Als 1902 der Campanile auf dem Markusplatz zusammenstürzte, war relativ schnell klar: Er muss wieder aufgebaut, er muss rekonstruiert werden. Venedig ohne diesen Turm, das geht nicht. Das Bedürfnis nach Symbolen, Wahrzeichen und geschichtlicher Kontinuität, nach kulturellem Gedächtnis ist so stark, dass wir im Alltag oft nicht mehr wahrnehmen, in wie hohem Maße viele historische Bauwerke Artefakte, Re-Konstruktionen und damit eben auch Konstruktionen von Geschichte sind, die oft einen ganz bestimmten Forschungsstand wiedergeben.
Um uns mit der Nase auf diesen Tatbestand zu stoßen, lässt uns der Ausstellungsleiter Winfried Nerdinger an Fotowänden mit rund 200 Fallbeispielen vorbeidefilieren, an denen die Wiedergewinnung schon verloren geglaubter Bauwerke demonstriert wird: Oben sieht man, so weit zu sichern, den Originalzustand, in der Mitte die Zerstörung, unten die Restaurierung oder Rekonstruktion.
Nehmen wir ein herausragendes Beispiel der Romanik, den Kaiserdom in Speyer: Das Längsschiff wurde in den pfälzischen Erbfolgekriegen komplett zerstört und war 100 Jahre lang Ruine.
Winfried Nerdinger: "In der Mitte des 18.Jahrhunderts hat dann der zurückgekehrte Bischof angeordnet, also mitten in der Zeit des Rokoko, diese Grablege der deutschen Kaiser wieder in den alten Formen, das heißt also romanisch, komplett zu rekonstruieren. Also ein Großteil dessen, was wir heute als romanischen Kaiserdom sehen, stammt aus dem 18.Jahrhundert."
Nerdinger bietet eine Fülle solcher Exempla, oft aus dem religiösen Bereich. "Rekonstruktion am heiligen Ort" heißt das Kapitel - solche Schwerpunkt-Themen werden dann mit Modellen, Filmen und Zeichnungen vertieft. Ein wichtiges Feld der insgesamt großartigen Schau ist natürlich auch die "nationale Identität", die durch Bauwerke befestigt werden soll. Aber durch welche? Die Debatte um das Berliner Stadtschloss wird in der Ausstellung vermieden, stattdessen weicht man nach Litauen und in die Ukraine aus, wo national bedeutsame Bauwerke wieder errichtet werden, die der Realsozialismus vernichtete.
Was man da rekonstruiert, war schon immer umstritten. Der griechische Zeus-Tempel in Olympia wurde schon in der Antike vielfach geflickt und nachbearbeitet. Wenn römische Kaiser zerstörte Bauten wiederherstellen ließen, dann sprachen sie von einer "Restitutio". Es ging dabei mehr um einen Nachbau "aus dem Geiste", aus einer bestimmten Tradition heraus. Diese Philosophie findet sich bis heute: Die Geburtshäuser von Luther oder von Goethe wurden historisierend renoviert. Oder aber man macht es ganz genau: In Belgien hat man nach dem Ersten Weltkrieg komplette mittelalterliche Stadtteile originalgetreu nachgebaut. Und in Hildesheim wurde das weggebombte "Knochenhauer Amtshaus" als herausragendes Beispiel der Fachwerk-Architektur minutiös rekonstruiert.
Die Ausstellung wirft auch einen Blick nach Asien. Dort wird Rekonstruktion ganz anders begriffen - nämlich als das Erhalten der Fähigkeit, bestimmte Bauten auszuführen. So wird in Japan der Ise-Schrein seit 1300 Jahren alle 20 Jahre präzise neu gebaut - und der Vorgängerbau anschließend abgerissen.
Einem solch fast schon spirituellen Architekturverständnis stellt die Schau dann europäische Konsum-Perversitäten gegenüber. Der Mainzer Markt besteht nur aus historischen Fassaden - dahinter stehen Kaufhäuser aus Beton. Den Abschluss bilden einige Rekonstruktions-Kompromisse aus jüngerer Zeit, Großtaten der Versöhnung von historischer Substanz mit der Gegenwart. Der portugiesische Architekt Álvaro Siza baute die 1988 abgebrannte Altstadt von Lissabon atmosphärisch korrekt wieder auf, modernisierte aber die Wohnräume. Giorgio Grassi verpasste dem Amphitheater im spanischen Sagunt eine moderne Verkleidung, um die lange juristisch gestritten wurde. Und Aldo Rossi machte aus dem 1996 abgebrannten "La Fenice" in Venedig ein neues Theater im alten Gewand.
