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Viel mehr als ein Haudrauf

Wenn es im Konzertsaal richtig laut wird, dann haben vielfach auch die Paukisten ihren Einsatz. Für ihre großen Trommeln brauchen sie ganz besondere Schläger, sogenannte Schlegel. Die haben sich in speziellen Werkstätten über Jahrhunderte weiterentwickelt – eine Wissenschaft für sich.

Von Simon Schomäcker |
    Ein Dienstagabend im Theater in Brandenburg an der Havel. Die Brandenburger Symphoniker haben sich zur Generalprobe für ein anstehendes Konzert getroffen. Solopaukist Jens-Peter Kappert ist beim derzeitigen Programm, bestehend aus moderner Musik, stark gefordert. Über seinen fünf Kesselpauken hat der 49-Jährige eine große Ablage mit einer Menge unterschiedlicher Schlegel angebracht.

    Oft muss Kappert seine Schlagwerkzeuge in der Probe wechseln, um die Klangvorstellungen von Dirigent Michael Helmrath umsetzen zu können. Alle seine Schlegel hat Kappert selbst gefertigt. Mit diesem besonderen Handwerk begann der Berufsmusiker schon in den 1980er Jahren, als er in Berlin Musik studierte:

    "Man kommt ja, wenn man ein Instrument lernt, erst so langsam darauf, dass man eine Klangvorstellung entwickelt und man weiß, was man möchte. Und da gab es damals nicht das Material, das mich da zufriedengestellt hat. Und da hab ich einfach so aus der Situation heraus angefangen zu basteln."

    Längst hat sich Jens-Peter Kappert mit dem Schlegelbau neben seinem Musikerberuf ein zweites Standbein aufgebaut. Relativ unscheinbar im Berliner Stadtteil Moabit gelegen, befinden sich Kapperts Werkstatt und Vorführraum.

    Im Vorführraum schildert Kappert, wie er seine Materialien auswählt – Klangprobe inklusive.

    "In den Anfängen der Pauke hat man ja erst einmal auf kleineren Pauken gespielt und dann alles mit Holzschlegeln, ähnlich wie bei den Trommelstöcken, nur etwas anders geformte Köpfe. Die Materialien haben sich dann erst im Zuge der Musikgeschichte so richtig ausgeweitet, sodass man dann Filzschlegel hatte, auch sehr weiche Filzschlegel. Es gibt auch Varianten, die in Wien Verwendung finden, das sind dann geschichtete Köpfe, die aus geschichteten Flanellscheiben bestehen, oder auch Hartfilzscheiben."

    Wie aufwändig die Herstellung hochwertiger Paukenschlegel wirklich ist, zeigt der Blick in Kapperts Werkstatt. Nebeneinander auf einem Tisch liegt eine ganze Reihe kopfloser Schlegelschäfte aus Bambus.

    "Leider ist es in der Natur nicht so, dass alles rundum gerade wächst, so wie man es gerne möchte. Es wird also erst mal vorsortiert und dann begradigt, dann wird das Ganze auf einer Maschine geschliffen. Dann muss dafür gesorgt sein, dass das Gewicht innerhalb eines Paares passt. Ein Kriterium ist noch die Eigenfrequenz. Da kann ich jetzt ein Paar Stiele haben, die den gleichen Durchmesser haben und die gleiche Länge und gleiches Gewicht, aber trotzdem unterschiedlich klingen. Das muss dann auch in Einklang gebracht werden. Und dann geht es eigentlich erst los mit dem Kopf."

    In den Regalen an der Wand befinden sich, in Kunststoffboxen sortiert, alle Materialien für die Herstellung der Schlegelköpfe.

    "Da gibt es verschiedene Materialien, aus denen der Kern besteht. Das ist entweder Kork oder auch Holz oder andere Materialien, die geschichtet sind, das nenne ich dann Sandwichkern. Das wird dann wiederum bezogen mit unterschiedlichen Filzschichten, also eine oder zwei, eventuell auch drei." Und wenn man das dann geschafft hat, ist das eigentliche Kunststück am Ende, dass beide Schlegel nicht nur gleich aussehen, sondern auch gleich klingen."

    Zwei Stunden oder länger kann es dauern, bis ein Schlegel fertiggestellt ist. Besonders dann, wenn Jens-Peter Kappert auf spezielle Kundenwünsche eingeht.

    "Es gibt Leute, die bevorzugen wirklich möglichst dünne Stiele, die haben vielleicht nur 10 mm Durchmesser, aber mit hohem Gewicht. Das ist auf jeden Fall machbar. Oder umgekehrt: Jemand sagt, er möchte 12 mm, aber nicht so schwer. Das muss man dann erst einmal hinkriegen, so ein Material zu finden."

    Jens-Peter Kappert ist in Musikerkreisen längst bekannt für sein hochwertiges Schlegelsortiment und den flexiblen Umgang mit Kundenwünschen. Dementsprechend bedarf es keiner großen Werbung. Auf der ganzen Welt setzen Orchesterschlagzeuger seine Produkte ein - auch in zahlreichen namhaften Klangkörpern, erzählt Kappert nicht ganz ohne Stolz.

    "Diverse Rundfunkorchester, Münchner Philharmoniker, NDR Hamburg, WDR. Und zum Glück sind es nicht nur deutsche Orchester, sondern auch die amerikanischen Toporchester und zahlreiche Orchester in Europa, die mit meinen Schlegeln arbeiten."

    Zwar ist der Schlegelbau für Jens-Peter Kappert nach wie vor ein zweites Standbein neben seiner Musikertätigkeit. Zwischen 20.000 und 30.000 Euro bringt ihm sein Handwerk jährlich ein. Doch der agile Musiker denkt darüber nach, sein Geschäft auf Dauer auszuweiten:

    "Weil es in der Kultur ja leider auch unsicherer geworden ist, muss man ein bisschen gucken, wo man bleibt. Ob man den Musikerjob für alle Zeiten machen kann, ist eine Frage. Aber auf jeden Fall ist die Sache mit dem Schlegelbau so, dass man sich seine Existenz davon aufbauen kann."