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Viele Köche verdarben den Brei:

New York, 30. Mai, acht einhalb Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center werden die Aufräumarbeiten in einer schlichten Zeremonie offiziell für beendet erklärt: 1,8 Millionen Tonnen Schutt sind abgetragen, dabei 1.115 Tote geborgen worden. 1708 Opfer werden niemals gefunden werden.

Peter Lange |
    New York, 30. Mai, acht einhalb Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center werden die Aufräumarbeiten in einer schlichten Zeremonie offiziell für beendet erklärt: 1,8 Millionen Tonnen Schutt sind abgetragen, dabei 1.115 Tote geborgen worden. 1708 Opfer werden niemals gefunden werden.

    Ich sage nicht, dass es unmöglich gewesen wäre, mit etwas Glück einem oder mehreren der Flugzeugentführer auf die Spur zu kommen.

    Am Abend vorher hat Robert Müller, der Direktor der Bundespolizei FBI, erstmals angedeutet, dass die Anschläge vom 11. September unter Umständen hätten verhindert werden können. Washington, 11. Juni: Vor dem Kongress demonstrieren Angehörige der Opfer der Anschläge auf das Pentagon und das World Trade Center.

    Bitte nehmen Sie das Telefon, rufen Sie ihren Senator und ihren Kongressabgeordneten an. Sagen Sie ihnen, dass sie in Sicherheit leben wollen. Sagen Sie ihnen, dass sie eine unabhängige Untersuchung wollen. Wir wollen niemals mehr die Frage stellen: Wie konnte das passieren.

    Rückblende: 16. Mai. Ein Hauch von Watergate liegt in der Luft. Was wusste der Präsident, und seit wann wusste er es? Die New York Times hat berichtet, der Präsident sei am 6. August, also Wochen vor dem 11. September, vom Geheimdienst CIA über drohende Anschläge der Al-Quaida-Organisation informiert worden. Monatelang hatte die Regierung behauptet, es habe keinerlei Hinweise auf die geplanten Anschläge gegeben. Warum erfährt die Öffentlichkeit erst jetzt, dass es offenbar doch welche gegeben hat. Hillary Clinton, demokratische Senatorin von New York:

    Der Präsident mag im Moment nicht in der Lage sein, auf alle diese Punkte zu reagieren. Aber er ist in der Lage, wenigstens einige Fragen zu beantworten, zum Beispiel diese: Warum erfahren wir heute, am 16. Mai, von der Warnung, die er erhalten hat? Warum haben wir nicht am 16. April davon erfahren, oder März oder Februar oder Januar oder am 16 August – vergangenen Jahres?

    Enge Mitarbeiter des Präsidenten weisen den Bericht zurück. Seit 1998 haben amerikanische Regierungen die Al-Quaida-Organisation im Blick: Das Attentat auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania wird ihr ebenso zugeschrieben wie der Anschlag auf den Zerstörer Cole. Am 6. August aber habe Präsident Bush nur eine allgemeine Darstellung erhalten über die Aktivitäten des Terror-Netzwerks. Das Papier des Geheimdienstes habe keinerlei spezifische Informationen über eventuell bevorstehende Anschläge enthalten. Sicherheitsberaterin Condolezza Rice räumt ein, die CIA habe allgemeine Hinweise gehabt über geplante Flugzeugentführungen, allerdings in Europa und überdies ohne Angaben über Zeitpunkt und Ort. Das alles sei Second guessing, sagt George Bush verärgert, was so viel heißt wie Besserwisserei.

    Wenn ich von dem Plan gewusst hätte, dass der Feind Verkehrsflugzeuge an diesem schicksalhaften Morgen zum Töten benutzen würde, hätte ich alles in meiner Macht Stehende getan, um das amerikanische Volk zu beschützen.

    Und Vizepräsident Dick Cheney richtet eine scharfe Warnung an die Demokraten im Kongress, dieses Thema zu Wahlkampf-Zwecken auszuschlachten:

    Was ich meinen demokratischen Freunden im Kongress grundsätzlich sagen möchte: Seien sie vorsichtig und versuchen sie nicht, politische Vorteile zu erzielen durch hetzerische Andeutungen, wie das einige heute getan haben, dass nämlich das Weiße Haus über genauere Informationen verfügt habe, mit denen die tragischen Ereignisse vom 11. September hätten verhindert werden können.

