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Vielarbeiter können die Existenz eines Unternehmens bedrohen

Mitarbeiter, die morgens als erste kommen und abends als letzte gehen, gelten als fleißig und sind beim Chef gut angesehen. Doch die Ökonomin Ulrike Meissner von der Universität Bremen sieht das anders. Sie sagt, Arbeitssüchtige verfügen nicht über die Fähigkeit, Aufgaben zu delegieren und neigen dazu, ihre Kollegen zu überfordern und zu demotivieren.

Von Sandra Pfister |
    Sandra Pfister Wer viel arbeitet, der hat beim Chef in der Regel einen guten Stand. Faulpelze gibt es genug, doch auch Arbeit kann leicht zur Droge werden. Der Übergang zum arbeitssüchtigen Verhalten ist fließend, doch Workaholic sein, arbeitssüchtig, das gilt nicht als wirklich schlimm, es schadet ja niemandem, oder doch? Die Ökonomin Ulrike Meissner von der Universität Bremen ist anderer Meinung. Sie sagt, wer arbeitssüchtig ist und nichts dagegen unternimmt, fängt öfter Streit mit seinen Kollegen an, er macht Fehler und hat im Endeffekt sogar höhere Fehlzeiten. Frau Meisner, wenn ich höre, dass jemand in meiner Abteilung arbeitssüchtig ist, dann sage ich mir doch als Chef, na prima, wunderbar, endlich mal jemand, der die Arbeit wegschafft. Wo ist denn eigentlich das Problem?

    Ulrike Meissner: Das Problem ist im Prinzip dort, dass sich Arbeitssüchtige auch als Störenfriede entwickeln können, und zwar dass sie zum Beispiel durch ihren überhohten perfektionistischen Leistungsanspruch ihre Kollegen dadurch auch überfordern können oder auch ein extremes Kontrollverhalten an den Tag legen, und das ärgert und demotiviert natürlich nicht nur die Kollegen, sondern es kann auch zu massiven Gesundheitseinschränkungen führen, nicht nur bei dem Arbeitssüchtigen selber, sondern auch halt bei den gesunden Kollegen.

    Pfister: Die Querelen mit den Kollegen, kommen die dann über direkten Druck zu Stande, weil die Arbeitssüchtigen auch die für ihren Arbeitsstil gewinnen wollen?

    Meissner: Also ich denke, dass die Arbeitssüchtigen weniger ihre Kollegen für ihre Vielarbeit gewinnen wollen, sondern dass das einfach mit zum Suchtbild und Krankheitsbild gehört.

    Pfister: Wie äußert sich denn so etwas eigentlich?

    Meissner: Also es äußert sich darin, dass zum Beispiel der Arbeitssüchtige nicht die Fähigkeit hat, Aufgaben zu delegieren, oder, ja, dass er, auch wenn die Kollegen nicht so reagieren, wie er es erwartet, auch mit Wutausbrüchen reagieren kann, also es ist eine Vielzahl von Indizien, die die Arbeitssucht im Prinzip ausmachen.

    Pfister: Woran merke ich denn selber, dass ich süchtig sein könnte?

    Meissner: Also, das ist natürlich das Problem wie es bei allen Suchtkrankheiten das Problem ist, die Sucht selber als solche zu erkennen ist sehr sehr schwierig für den Süchtigen selber, also das geschieht in der Regel auf Druck von außen, das heißt, dass der Arbeitgeber in diesem Fall reagieren muss, indem er zum Beispiel erst mal mit ihm spricht, und wenn das nichts nützt, dass er dann Aufgaben einschränkt oder Kompetenzen einschränkt und ihn, wenn es gar nicht anders geht, im Zweifel auch versetzt.

    Pfister: Das sind ein paar Handreichungen, die Sie den Unternehmen mitgeben, wie sie reagieren sollten. Wie nähert man sich denn da behutsam an, weil normalerweise ist es ja ein schleichender Prozess?

