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Viele Pfoten und ein Schlitten

Ein alleinstehendes Holzhaus am Waldrand bei Frauenau. Stille herrscht hier selten. Denn auf diesem Hof leben mehr als 50 Hunde. Die Ohren neugierig gespitzt, traben die einen auf ausgetretenen Spuren über den festgebackenen Schnee.

Von Claudia Fried |
    Die anderen sitzen ruhig auf ihren Hinterläufen, den Blick fest auf die Haustür geheftet. Als Herrchen aus dem Haus tritt, wird es hektisch. Die Vierbeiner rennen wild hin und her. An langen Leinen, die auf Rollen über Drahtseile scheppern.

    "Wer mal vom Schlittenhundevirus befallen ist, der kommt davon nicht mehr los. Das Leben ist sehr intensiv mit den Hunden, sie fordern viel Konsequenz, was ein normaler Mensch nicht mehr hat, du musst immer da sein, fit sein, die Hunde merken sofort, wenn du nicht da bist, da geht nix mit dickem Schädel morgens zu den Hunden gehen."

    Thomas Gut ist der Besitzer der Hunde. Er betreibt mit ihnen eine Schlittenhunde-Fahrschule. An diesem kalten Wintermorgen hat er drei Frauen im Schlepptau, die einen einwöchigen Kurs bei ihm gebucht haben. Und weil Liebe bekanntlich durch den Magen geht, dürfen die Feriengäste "ihre" Schlittenhunde vor dem Ausfahren mit Fleischbrühe füttern. Die großen Tiere stürzen sich schlabbernd auf die dampfenden Schüsseln.

    Claudia Kappel geht beherzt zwischen den Hunden umher, sie ist schon zum dritten Mal auf dem Huskyhof im Bayerischen Wald.

    "Ich hab eine Vorliebe für Kanada. Und da es doch ein Wagnis ist gleich für drei Wochen so eine Hundeschlittentour zu machen, hab ich mir das Buch besorgt vom Thomas und hab dann hier gebucht im Bayerischen Wald, und jetzt mach ich's zum dritten Mal. Aber dieses Jahr geht's auch noch eine Woche nach Finnland."

    Claudia Kappel ist schon eine fortgeschrittene Musherin, wie man die Hundeschlitten-Fahrer nennt. Veronika aus Wien dagegen ist Anfängerin, aber auch sie wird schon heute am ersten Tag allein hinter ihrem Hundegespann auf dem Schlitten stehen. Mit den Kommandos "Gee" und "Hoo" die Richtung vorgeben, und den Schlitten durch die Kurven steuern. Ein bisschen fahrig und nervös macht Vroni die Trockenübungen auf dem Holzschlitten mit. Vor allem auf die Bremstechnik legt Thomas Gut wert. Das ist wichtig beim Bergabfahren, damit der Schlitten den Hunden nicht in die Beine. Als der "Fahrlehrer" erwähnt, dass jeder Schlittenhund das 10-fache seines Körpergewichts ziehen kann, wird die Wienerin blass um die Nasenspitze.

    "Aber Tom du, i hab 43 Kilo. Vielleicht hab i 45. "Macht nix, Maria hat a net mehr" Schau mal, die Maria ist leichter als du, hat kleinere Füße und hat vier Hunde. Net scho wieder rechtfertigen, dass ma nachher net bremst. Du bremst und wenn du mit mir Ärger haben willst, tust net bremsen, und wenn du mir eine Freude machen willst, dann bremst."
    Atmo alle Hunde schreien vor dem Start, einer knallt fortwährend die Kiefer zusammen beim Bellen, nah:

    Veronika will alles richtig machen, doch die Hunde registrieren ihr Zaudern, verwickeln sich beim Anspannen ständig in den Leinen. Leithund Wasti soll auf Kommando "Lineout" die Zugleine straff halten, aber er rennt vor und zurück, springt in die Luft und bellt. Der Lehrer hilft, mahnt zur Eile, lange könne man die Hunde nicht mehr zurückhalten, sie wollen jetzt rennen. Der größte Instinkt bei Schlittenhunden, ob reinrassig oder gekreuzte Mischungen. Jeder Hund bellt sich am Start die Seele aus dem Leib. Thomas Gut löst als erster seinen Schneeanker, und mit dem Kommando "Okey" beginnt die rasante Fahrt durch den Naturpark Regenhütte am Fuße des Großen Arber.

    Das fiebrige Gebell weicht augenblicklich dem gleichmäßigen Atmen der Tiere und dem Surren der Kufen auf festem Schnee. Die Hundepfoten schleudern Schneeklümpchen durch die Luft, im gleichmäßigen Rhythmus ihrer Sprünge. Es geht auf einem schmalen Waldweg 400 Höhenmeter bergauf. Die Fichten am Wegesrand lassen unter den Schneemassen ihre weiß verschneiten Äste hängen.

    Nach sechs Kilometern hält der Tross zum ersten Mal. Thomas Gut gibt Instruktionen für die Bachdurchfahrt. Die Schlüsselstelle, sagt er, habe schon für etliche Dramen gesorgt. Die Musher müssen in einer Linkskurve von den Kufen springen und dann bergab durch den Bach mitlaufen. Dabei aber den Schlitten auf keinen Fall loslassen, sonst sind die Hunde weg. Silvia Haug, die dritte Kurs-Teilnehmerin kennt sich aus. Sie lenkt nicht zum ersten Mal ein Hundegespann.

    Mit der Hand am Schlitten, springt die Frau kurz vor dem köcheltiefen Wasser von den Kufen. Der Schlitten schleift über das steinige Bachbett. Haug macht zwei Sätze durchs Wasser, und schnellt dahinter elegant zurück auf die Kufen.

    Beim ersten Mal, kann sie sich erinnern, habe das nicht so gut geklappt.

    "Sind alle öfters mal runtergefallen, und so weiter und so fort, ist nichts schlimmes passiert, aber so dieser Genuss war des dann net, wie man ihn heute bei schönem Wetter hat, man steht da, die laufen schön, Rhythmus und man merkt, es kommt dieser tiefe innere Frieden, und man könnte einfach immer so stehen bleiben und weiterfahren, das ist schon toll."

    Die Sonne steht hoch am Himmel. Eiskristalle fliegen durch die Luft, so kalt ist es. Trotzdem friert hier niemand. Denn an steilen Passagen müssen die Musher mitlaufen. Der Schnee quietscht unter ihren Schuhen. Am Wegesrand plätschert der blaugraue Gebirgsbach. Von der Uferböschung her wachsen Schnee und Eis über den Strom.

    Nach etwa drei Stunden kehrt die Gruppe zurück zum Hof. Veronikas Gesichtszüge haben sich entspannt. Sie tätschelt ihrem Leithund Wasti dankbar den Kopf, füttert ihn mit kleinen Lachshäppchen.

    "Ich war so nervös, und natürlich, das überträgt sich auf die Hunde, die merken des ganz genau, da ist hinten oben eine, die hat von nichts eine Ahnung und a Angst hats ah no, lacht, aber die sind so brav, ganz toll waren meine Hunde zu mir."

    Für die Feriengäste ist der Tag erst zu Ende, als der Hof gesäubert, die Ausrüstung verräumt, und 30 Kilo Futter an die Hunde verteilt sind. Ein bisschen ist das wie Urlaub auf dem Bauernhof, nur im Winter und ohne Kühe. Am späten Nachmittag sind die Ferien-Gäste fertig mit der Arbeit. Es gibt Tee und Plätzchen in der ofenwarmen Familienstube. Während sich die Schlittenhunde draußen genüsslich im kalten Schnee wälzen.