    Die öffentliche Diskussion über Versäumnisse vor dem 11. September, über die politische Verantwortung und personelle Konsequenzen, ist bislang vermieden worden. Nun aber, mehr als acht Monate nach den Anschlägen, ist sie nicht mehr einzudämmen. Denn an jenem 16. Mai wird noch etwas anderes bekannt: Ein FBI-Agent in Phoenix hat schon am 10. Juli vergangenen Jahres in einem Vermerk auf eine Häufung von Flugschülern aus dem arabischen Raum aufmerksam gemacht und empfohlen, alle Flugschulen zu überprüfen auf Leute, die womöglich Verbindungen zu Terrorgruppen haben. Jetzt stellen auch Politiker der Republikaner Fragen. Senator Richard Shelby aus Alabama zum Beispiel. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Geheimdienstausschusses:

    Es geht nicht darum, was der Präsident wusste. Es geht darum, was der Präsident nicht wusste und warum er es nicht wusste. Und ich glaube, er wusste nichts, weil wir einige schwere Aufklärungspannen hatten. .

    Senator Shelby wird wenige Tage später durch einen 13-seitigen Brief bestätigt, datiert auf den 21. Mai und verfasst von der leitenden FBI-Mitarbeiterin Coleen Rowley aus Minneapolis. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen die Führung der Behörde im Zusammenhang mit dem Fall Zacarias Mussaoui. Der gebürtige Marokkaner mit französischem Pass gilt als 20. Attentäter vom 11. September. Er war ebenfalls an einer Flugschule und wurde in Minnesota drei Wochen vor den Anschlägen wegen Verstößen gegen das Einwanderungsgesetz festgenommen. Den FBI-Beamten kommt der Mann verdächtig vor. Sie beantragen bei ihren Vorgesetzten die Genehmigung, seinen Laptop zu untersuchen. Das aber wird abgelehnt, weil angeblich die Verdachtsmomente nicht ausreichen. Als die Beamten über den kurzen Dienstweg versuchen, Informationen des Geheimdienstes CIA beizubringen, die dieser wiederum vom französischen Geheimdienst hat, werden sie gerügt. Fazit von Coleen Rowley: die mittlere Führungsebene des FBI habe ständig die Ermittlungen blockiert. In der Behörde herrsche ein Klima der Angst: Wer Verantwortung übernimmt, wird bei Fehlschlägen disziplinarisch belangt. Wer sich wegduckt, macht Karriere. Der Brief aus Minneapolis bleibt nicht der einzige Hinweis auf Versäumnisse. Aber er ist letztlich der Anlass dafür, dass die Geheimdienstausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus am 24. Mai parteiübergreifend beschließen, eine Untersuchung einzuleiten. Wieso ist es den 14 Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden, die den amerikanischen Steuerzahler jährlich viele Milliarden Dollar kosten, nicht gelungen den Attentätern auf die Spur zu kommen? Wieso war da niemand, der den Überblick hatte, der in der Lage war, die Mosaiksteine zu einem Bild zusammen zu fügen? Und es muss auch grundsätzlich um das interne Klima und das Selbstverständnis der Sicherheitsbehörden gehen, verlangt Senator Bob Graham, Demokrat aus Florida und Vorsitzender des Senats-Ausschusses:

    Warum hat es bei den Geheimdiensten so lange gedauert, den Übergang von ihrer Kalten-Kriegs-Mentalität zu der sehr viel komplizierteren Welt zu schaffen, in der wir heute leben? Warum gab es diese Lücke in der Vorstellungskraft, um diese praktisch im Neonlicht stehenden Probleme zu erkennen, die dann als Routineangelegenheit behandelt wurden?

    Noch bevor die Geheimdienstausschüsse mit ihren vertraulichen Anhörungen beginnen, kommen neue Fakten ans Tageslicht, die nun auch den Geheimdienst CIA schlecht aussehen lassen. CIA-Agenten, so meldet das Nachrichtenmagazin Newsweek am 2. Juni unwidersprochen, haben schon im Januar 2000 in Malaysia ein Treffen von etwa 12 Al-Quaida-Leuten beobachtet und zwei Teilnehmer namentlich identifiziert. Diese zwei gehörten anderthalb Jahre später zu jenen Terroristen, die den Anschlag auf das Pentagon verübten. Die CIA versäumte aber, ihre Erkenntnisse an inländische Behörden weiterzugeben. Die beiden Männer konnten unbehelligt in die USA ein- und ausreisen, lebten unter ihren eigenen Namen. Erst am 23. August wurde laut Newsweek das FBI informiert. Da waren die beiden aber schon untergetaucht. Jetzt räumt auch Präsident George Bush öffentlich ein: Die Geheimdienste und die Sicherheitsbehörden haben vor dem 11. September versagt.