    Meissner: Grundvoraussetzung für das Unternehmen ist erst mal, dass die Arbeitssucht als Krankheit anerkannt sein muss, und wenn das der Arbeitgeber im Hinterkopf behält, dann bedarf es im Prinzip eins professionellen Personalrisikomanagements, der dann die Vielfalt von Arbeitssuchtindizien auch mit berücksichtigt, und zwar gibt es da vielerlei Instrumente, die ich auch detailliert in meiner Studie dargelegt habe, und wenn man die professionell anwendet, dann kann als Arbeitgeber halt auch als Ergebnis rauskommen, die Querelen, die entstanden sind, liegen halt nicht bei den Mitarbeitern, sondern bei dem Arbeitssüchtigen.

    Pfister: Das heißt, man muss erst mal ganz viel mit den Mitarbeitern reden?

    Meissner: Genau, das ist der erste Step überhaupt grundsätzlich.

    Pfister: Und das ist wahrscheinlich überhaupt im Personalmanagement eher Mangelware?

    Meissner: Da haben Sie leider Recht. Meine Erfahrungen sind, dass auch die Personalberater ihre aktive Rolle als Dienstleister nicht so wahrnehmen, wie sie es eigentlich sollten, wie es eigentlich ihre Aufgabe wäre, das heißt, Konflikte, die auch Arbeitssüchtige hervorrufen, gar nicht erst angesprochen werden, und das ist das größte Defizit, mit dem die Arbeitssucht zu kämpfen hat.

    Pfister: Ist es so, weil die Personalmanager selber zu wenig Ahnung davon haben, sind sie nicht richtig geschult?

    Meissner: Ich glaube, das liegt im Moment noch eher daran, dass Arbeitssucht gesellschaftlich überhaupt nicht anerkannt ist und auch nicht als Krankheit akzeptiert wird. Meine Theorie ist, wenn sich das langsam ändert, werden auch Personaler aufmerksamer auf diese Krankheit und können dann auch adäquater reagieren.

    Pfister: Haben Sie Hoffnungen, dass es sich ändern wird, gerade in Zeiten, wo der Druck eigentlich auf das Personal immer mehr wächst?

    Meissner: Das ist die Hoffnung, die ich in meinem Buch zum Ausdruck gebracht habe, dass sich da etwas ändert, weil die Kosten, die ich dort auch beschrieben habe und auch hergeleitet haben, sind wirklich eindeutig. Das bedeutet für kleinere Unternehmen sogar, dass die Existenz gefährdet ist, wenn sie einen Arbeitssüchtigen zum Beispiel in einer Spezialistenfunktion haben.

    Pfister: Wie entstehen diese Kosten überhaupt?

    Meissner: Also die Kosten entstehen zum einen, wenn Sie das betriebswirtschaftlich betrachten, indem zum Beispiel Arbeitsprozesse verzögert werden oder dass der Arbeitssüchtige den Überblick verliert und Fehlentscheidungen trifft oder auch einfach Fehler macht bei der Arbeit. Personalwirtschaftlich gesehen, drücken sich die Kosten ganz klar auch in erhöhten Fehlzeiten aus, bei dem Arbeitssüchtigen selber, aber auch bei den Kollegen, die diesem Druck ausgesetzt sind. Es kann zu Kündigungen führen oder auch Stichwort "innere Kündigung" von Kollegen, das führt natürlich auch zu Kosten.

    Pfister: Lassen Sie mich eben bei den erhöhten Fehlzeiten nachhaken. Das hört sich erst mal paradox an, jemand, der arbeitssüchtig ist, der versucht doch unter allen Umständen im Unternehmen zu erscheinen.

    Meissner: Ja, ein Arbeitssüchtiger, wenn Sie sich das vorstellen, der arbeitet Tag und Nacht, manchmal auch ohne Pausen, und auch am Wochenende durch, und irgendwann ist auch eine natürliche Grenze gesetzt, dann kann der Körper nicht mehr mithalten und der Arbeitssüchtige klappt im wahrsten Sinne des Wortes zusammen, also sprich, er hat einen Blackout und fällt für mehrere Monate aus.