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Viel Theater um arbeitslose Schauspieler

Die Theater müssen sparen. Damit sind immer mehr Bühnenkünstler ohne Engagement. Der Münchner Regisseur Claus Peter Seiffert hatte daher vor vier Jahren die Idee, dieses brachliegende Potenzial zu nutzen. Er initiierte eine Weiterbildung für arbeitslose Schauspieler. Die Arbeitsagentur unterstützte sein Projekt - mit Erfolg.

Von Claudia Bathe | 20.12.2005
    Zum dritten Mal lässt der Regisseur die beiden Schauspieler in ihren Rollstühlen von hinten nach vorne über die Probebühne fahren. Sie tragen Bademäntel und Jogginghosen, denn sie proben die Schlussszene eines Stückes, das in einem Altenheim spielt.

    "Bist du sicher, dass wir genug Pillen genommen haben? Wir haben alle gefressen, die ich in den letzten zwei Monaten bekommen habe. Der Tod braucht seine Zeit. Du bist mir zu schnell. Schön langsam. Lasst uns noch mal von hinten anfangen."

    Ein Stockwerk tiefer diskutiert eine Dramaturgin mit der Pressesprecherin darüber, wie der neue Flyer aussehen soll. Im Keller bastelt ein junger Bühnenbildner an seinem Modell. Was hier aussieht wie die typische Arbeit eines Off-Theaters ist eine Weiterbildungsmaßnahme der Arbeitsagentur. Abgesehen von den drei Regisseuren haben alle, die hier arbeiten, einen Bildungsgutschein. Zwei mal im Jahr kommen bei InkunstArbeitssuchende Theaterleute zusammen und studieren drei bis vier neue Stücke ein. Der Regisseur Mario Andersen beobachtet, dass die Motivation immer sehr hoch ist.

    "Alle sind neu, alle sind sie in dem selben Boot, alle sind arbeitslos und alle wollen das Beste machen. Dadurch entsteht einfach eine produktive freudige Stimmung."

    Vier Monate bleibt eine Staffel zusammen, bis zur Premiere. Hier können sich die rund 30 Schauspieler optimal präsentieren und fallen vielleicht einem Intendanten oder Dramaturgen auf. Doch bei Inkunst werden nicht nur Stücke auf die Bühne gebracht. Jeden Tag absolvieren die Schauspieler vor den Proben ein Körpertraining, daneben gibt es Sprechübungen und eine Art Bewerbungscoaching. Dem dreißigjährigen Thilo Prothmann geht auch darum, keinen Stillstand zu haben.

    "Das schlimmste für einen Schauspieler ist, wenn er nicht arbeitet und dann alle seine Talente nur so brach liegen und man nicht spielt. Um halt seine Qualität zu erhalten, dafür ist es dann wichtig, dass man so was macht. Es ist immer besser, als wenn man ein Jahr lang nichts macht und auf das große Engagement wartet."

    In der Regel sind Bühnenkünstler nicht fest engagiert, sondern arbeiten projektweise. Dazwischen beziehen die Meisten Arbeitslosengeld. In Zukunft wird das vor allem Arbeitslosengeld II sein. Viele Schauspieler werden nicht lang genug beschäftigt sein, um Arbeitslosengeld I zu erhalten. Wem das Geld nicht reicht, der muss sich einen Nebenjob suchen. Problematisch wird es, wenn der Nebenjob mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Theater, wie bei Ingrid Gabriel. Für die 28jährige war daher Inkunst ein Neuanfang.

    "Du hast einfach keine Konzentration mehr dafür. Es geht nur noch darum, du arbeitest um Geld zu verdienen und Miete zu zahlen. Und das ist eben jetzt nicht mehr der Fall. Ich hab jetzt auch gemerkt, dadurch, dass ich jetzt wieder nur Theater gemacht habe, fühl ich mich viel besser. Dadurch, dass ich es eine Zeitlang nicht gemacht hatte, war ich einfach total weg von Theater und von dem, was mich eigentlich so vorantreibt."

    Trotz Idealismus muss aber die Vermittlungsquote stimmen. Sie liegt momentan bei etwa 70 Prozent. Meistens werden Gastverträge abgeschlossen. Nicht immer gibt es eine spektakuläre Entdeckung wie in der letzten Staffel. Dort wurde die 24jährige Judith Toth nach einer Vorstellung ans Münchner Residenztheater engagiert. Dass Inkunst eine gute Plattform ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Bis zu 150 Bewerbungen gibt es pro Staffel. Doch erfolgreich ist ein Projekt nur, wenn das Konzept stimmt. Bei Inkunst steht bewusst ausschließlich neue Dramatik auf dem Programm. Beispielsweise das Drama "Sexy Sally" des jungen dänischen Autors Christian Lollike, über eine Vergewaltigung.

    "Du bist selbst mit in den Schuppen gegangen. Du hattest nicht das Gefühl, dass es so enden könnte. Wann wurde es unangenehm Sally? Gib uns den Speer, hör auf, gib uns den Speer."

    Der Regisseur Claus Peter Seifert kann neue unbekannte Stücke inszenieren, die für andere Theater ein zu großes Risiko darstellen würden. Hier liegt seiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg.

    "Da gab es mal vor vier Jahren einen Nachahmer, aber der ist mit einem falschen Konzept ganz schnell baden gegangen. Der hat die falsche Stückauswahl gehabt. Sommernachtstraum und so, und das hat natürlich niemanden angezogen. Und es wurde auch sehr konventionell gearbeitet."

    Die eigentliche Zielgruppe sind die Theaterfachleute und die bekommen bei Inkunst gute Schauspieler zu sehen und können gleichzeitig neue Autoren entdecken. Viele Stücke sind mittlerweile an anderen Häusern nachgespielt worden. Die Arbeitsagentur unterstützt also mit Inkunst nicht nur arbeitslose Bühnenkünstler. Indirekt leistet sie einen Beitrag dazu, dass die deutsche Theaterszene lebendiger wird.