    Was die Frage betrifft, ob das FBI und die CIA angemessen kooperiert haben, ist es, denke ich, klar, dass sie das nicht getan haben. Wir haben das Thema angesprochen. Jetzt gibt es eine bessere Kommunikation zwischen FBI und CIA und einen besseren Austausch an Aufklärungsergebnissen.

    Wenn es in diesen Tagen eine Taktik der Regierung gibt, dann besteht sie aus zwei Elementen. Zum einen sickern aus dem Behördenapparat täglich unspezifische Warnungen vor möglichen Terroranschlägen heraus, die die Aufmerksamkeit der Medien beanspruchen. Als Ziele werden mal die Vergnügungsparks in Florida genannt und die Wasserversorgung von New York, mal sind es Wahrzeichen wie die Brooklyn-Bridge und die Freiheitsstatue. Dann wird vor Unterwasser-Anschlägen auf Atomkraftwerke gewarnt, schließlich vor Attacken auf den Luftverkehr. Allerdings: Der Heimatschutzbehörde sind diese Warnungen nicht wichtig genug, um die Alarmstufe zu erhöhen. Seit Mitte Mai vergeht außerdem kein Tag, an dem nicht ein Regierungsmitglied auf die Gefährdung durch Terrorgruppen in Verbindung mit Terror-Regimen hinweist. Und: Die USA befinden sich im Krieg, im Krieg gegen den Terrorismus. Das andere Element der Regierungstaktik ist die Flucht nach vorn. Das FBI soll neu organisiert werden. Sein Direktor Robert Mueller hat bei beiden Parteien einen ausgezeichneten Ruf. Er gilt als Macher und vor allem als politisch unbelastet, denn er hat sein Amt erst eine Woche vor dem 11. September angetreten. Am 29. Mai stellt Mueller sein Konzept für die Reform des FBI vor. Die Bundespolizei soll von einer Behörde zur Verfolgung von Straftaten in eine zur Verhinderung von Straftaten umgewandelt werden. Aufgabe Nummer eins: Die Abwehr eines weiteren Terroranschlags.

    Ich glaube, unsere Prioritäten mindestens in den nächsten beiden Jahren sind: Nummer 1: Schutz der USA vor Terrorangriffen.

    Rund 500 Beamte, bisher eingesetzt gegen Drogenkriminalität, Wirtschaftsverbrechen und andere Straftaten sollen zur Terrorismus-Abwehr versetzt werden. Außerdem sollen 900 neue Mitarbeiter engagiert werden: Computerexperten, Ingenieure, Sprachwissenschaftler. Insgesamt wäre dann ein Viertel der 11.500 Mitarbeiter mit der Terrorismus-Abwehr befasst. Weiteres Ziel der Reform: eine stärkere Vernetzung mit der CIA. Im FBI soll ein Geheimdienst-Büro etabliert werden, in dem 50 CIA-Beamte arbeiten werden. Mueller verlangt von seinen Leuten auch Änderungen in den Köpfen, ein anderes Selbstverständnis.

    Weil wir uns auf die Verhinderung von Terrorangriffen konzentrieren, müssen wir starker als in Vergangenheit offen sein für neue Ideen, für Kritik von innen wie von außen. Und wir müssen bereit sein, aus unseren Fehlern zu lernen.

    Die Reformpläne des FBI-Chefs werden in den US-Medien generell begrüßt. Es gibt nur eine gewisse Skepsis. Auch Muellers Vorgänger Louis Freeh wollte das FBI reformieren. Er gründete jene Anti-Terrorismus-Abteilung, die sich jetzt dem Vorwurf ausgesetzt sieht, wichtige Hinweise auf die Anschläge des 11. September ignoriert zu haben. Heftige Diskussionen löst dagegen aus, was am Tag darauf, am 30. Mai, Justizminister John Ashcroft verkündet: Eine sofort wirksame Neufassung der Richtlinien für die Arbeit der FBI-Agenten. Die stammen aus dem Jahr 1976 und wurden von einem republikanischen Justizminister erlassen, nachdem ein Untersuchungsausschuss des Kongresses unter dem Senator Frank Church Machtmissbrauch und Kompetenzüberschreitungen von FBI und CIA festgestellt hatte.

    Um terroristische Aktivitäten aufzudecken oder zu verhindern, ist das FBI autorisiert, öffentliche Plätze und Veranstaltungen unter denselben Bedingungen aufzusuchen, die für die allgemeine Öffentlichkeit auch gelten.

