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Viel Tanz um Hoffmanns Fräulein Scuderi

Der junge Choreograf Christian Spuck hat mit dem neuen Tanztheater "Fräulein von S." die Novelle über Juwelenmorde im Paris 1680 von E. T. A. Hoffmann aufgearbeitet. Neben den technisch perfekten Stuttgarter Tänzern spinnt die Schauspielerin Mireille Mossé als Erzählerin den roten Faden der Geschichte.

Von Wiebke Hüster | 11.02.2012
    Es gibt eine Art gehobener Langeweile im Theater der Gegenwart, die wirklich schwer auszuhalten ist. Ihre Hersteller sind geschickte Arrangeure von beliebten Fragmenten der Avantgarde. Doch unter den Händen dieser Theaterkonfektionäre sieht am Ende jede Bühne aus wie das Schaufenster eines teuren Möbelhauses, in dessen Auslagen menschenähnliche Figuren herumstehen, die Puppen oder Statisten sein könnten. In diesem Theater geht es immer elegant und nie spießig zu, natürlich auch nie schlimm oder erschütternd. Man lernt nichts in diesem Theater, aber man wird auch nicht erschreckt. Schmutz, seelisches Elend, oder wenigstens ein paar brillante Gedanken? Findet man hier nicht.

    Unter den jüngeren Tanztheaterchoreografen, die gerne mit Spitzentanz arbeiten, ist Christian Spuck der bekannteste Eklektizist in dieser Dekorationstheaterabteilung. Noch ist er Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts, wohin ihn einst Marcia Haydée als Tänzer engagierte. Demnächst wird Spuck Heinz Spoerlis Nachfolger als Direktor des Zürcher Opernballetts. Das Publikum wird den Unterschied kaum merken. Spuck hat den gleichen Hang, einen Ballettabend so unaufgeregt komfortabel zu gestalten, dass das Publikum während es zusieht noch an wichtige Dinge denken kann. Ballett, das ist doch diese angenehme Sache, die von diesen gutaussehenden Menschen vorgeführt wird.

    So auch in Spucks neuester Choreografie, seiner letzten Arbeit für die alte Heimat. "Fräulein von S." heißt seine geschickte Aufbereitung von E.T.A. Hoffmanns unheimlicher Erzählung über Juwelenmorde im Paris von 1680. Marcia Haydée schreitet da umher in schwarzer Robe und weißem Make-up, sie verkörpert mit diesen Gängen à la Robert Wilson die Schriftstellerin Madeleine de Scuderi, bei Hoffmann eine alte Dichterin mit scharfem Verstand und Sinn für Gerechtigkeit. In der Novelle klärt sie die Chose auf und verhilft dem unschuldigen Gehilfen des ebenfalls ermordeten Goldschmieds Cardillac zur Freiheit. In drei Akten tummelt sich das Ensemble, mal in abstrakteres Schwarz gekleidet, mal in todschicke Pastellfarben, und stellt sich zu Posen der Pariser Gesellschaft zusammen, Liebhaber, Liebhaberinnen, Richter, Ermittler, König, Mätresse. Zwischen den nach Gardemaß ausgesuchten, technisch perfekten aber seelisch glatt geföhnten Stuttgarter Tänzern schreitet die kleinwüchsige Schauspielerin Mireille Mossé umher und spinnt den roten Faden der Geschichte als Erzählerin weiter. Denn Choreograf Spuck verschmäht es als Post-Avantgardist, verständliche Szenen zu choreografieren. Ein Handlungsballett ohne lesbare Handlung ist ja auch viel fescher. Mal fühlt man sich wie bei Robert Wilson, mal wie bei William Forsythe, mal sieht mal ein Solo in Rückenansicht wie von Marco Goecke. Was aber noch viel schlimmer ist als das Fehlen jeglicher eigener Ideen bei Christian Spuck ist, ist wie er E.T.A.Hoffmann auf Turmfrisuren und Zopfperücken, Korsagen und Justaucorps reduziert, Paris auf einen historischen Stich des Palais Royal und ein großes Atelierfenster über den Köpfen der Tänzer, die Ballettgeschichte auf ein paar mit Swarowski-Kristallen besetzte Teller-Tutus. "Un amant qui craint les voleurs n'est pas digne d'amour", zitiert Mireille Mossé die Scuderi aus der Novelle – ein Liebhaber, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig. Das Problem von Christian Spuck und ähnlichen Poseuren ist, dass sie ihre Vorgänger weder fürchten noch lieben.