Kompetenzzentrum zunächst sämtliche Haushalte und Gesetze durchforstet und eine Bestandsaufnahme gemacht, welche Leistungen es gibt und was sie den Staat kosten. Was sie aber bewirken – und was nicht –, ist noch völlig offen. Gleiches gilt für die Zukunft des Kompetenzzentrums, dessen Arbeit vorerst nur bis Ende des Jahres ausgelegt ist. Ob die Bewertung der staatlichen Familienförderung weiterhin Priorität auf der familienpolitischen Agenda besitzt, ist noch unklar.

    Frauke Greven vom Verband berufstätiger Mütter und Väter schlägt daher vor, die Debatte in eine andere Richtung weiterzudrehen und grundsätzlich über bessere Rahmenbedingungen nachzudenken:

    "Wenn wir das ins Bewusstsein nehmen, dass Familienpolitik eine Querschnittsaufgabe ist, dass wenn wir uns Gesetze überlegen im Steuerrecht, im Sozialrecht, im Prinzip in jeder Lebenslage, dass wir da Familie mitdenken, dann sind wir glaube ich schon auf dem richtigen Weg, gesamtheitlich das Thema Familie zu platzieren. Da brauchen wir gar nicht mehr an Einzelmaßnahmen rumzubasteln."

    Vielleicht braucht es nicht unbedingt eine große Vielfalt an Leistungen, sondern einfach eine Grundlage für Entscheidungsfreiheit. Nämlich die Freiheit zu entscheiden, was in der individuellen Situation das Beste für die eigene Familie ist. Und damit vor allem für das Kind.