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"Viele Syrer sind für den Angriff, ich bin dagegen"

Beim 33. Erlanger Poetenfest war auch der Schriftsteller Rafik Schami zu Gast. Seit mehr als 40 Jahren lebt er in Deutschland, doch im drohenden Schatten der Syrien-Eskalation wurde ihm besonders aufmerksam zugehört. Dem Westen warf er Versagen vor.

Von Corinna Mielke | 02.09.2013
    "Der aus Damaskus kommt" - das bedeutet der Name Rafik Schami. "Der aus Damaskus kommt" wollte reden, der Moderator brauchte nicht viel mehr als die Eingangsfrage zu stellen: Wie konnte es zu dieser Eskalation in Syrien, einem Jahrtausende alten Kulturland überhaupt kommen? Rafik Schami nennt drei entscheidende Elemente: die arabische Ehre, die Diktatur, und die Sippe - die in der Wüste überlebenswichtig - heute eine Fessel für jede Entwicklung sei.
    "Die westliche Zivilisation ist das Modell für die Welt ob uns das gefällt oder nicht, und die baut auf das Individuum, Freiheit des Einzelnen, das ist das eine. Das andere ist: Wir haben nun mal eine Diktatur seit 40 Jahren - 40 Jahre. Die Deutschen leiden bis heute unter zwölf Jahren Diktatur. Da können Sie sich vorstellen, wie ein Land unter der Diktatur einer Familie 40 Jahre lang geknebelt wurde. 15 Geheimdienste, das muss man wissen. Normalerweise reicht ein Geheimdienst."

    Die Opposition ist verschwunden, sitzt im Gefängnis, oder gehört zu den 50.000 Intellektuellen, die wie Rafik Schami ausgewandert sind.

    "Sie dürfen sich nicht äußern, fünf Jahre Gefängnis für ein Gedicht, dann ist ihre Sippe gegen sie. Ich habe immer gesagt: Ich bin in Deutschland zu meiner Leistung gekommen, weil ich hier nicht nur den Geheimdienst losgeworden bin, sondern meine Tante, meine Schwiegermutter, alle bin ich losgeworden. Wenn Sie schreiben, haben Sie nicht den Geheimdienst als ersten Gegner, sondern Ihre Familie, Ihre Sippe. Man sagt, der ist von den Israelis bezahlt worden um unseren Ruf schlecht zu machen, das heißt die ganze Familie duckt sich und beschuldigt Sie, - nicht das System!"

    Und das System Assad arbeitet mit Gewalt. Seit Jahrzehnten.

    "Ein Herrscher, wo gab's das, ein Herrscher, der seine eigenen Städte mit Skud-Raketen … Lassen wir das mit dem Gift, diese Diskussion nervt mich langsam. Der hat doch vor dem Gift schon 100.000 Tote zu verantworten, und die Welt schaut zu."

    Syriens Pech: seine geopolitische Lage. Rafik Schami will sich als Intellektueller nicht mehr über Syrien äußern, zu spät. Seit sich die Revolution zu einem Bürgerkrieg und zu einem Mächtespiel mit Waffengewalt entwickelt, ist das nicht mehr sein Terrain.

    "Ich lehne die Angriffe der Amerikaner ab, aber ich verstehe jeden Syrer, der dafür ist. Viele Syrer sind für den Angriff, ich bin dagegen. Weil ich weiß die Amerikaner haben mit Angriffen nur schlechte Sachen gemacht. Schauen Sie Afghanistan, schauen Sie den Irak, ich habe kein Vertrauen dass das etwas bringt. Weil sie kein Konzept für danach haben? Nein, nein, haben sie nicht. Die wären klüger gewesen, wenn sie gesagt hätten o.k., der Aufstand ist aufgebrochen wir unterstützen die liberalen Kräfte, nein, haben sie nicht gemacht."

    Der Krieg würde auf jeden Fall weitergehen. Dem Westen wirft Schami schon zu lange Untätigkeit vor.

    "Wir betteln um Hilfe der liberalen Kräfte und bekommen Hilfe immer zögernd, mit einem Teelöffel, während die Saudis mit dem Bulldozer ihren Fundamentalisten helfen, ohne Wenn und Aber kommen. Das ist doch unser Scheitern, die liberalen demokratischen Kräfte sind gescheitert, ihrer Fraktion beizustehen, Rundfunke zu gründen in der Türkei, Jordanien, Libanon, die Bevölkerung aufklären. Die Syrer haben nicht alle Internet. Meine ganze Familie, also die zweite Generation schon aber meine Brüder, die haben kein Internet. Die sind angewiesen aufs Radio."

    Einen Sender wie 'Voice of America' hat Schami vermisst. Und ernsthafte Hilfe für die Flüchtlingslager auf türkischem Boden. Dabei wüssten die Europäer doch eigentlich, wie es gehen kann:

    " Die haben gegen ein atomraketenbewaffnete Russland mit ganz sanfte Einmischungen über Polen, haben die geknackt, die haben wirklich raffiniert, genial, mit Solidarnosc haben die den Sowjetkommunismus geknackt. Ohne Krieg, ohne eine einzige Rakete starten zu lassen, das ist genial. So hätten sie reagieren können."

    Rafik Schami konstatiert nicht als Einziger auf dem Poetenfest die generelle Schwäche der - von ihm sehr hoch gehaltenen – westlichen Demokratien.

    "Also man soll Merkel nicht verteufeln, weil Hollande nicht besser ist, und Cameron ist nicht besser. Es ist nicht nur eine Sache, die nur in Deutschland gescheitert ist. Also es ist der Westen, der irgendwie wie gelähmt ist."