    Liberale Politiker und Bürgerrechtsorganisationen sind alarmiert. Sie befürchten, dass mit der Lockerung der Richtlinien die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu Lasten der Bürgerrechte verschoben wird. Laura Murphy von der American Civil Liberties Union halt die Neuregelung für unnötig.

    Immer wenn die Regierung in Schwierigkeiten steckt, fordert sie mehr Macht. Erst waren es die Sondergesetze des US-Patriot-Act, dann Militärtribunale, dann die Einschränkung des Zugangs von Verteidigern und nun das. Es ist empörend. Das FBI hat diese Vollmachten jetzt schon. Das einzige, was für Ermittlungen erforderlich ist, ist ein konkreter Verdacht. Diese neuen Richtlinien erlauben dem FBI überall hinzugehen ohne einen bestimmten Zweck.

    Die Bürgerrechtler argwöhnen, dass Justizminister Ashcroft nur nach einem Vorwand gesucht habe, um politische Ziele durchzusetzen, die er auch schon vor dem 11. September verfolgt habe: Die Einschränkung der Bürgerrechte. Ein Indiz: ein Antrag des FBI auf mehr Geld für die Terrorismus-Bekämpfung wurde vom Justizministerium noch am 10. September abgelehnt. Laura Murphy sieht das FBI auf dem Weg zurück in die unseligen Zeiten von J. Edgar Hoover, als die Bundespolizei wie ein Inlandsgeheimdienst politisch missliebige Dissidenten bespitzelte und nicht einmal die Privatsphäre des Präsidenten respektierte. John Ashroft lässt allerdings diese Einwände nicht gelten. Die Änderungen seien notwendig im Interesse einer wirksamen Bekämpfung des Terrorismus. Die Bürgerrechte würden davon nicht tangiert.

    Die Bestimmungen dieser Richtlinien warnen ausdrücklich vor dem, was damals getan wurde. Es ist rechtswidrig, irgendwelche Dossiers oder Akten anzulegen über Personen der Öffentlichkeit oder über Religionsführer. Die Gesetze über den Schutz der Privatsphäre gelten und sind weiterhin in Kraft.

    Unterstützung bekommen die Bürgerrechtsorganisationen aus einer politischen Richtung, aus der sie diese nicht erwarten können. Auch James Sensenbrenner, Kongressabgeordneter aus Wisconsin, Vorsitzender des Justizausschusses im Repräsentantenhaus, ein über Parteigrenzen anerkannter Konservativer von altem Schrot und Korn, stellt sich gegen die Neuformulierung und Lockerung der FBI-Arbeitsrichtlinien.

    Ich werde sehr empfindlich, wenn Polizeibehörden des Bundes gesagt wird: Geht zurück in die schlechte alte Zeit, als das FBI Leute wie Martin Luther King bespitzelte. Die Richtlinien des damaligen Justizministers Levy sollten verhindern, dass das noch einmal passiert. Und mir hat bisher niemand erklärt, dass es an diesen Richtlinien lag, dass die Anschläge vom 11. September passiert sind.

    Bürgerrechtsorganisationen wie Sicherheitsexperten sehen die Gründe für das Versagen von Bundespolizei und Geheimdiensten vor dem 11. September auch ganz woanders. Das FBI hat kein Problem mit der Informationsbeschaffung, sondern mit der Auswertung. Nach Angaben von Direktor Mueller sitzt die Bundespolizei auf einem Berg von Millionen Seiten Papier, Material über Terrorismus, gesammelt seit rund zehn Jahren, aber eben nicht aufbereitet, in keinem Computer verfügbar und deshalb kaum zu gebrauchen. Einen Blick in die innere Verfassung der amerikanischen Bundespolizei ermöglicht am 6. Juni der Kongress. Denn während die beiden Geheimdienstausschüsse hinter verschlossenen Türen ihre gemeinsame Untersuchung vorbereiten, hat der Justizausschuss des Senats Robert Mueller und Coleen Rowley, die FBI-Mitarbeiterin aus Minneapolis, zu einer Anhörung geladen.

    Die Notwendigkeit eines Wandels war schon vor dem 11. September offensichtlich. Er ist seither noch dringender geworden.

