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Viel Gerede um nichts

Das Stück "Sommergäste" vom Maxim Gorki ist angelehnt an den russischen Dichter Anton Tschechow. Es war schon einmal 1974 auf der Schaubühne zu sehen. Die Inszenierung von Peter Stein wurde damals zum großen Erfolg. Regisseur Alvis Hermanis hat nun eine Neuauflage von Gorkis Stück inszeniert.

Von Hartmut Krug |
    Wieder leben Gorkis Sommergäste an der Schaubühne in einem Breitwandpanorama. Doch während Peter Stein 1974 seine Sommergäste im Garten vor einem Birkenwald in schmerzlicher Schönheit leiden ließ, stecken sie bei Alvis Hermanis von Anfang an in äußerer und innerer Kaputtheit fest. Was ihnen bleibt, ist das sehnsüchtige Jammern, mit dem sie in unendlichen Variationen das weitläufige Erdgeschoss einer dem Verfall preisgegebenen Villa füllen.

    Laut Programmheft nachgebildet der Fabergé-Villa bei St. Petersburg, ist sie mit ihren zerborstenen Scheiben der Veranda, mit sich die Wände hochrankendem Gestrüpp, mit verstreuten Bücherhaufen auf dem kaputten Fußboden, mit leeren Umzugskartons in den Zimmerecken sowie einer Liege und einer Badewanne in der Mitte ein überdeutliches Bild für den Verfall und die innere Situation der Sommergäste. Wo sich bei Stein Figuren mit der Gruppe entwickelten und verdeutlichten, sind sie bei Hermanis von Beginn an festgezerrt in ihrem Elend. Hier kann sich nichts mehr entwickeln.

    Gorki schrieb sein Stück 1904, und seine Figuren spürten, dass ihre Zeit am Vorabend von Kriegen und Revolutionen zu Ende war. Wann die Figuren bei Hermanis leben, ist nicht so recht klar. Es sind zeitlose Theaterfiguren, die in Kostüme der Jahrhundertwende gekleidet sind und dabei wie Penner wirken, - so fährt ein reicher Onkel sein in Plastiktüten verpacktes Geld im Supermarktwagen herein, und in der Badewanne werden auch mal Würste an Spießen gegrillt.

    Meist aber wird hier nichts getan, sondern geredet. Wenn zu Beginn Ingo Hülsmann sich in der Rolle des Hausherrn Bassow mit Stromkabeln am Sicherungskasten zu erhängen sucht, misslingt ihm dies natürlich. Er fällt zu Boden, doch mit einem Funkenregen geht einerseits das Licht an und andererseits das übliche Gerede los. Nur kurz weint Bassow, dann aber begibt er sich ins Weltschmerzgerede mit seiner Frau Warwara, die fast die gesamte erste Hälfte der dreieinhalbstündigen Aufführung als eine in sich gekehrte Grande Dame des Sinnsuchens auf der Liege lagert. Ganz am Anfang, als es noch dunkel war, hatte sie mit eigener Hand am eigenen Körper einen erotischen Traum ausgelebt.

    Das Problem des Stückes: Gorkis Figuren sind weder psychologisch genau gezeichnet noch erklären sie sich richtig. Aber sie reden. Unentwegt. Über Gefühle, über vergebliche oder leidenschaftliche Liebe, über Literatur, über eine bessere Zukunft und über ein trauriges Leben in schmutziger Welt. Hermanis kennt keine Entwicklungsdramaturgie, bei ihm wirken die aufeinanderfolgenden Jammertiraden von doch sehr unterschiedlichen Menschen fast austauschbar:

    Hermanis, der (wie einst Stein) Gorkis Personal auf eine Sommergäste-Kerngruppe von 15 Personen zusammengestrichen hat, zeigt kein Seelen-Sehnsuchtspanorama, sondern er veräußerlicht, was die Personen fühlen. Wenn hier Paare miteinander reden, gehen sie fast immer in den körperlichen und meist auch erotischen Clinch. Oft wird im Bodenkampf verhandelt, oder ein Ehepaar geht aufrecht, bepackt mit Stühlen, aufeinander los. So kommt sich das Paar zwar nicht nahe, aber zum sexuellen Erfolg.

    Die Sehnsucht der Menschen äußert sich, während sie von Seelischem reden, ganz handfest als eine nach körperlicher Nähe. Wenn bei Gorki ein Picknick stattfindet, versammeln sich bei Hermanis sechs Frauen in Unterwäsche auf dem Sofa und erkunden sich gegenseitig mit tastenden und streichelnden Händen. Die Männer schauen dabei von draußen neugierig zu und stürzen dann mit balzenden Vogellauten flügelschlagend herein. Und dann wird wieder über Liebe lamentiert.

    Insgesamt wirkt die variationsreiche Eintönigkeit der Spielweise ungemein einschläfernd. Daran vermag auch der ständig auf der Bühne nach Fressen suchende Golden Retriever nichts zu ändern. Auch die fast karikatureske Spielweise und das vage Dahinreden der sonderbar disparaten Sommergäste bringen dem Zuschauer Gorkis Stück nicht näher. Obwohl es einige starke und überzeugende Schauspielerleistungen gibt, ist das Ensemble insgesamt weder stark genug noch so homogen (wie einst bei Stein), auf dass es dieses Stück zu bewältigen vermag. Was bleibt, sind mancherlei Schauspielerkunststücke und eine Warwara, die nach den missglückten Selbstmordversuchen zweier Sommergäste plötzlich ihren Einkaufsrollkoffer packt und weggeht, wohin auch immer.