Die Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion - Konstruktion der Geschichte in der Pinakothek der Moderne in München läuft bis zum 31. Oktober 2010.
Um uns mit der Nase auf diesen Tatbestand zu stoßen, lässt uns der Ausstellungsleiter Winfried Nerdinger an Fotowänden mit rund 200 Fallbeispielen vorbeidefilieren, an denen die Wiedergewinnung schon verloren geglaubter Bauwerke demonstriert wird: Oben sieht man, so weit zu sichern, den Originalzustand, in der Mitte die Zerstörung, unten die Restaurierung oder Rekonstruktion.
Nehmen wir ein herausragendes Beispiel der Romanik, den Kaiserdom in Speyer: Das Längsschiff wurde in den pfälzischen Erbfolgekriegen komplett zerstört und war 100 Jahre lang Ruine.
Winfried Nerdinger: "In der Mitte des 18.Jahrhunderts hat dann der zurückgekehrte Bischof angeordnet, also mitten in der Zeit des Rokoko, diese Grablege der deutschen Kaiser wieder in den alten Formen, das heißt also romanisch, komplett zu rekonstruieren. Also ein Großteil dessen, was wir heute als romanischen Kaiserdom sehen, stammt aus dem 18.Jahrhundert."
Nerdinger bietet eine Fülle solcher Exempla, oft aus dem religiösen Bereich. "Rekonstruktion am heiligen Ort" heißt das Kapitel - solche Schwerpunkt-Themen werden dann mit Modellen, Filmen und Zeichnungen vertieft. Ein wichtiges Feld der insgesamt großartigen Schau ist natürlich auch die "nationale Identität", die durch Bauwerke befestigt werden soll. Aber durch welche? Die Debatte um das Berliner Stadtschloss wird in der Ausstellung vermieden, stattdessen weicht man nach Litauen und in die Ukraine aus, wo national bedeutsame Bauwerke wieder errichtet werden, die der Realsozialismus vernichtete.
Was man da rekonstruiert, war schon immer umstritten. Der griechische Zeus-Tempel in Olympia wurde schon in der Antike vielfach geflickt und nachbearbeitet. Wenn römische Kaiser zerstörte Bauten wiederherstellen ließen, dann sprachen sie von einer "Restitutio". Es ging dabei mehr um einen Nachbau "aus dem Geiste", aus einer bestimmten Tradition heraus. Diese Philosophie findet sich bis heute: Die Geburtshäuser von Luther oder von Goethe wurden historisierend renoviert. Oder aber man macht es ganz genau: In Belgien hat man nach dem Ersten Weltkrieg komplette mittelalterliche Stadtteile originalgetreu nachgebaut. Und in Hildesheim wurde das weggebombte "Knochenhauer Amtshaus" als herausragendes Beispiel der Fachwerk-Architektur minutiös rekonstruiert.
Die Ausstellung wirft auch einen Blick nach Asien. Dort wird Rekonstruktion ganz anders begriffen - nämlich als das Erhalten der Fähigkeit, bestimmte Bauten auszuführen. So wird in Japan der Ise-Schrein seit 1300 Jahren alle 20 Jahre präzise neu gebaut - und der Vorgängerbau anschließend abgerissen.
Einem solch fast schon spirituellen Architekturverständnis stellt die Schau dann europäische Konsum-Perversitäten gegenüber. Der Mainzer Markt besteht nur aus historischen Fassaden - dahinter stehen Kaufhäuser aus Beton. Den Abschluss bilden einige Rekonstruktions-Kompromisse aus jüngerer Zeit, Großtaten der Versöhnung von historischer Substanz mit der Gegenwart. Der portugiesische Architekt Álvaro Siza baute die 1988 abgebrannte Altstadt von Lissabon atmosphärisch korrekt wieder auf, modernisierte aber die Wohnräume. Giorgio Grassi verpasste dem Amphitheater im spanischen Sagunt eine moderne Verkleidung, um die lange juristisch gestritten wurde. Und Aldo Rossi machte aus dem 1996 abgebrannten "La Fenice" in Venedig ein neues Theater im alten Gewand.
Die Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion - Konstruktion der Geschichte in der Pinakothek der Moderne in München läuft bis zum 31. Oktober 2010.