    Die siebenstündige Anhörung zeigt das FBI als einen Apparat mit typischen Bürokratie-Problemen. So sind acht Ebenen zu überwinden, um von ganz unten zum Chef zu kommen. Die verschiedenen Instanzen der Hierarchie verstehen sich als Schleusenwärter, die entscheiden, was durchkommt und was nicht. Im FBI, so wird deutlich, herrscht ein Korpsgeist, der in erster Linie darauf ausgerichtet ist, Fehler zu vermeiden. Dies korrespondiert mit dem schlechten Image, das die Bundespolizei in den letzten 30 Jahren erworben hat. FBI-Agenten gelten als arrogant; sie kooperieren unzureichend mit den Polizeien der Bundesstaaten und der Städte. Die Animositäten mit der CIA haben ebenfalls eine lange Tradition. Dazu kommt ein systemimmanenter Konflikt: Das FBI braucht gerichtsverwertbare Beweise und muss darlegen können, dass diese Beweise auf legalem Wege erlangt wurden. Die CIA kann und will aber ihre Quellen nicht offen legen. Und schließlich: Was die Ausrüstung mit Computern angeht, liegt das FBI hoffnungslos zurück. Das FBI trägt schwer an den Folgen einer verschleppten Modernisierung, für die die Behörde nicht allein verantwortlich ist. Konservative Senatoren wie der Republikaner Jon Kyl aus Arizona nehmen frühere Regierungen, aber auch den Kongress in Mithaftung für die Zustände bei der Bundespolizei.

    Ich komme auf über 20 Hearings, die wir seit 1997 zum Thema Terrorismus hatten. Bei mindestens zwei dieser Hearings wurde der frühere FBI-Chef Louis Freeh angehört. Er hat uns immer und immer wieder um mehr Kompetenzen ersucht. Senatorin Dianne Feinstein und ich haben das in die Gesetzgebung eingebracht. Konnten wir unsere Kollegen dazu bringen, dem zuzustimmen? Nein! Nach dem 11. September war wundersamerweise jeder einsichtig.

    Die Anhörung vor dem Senatsausschuss für Justiz am 6. Juni war seit Tagen mit Spannung erwartet worden. Doch auch diese Anhörung wird von der Bush-Administration auf eine eigenartige Weise unterlaufen. Mittags sickern erste Informationen durch, dass der Präsident am Abend im Fernsehen eine umfassende Regierungsreform bekannt geben wird.

    Heute abend schlage ich die Schaffung eines Ministeriums für die Innere Sicherheit der USA vor, in der die zentralen Behörden vereint sein werden, die künftig enger zusammenarbeiten sollen, darunter die Küstenwache, die Grenzpolizei, der Zoll, die Einwanderungsbehörde, das Amt für Transportsicherheit und der Katastrophenschutz.

    22 Behörden oder Abteilungen von Ministerien sollen in das neue Ressort eingehen. Mit 169.000 Mitarbeitern und einem Haushalt von 37 Milliarden wäre es das zweitgrößte nach dem Verteidigungsministerium. Bei den Demokraten läuft Bush mit dieser Initiative offene Türen ein. Senator Joseph Lieberman hat schon im vergangenen Herbst vorgeschlagen, das Büro für Heimatschutz aufzuwerten: Kabinettsrang für seinen Leiter und ein eigenes Budget. Präsident Bush hielt das damals nicht für nötig. Seine Kehrtwende wird jetzt von den Demokraten unterstützt.

    Tatsache ist: die katastrophalen Ereignisse des 11. September haben bewiesen, dass der Status quo, was die innere Sicherheit angeht, nicht funktioniert hat. Deshalb begrüße ich den Vorschlag und werde mit dem Präsidenten zusammenarbeiten, damit die dafür notwendigen Gesetze rasch verabschiedet werden.

    Die Republikaner sind eher skeptisch. Sie befürchten eine noch größere und noch teurere Bürokratie, auch wenn der Präsident versichert, der Aufbau des Ministeriums werde nicht mehr kosten. Inzwischen ist klar, dass beide Parteien das Projekt des Präsidenten grundsätzlich unterstützen werden. Allerdings wird die Vorlage im Kongress mit Sicherheit verändert werden. Der Zeitplan ist ehrgeizig: Geplant ist, dass das notwendige Gesetz am 11. September dieses Jahres unterzeichnet werden, und zum 1. Januar 2003 soll das neue Ministerium arbeitsfähig sein. Der Kampf gegen die Beharrungskräfte der Bürokratie von Washington könnte zur echten Bewährungsprobe für George Bush werden. Der Sturz der Taliban in Afghanistan könnte dagegen eine Kleinigkeit gewesen sein.