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Viele Köche am Breitopf

Internet. - Die Online-Enzyklopädie Wikipedia gehört zu den populärsten Angeboten im Internet. Dennoch tauchen immer wieder Zweifel an der Seriosität der Informationen auf. Die Wurzel des Zweifels ist gleichzeitig die Quelle des Wikipedia-Erfolgs: Jeder kann zu den Einträgen beitragen und sie verändern.

Von Klaus Herbst | 14.08.2008
    An erster Stelle wird an Wikipedia immer wieder kritisiert, dass die Inhalte zu oberflächlich, einseitig oder überhaupt nicht oder falsch dargestellt werden. Die Kritiker verweisen auf die Klima-Debatte, die Frage nach den Ursachen der globalen Erwärmung - ob sie von Menschen gemacht ist oder nur einen natürlichen Klima-Wandel darstellt.

    "In der Frage des Klimawandels erleben wir, dass eben so ein Forum wie Wikipedia durchaus in die Hände von Aktivisten fallen kann, die eben eine ganz bestimmte Position durchpauken wollen. Damit bedrohen sie natürlich auch dieses Bild des demokratischen und offenen Forums","

    sagt Dr. Benny Peiser. Geboren in Haifa, Israel, und aufgewachsen in Westdeutschland arbeitet er heute als Sozialanthropologe an der John Moores University in Liverpool. Er ist Begründer des CCNet, einer alternativen Wissenschafts-Informationsplattform, die seit Ende der 90er Jahre über Aspekte der Naturwissenschaften und Wissenschaftspolitik informiert und den Anspruch hat, möglichst objektiv und sachkundig zu sein. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft arbeiten mit. Mit "Aktivisten" meint Peiser die so genannten Klimaskeptiker. Die überzeugt sind, der Klimawandel gehe nicht auf menschliche Aktivität zurück.

    ""Die Motive sind, dass die Leute, die total überzeugt sind von der Richtigkeit ihrer These, nicht bereit sind, eine andere Meinung auch nur in Erwägung zu ziehen. Das Problem kennen wir ja seit Jahr und Tag mit den Kampagnen gegen die Klimaskeptiker, dass man ihnen auf keinen Fall Gehör geben will und auch keine Plattform geben will. Nur in der Wissenschaft, leider, bewegen wir uns damit zurück in die Zeiten des Mittelalters, wo wissenschaftliche Kontroversen eben mehr Glaubensfragen waren als eine Debatte um die Richtigkeit von Fakten."

    Tatsächlich werden nicht nur ungewöhnliche, nicht plausible Einzelmeinungen mitunter gelöscht, immer häufiger kommt es auch zu obskuren Einträgen. Peiser:

    "Die Frage ist, ob die Minderheit, die Skeptiker ein faires Gehör bekommen. In einem offenen, elektronischen Netzwerk wie Wikipedia nahm man bisher an, dass das der Fall ist, dass also dort mit Minderheiten fair umgegangen wird. Aber jetzt stellt sich eben raus, dass diese Minderheit, diese wissenschaftliche Minderheit, kein faires Gehör bekommt. Das ist das Problem."

    Weitere Probleme ergeben sich durch zunehmend obskure, sektiererisch-religiöse, pseudowissenschaftlichen Einträge. Zum Beispiel das pseudo-theologische und -evolutionäre Thema "Kreationismus", eine variantenreiche Entstehungslehre. Wikipedianer haben die entsprechende Seite bereits mit dem Warnhinweis versehen, sie könne bald gelöscht werden, würden Zitate nicht endlich wissenschaftlich sauber ausgewiesen. Wikipedia-Deutschland hat erst im Juni das Projekt "Gesichtete Versionen" gestartet. Versionen von Lexikon-Einträgen sollen ein weiteres Mal gesichtet und die Verlässlichkeit so gesteigert werden. Das Experiment steht nach Auskunft eines deutschen Wiki-Sprechers nach wenigen Monaten schon wieder vor dem Aus. Wiki- Pressesprecher Jay Walsh aus San Francisco nennt weitere Knackpunkte.

    "Die Frage ist mehr als berechtigt, ob man es einem Wikipedia-Autor zumuten kann, die gesamte Fachliteratur zu studieren - sicher nicht! Niemand kann alle Informationen integrieren, um dann die richtige Entscheidung zu treffen. Wir glauben an die Prinzipien der gutwilligen Zusammenarbeit, und wir vertrauen auf die Informanten. Klimatologie, Klimawandel und Umweltschutz - aber auch alle anderen kontroversen Themen - stehen in diesem Kontext. Neutralität gibt es nicht, aber dass Individuen Teile des Inhalts löschen und verändern, ist Teil unseres Konzeptes. Dieser kollaborative, tendenzfreie Prozess erklärt den Erfolg von Wikipedia. Beweist jedoch jemand ein besonders tiefes Verständnis, wird dies von den anderen respektiert."