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Viel Platz für totes Holz

Mindestens fünf Prozent des Waldes sollen in Deutschland naturnah wachsen, dieses Ziel hat die Bundesregierung vorgegeben. Eingehalten wird es aber nur in wenigen Regionen, am ehesten noch im Saarland. Dort wächst ein Buchenurwald.

Von Tonia Koch | 05.11.2013
    40, 50 Meter ragen die Baumriesen in den Himmel. Es sind überwiegend Buchen und ein paar wenige Eichen, zwischen 200 und 240 Jahre alt. Dazwischen Schaft an Schaft: Buchen, Kirschen, Eichen, Vogelbeeren. Dünne, hoch aufgeschossene Stämme, die auf ihre Chance warten. Sie werden sich erst entwickeln, wenn der dicke Nachbar fällt und sie genügend Licht bekommen. Beim letzten Sturm vor ein paar Tagen hat es einen Riesen entwurzelt. Andere haben dem Wind standgehalten, sind aber bereits abgestorben. So sieht er aus, ein europäischer Buchenurwald, ziemlich unspektakulär, sagt Landesforstdirektor Hans Albert Letter.

    "Beim Urwald denkt man immer an das, was man im Fernsehen so sieht, ein Regenwald, oben hängt der Gorilla und unten streift der Leopard, das gibt es bei uns nicht. Bei und steckt das Leben in dem toten, abgestorbenen, faulenden Holz und das sind kleine, unscheinbare Lebewesen. Ob das jetzt Spinnen sind, ob das jetzt Pilze sind, es ist nicht so spektakulär."

    Diese Lebewesen können sich eben nur entwickeln, wenn das reife Holz nicht geerntet wird, sondern wenn es seinen Lebenszyklus vor Ort beenden darf. Nur dadurch könne die Artenvielfalt geschützt werden, argumentiert Helmuth Harth, Naturschutzreferent beim NABU-Saarland.

    "Es ist zwar Totholz, wie der Fachmann sagt, aber es ist voller Leben. Es sind 1.600 Pilzarten drin, da sind 6.000 Tierarten drin, die allein von diesem Lebensraum alte Buche abhängig sind."

    Das Waldwirtschaftskonzept des Saar-Forstes setzt aber nicht allein auf diese zehn Prozent Waldfläche, die dauerhaft aus der Nutzung genommen wurden, sondern auch dort, wo der Wald bewirtschaftet wird, werden alte Laubbaumbestände vom Holzeinschlag ausgenommen, quasi als Keimzellen biologischer Vielfalt. Diese Biotope erlauben es den verschiedenen Arten, sich zu vernetzen. Sie seien letztendlich von größerem Nutzen als die Nationalparkkonzepte. Helmuth Harth:

    "Auch deshalb loben wir das Saarland, weil es breiter aufgestellt ist. Wir haben über das ganze Land verteilt solche Flächen und sie bringen dem Naturschutz wesentlich mehr."

    Aber eine naturnahe Waldwirtschaft ist teuer. Hans Albert Letter:

    "Das sind einige Millionen pro Jahr. Wir haben das 2011 einmal ausgerechnet, es sind etwa 2,7 Millionen an Einnahmen, auf die wir verzichten."

    Es verbiete sich jedoch, den Wert des Waldes allein an den Erlösen zu messen, die mit dem Verkauf des Holzes erzielt werden können, wehrt sich der NABU.

    "Sie müssen die anderen ökologischen Dienstleistungen würdigen. Was ein Wald bringt an Grundwasserspeicher, an Biodiversität, an Luftfilter, an CO2-Bindung. Wenn wir das alles hochrechnen, dann sind die 2,7 Millionen Holzerlös-Verlust ein Kinkerlitzchen."

    Im Saarland gibt es seit Jahren über die Parteigrenzen hinweg einen breiten politischen aber auch einen gesellschaftlichen Konsens, den Wald naturnah zu bewirtschaften. Darüber hinaus wolle das Land seine Schutzfunktion gegenüber den als Naturerbe anerkannten Buchenwäldern aktiv wahrnehmen. Mit 30 Prozent ist die Buche vor der Eiche die wichtigste Baumart im saarländischen Staatsforst. Die Umweltministerin, Anke Rehlinger hofft, dass das saarländische Beispiel Schule machen wird.

    "Das, was wir im Saarland machen – Mecklenburg-Vorpommern ist im Übrigen auch auf einem derart hohen Niveau - findet durchaus Beachtung in der Republik. Und wir befinden uns im Bund ja gerade in Koalitionsverhandlungen und haben darüber diskutiert, ob das, was wir als Saarland schon erreicht haben, die Marke ist, die wir tatsächlich im Rahmen von Koalitionsverhandlungen bundesweit als Maßstab festsetzen wollen."

    Die Zehn-Prozent-Marke wurde vom Bund bereits 2007 gesetzt, nur kaum ein Bundesland hat sich daran gehalten.