Die Saisonarbeiter des Festival-Betriebs, die über "freie Theatergruppen" eingebundenen Zulieferer, aber auch die durch Zeitverträge an Theaterunternehmen Gebundenen erfreuen sich bei ihrem Protest in vielen Fällen der Sympathien der im Rampenlicht stehenden Künstler. Denn die Kampfmaßnahmen treffen die auch von ihnen so wenig geschätzte Mitte-Rechts-Regierung in Paris an einer empfindlichen Verse. So moniert denn auch die konservative Presse die "Geiselnahme" der Festivals in Südferienfrankreich durch die Hinterbänkler des Betriebs. Die Spektakel von Avignon und Montpellier sind ebenso wie die Vorstellungen von "Giselle" und der "Sizilianischen Vesper" an der Pariser Oper bereits geplatzt; in La Rochelle, Orange, Marciac steigt die Spannung ebenso wie am Opernhaus von Lyon. Und das Musiktheaterprogramm von Aix-en-Provence steht auf der Kippe.
In dieser Situation bekannte sich Strawinskys Kammermusiktheater "Renard" in raffiniert-naivischer Weise zum Prinzip von l'art-pour-l'art - Klaus-Michael Grüber nahm die Sache richtig fabelhaft und verkleidete einen Tänzer als Füchsin und diese als Nonne, die dem Hahn mit bösen Hinterabsichten die Beichte abverlangt - wegen seines polygamen Lebensstils. Nach einer auf der Bühne verlesenen Erklärung einer Gewerkschaftsvertreterin hatte die Vorstellung - fast wieder alle Erwartung - tatsächlich begonnen mit Manuel de Fallas "Maître Pierre", einer Bekundung modernistisch kolorierter Hispanidad (anders als in der Gesamtbelegschaftsversammlung, die sich klar für die Fortsetzung des Streiks aussprach, kam für die Einakter-Aufführung eine knappe Mehrheit der Arbeitswilligen zustande). Allerdings wäre in und um die Marionettenbühne auf der ohnedies kleinen Bühne des Théatre du Jeu de Paume weniger Arbeitseifer und Gedränge wünschenswert gewesen - es war, als wollten zu viele der ansonsten unsichtbar im Hintergrund Wirkenden ihre Notwendigkeit bekunden. Für Schönbergs "Pierrot lunaire" wurde die Arbeitsfläche dann weitgehend leer geräumt - nur Boulez und ein Instrumentalisten-Quintett sekundierten der im Sprechgesang aus dem einsamen Sessel sich erhebenden Anja Silja und dem leibhaftigen Affen, der als Säulenheiliger hoch über dem subtilen Geschehen thronend den bleichen Mond ignorierte - da schwoll des Johlen, Pfeifen und Hämmern der demonstrierenden Streikfront aus der Rue de l'Opéra zum "Alten Duft aus Märchenzeit" erheblich an. Eine zweite kompositorische Schicht schnob sich hinter Schönbergs freie Atonalität und brachte ein neues Werk hervor: "der Mondstrahl ist das Ruder".
Es war, als wäre dies Crescendo von Ex-Sprengmeister Boulez bestellt worden und der stillschweigend entrichtete Tribut für das Zustandekommen der abseitigen Produktion gewesen. Aber es war der Regisseur Zufall, der hier waltete - und eine Chiffre schuf für das, was jetzt im ganzen auf kapitalistische Effektivität ausgerichteten Europa der Stand der Dinge ist: das unvermittelte Aufeinandertreffen von verblasener Kunst und Artikulationsformen einer neuen Not.
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