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Vielfalt im Journalismus
Nicht mehr nur weiße alte Männer

Laut Staatsvertrag soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Darstellung der Vielfalt im deutschsprachigen Raum beitragen. Beim vielfältigen Personal hapert es allerdings noch. Dass es auch anders geht, zeigt das junge Angebot "Funk".

Von Anke Petermann | 28.02.2018
    Die YouTuber „Datteltäter“ freuen sich am 04.06.2016 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) bei der Verleihung des Webvideopreises über den Preis in der Kategorie "Newcomer"
    Die "Datteltäter" sind ein Beispiel für Formate direkt aus der Zielgruppe. (picture alliance/ dpa /Henning Kaiser)
    Eine junge Muslimin löffelt genüsslich Suppe aus einer Schüssel, da löst sich ein Ende des Kopftuchs und fällt ins warme Nass. Sie steckt ihr Kopftuch mit Nadeln fest – es piekst und will einfach nicht sitzen.
    Kopfhörer passen nicht drunter, aber auch nicht drüber, die Sonnenbrille ebenso wenig. Das Youtube-Video des öffentlich-rechtlichen Jugend-Programms "Funk" persifliert Alltagssituationen junger Frauen, die sonst in den Medien kaum als Protagonistinnen vorkommen, außer in Problemzusammenhängen. Duygu Gezen hat das preisgekrönte Satire-Format "Datteltäter" mit entwickelt.
    "Viele, gerade aus der muslimischen Community, sind ja tagtäglich in den Medien und sozialen Medien damit konfrontiert, dass ihr Migrationshintergrund immer in Verbindung gebracht wird mit Negativität, Terror. Und da ist es erst recht so auflockernd und erleichternd für sie, wenn sie mal drüber lachen können."
    Neue Perspektiven durch personelle Vielfalt
    "Schläfst du eigentlich mit Kopftuch, wäschst du deine Haare, hast du Haare??!! Hallo, ich bin Fiete", fragt ein Mann in einem "Datteltäter"-Video. Fiete streckt die Hand aus, riesengroß auf dem Bildschirm. Wie bedrohlich die freundliche Geste eines Mannes auf eine junge Muslimin wirken kann, versteht vermutlich nur richtig, wer muslimischen Hintergrund hat. Wie "Funk"-Format-Entwicklerin Duygu Gezen, die übrigens selbst kein Kopftuch trägt.
    "Ich sehe es als Privileg an, gerade die 'Datteltäter' betreuen zu dürfen, weil die was für diese Gesellschaft leisten."
    Vertieftes Verständnis für gesellschaftlich vernachlässigte Gruppen und Problemlagen nämlich. Genau das wächst bei Medienunternehmen mit der personellen Vielfalt von Beschäftigten, konstatiert die Mainzer Medienstaatsekretärin Heike Raab. "Und das wünschen wir uns selbstverständlich auch bei den Einstellungspraktiken."
    Zu wenig Mischung in den Redaktionen
    Die SPD-Politikerin koordiniert die Rundfunk-Kommission der Länder, deren Vorsitz Rheinland-Pfalz innehat. Bei der Diversität habe der öffentlich-rechtliche Rundfunk Nachholbedarf.
    "Die Sender sind oft in der Situation, dass sie Personal abbauen mussten in letzter Zeit, deshalb konnten sie weniger neu Kräfte hinzugewinnen. Das ist sicherlich eine große Herausforderung. Aber wenn ich mir allein am Standort Mainz Studierende der Johannes-Gutenberg-Universität im Institut für Publizistik anschaue, die ja möglicherweise künftige Journalistinnen und Journalisten sind, so stelle ich einfach fest, dass wir hier einen breiteren Pluralismus auch haben."
    Journalismus aus der und für die Zielgruppe
    Mehr Frauen im Journalismus, die Entwicklung ist schon älter. Im 14 bis 29 Jahre alten Zielpublikum von "Funk" haben 30 Prozent der Menschen Migrationshintergrund. Das frisch rekrutierte, zum großen Teil frei beschäftigte Personal muss entsprechend heterogen sein, damit das innovative Angebot des sogenannten Content-Netzwerks von ARD und ZDF funktioniert. Es produziert Inhalte, die über Youtube und andere soziale Netzwerke ausgespielt werden.
    Programmchef Florian Hager erläutert: "Wir suchen Leute, die nicht über etwas berichten, sondern aus etwas heraus, die nicht irgendwo hingeschickt werden und erzählen etwas aus der Draufsicht, also klassisch das Erzählstück, da geht ein Reporter hin und erzählt uns, wie es war, sondern dass wir auch Menschen suchen, die uns aus den Sachen heraus berichten können."
    Vielfalt erntet Hass
    Beispiel: Nemi El-Hassan, Berliner Medizin-Studentin mit libanesischen Wurzeln. Wenn die Muslimin "nach dem Rechten schaut", kommt ein eindringliches Video auf dem "Funk"-Kanal "Jäger und Sammler" dabei raus.
    "Wie er sich sein Deutschland vorstellt, und was dann mit mir als Muslimin passiert, erfahre ich nicht. Für ein Interview wollte Max Damage dann auch noch 300 Euro und keine Fragen zum Holocaust", berichtet Nemi über einen rappenden Neonazi. Vielfalt, ob kultureller oder sexueller Orientierungen, erntet Hass, darauf muss man gefasst sein, so "Funk"-Programmchef Florian Hager.
    "99 Prozent des Hasses kommt von einem Prozent der Leute"
    Zum Start hatte der Kanal mit Nemi als Protagonistin von "Jäger und Sammler" geworben. "Und die trägt Kopftuch, und allein der Fakt hat dazu geführt, dass wir zugeworfen wurden mit den schlimmsten Beschimpfungen, die ich je überhaupt lesen musste. Das Schlimme ist, das sind ganz wenige, die sehr, sehr laut sind. 99 Prozent des Hasses kommt von einem Prozent der Leute, die dominieren aber gefühlt die Diskussion."
    Er selbst sei nun gerade kein Beispiel für Diversität, witzelt Programm-Geschäftsführer Hager. Weißer heterosexueller Mann, 40 plus, das Standard-Modell für die Führungsetage. Immerhin, er ist Diplom-Ingenieur – die sind unter Journalisten selten. Format-Entwickler und Programm-Macher mit vielfältigen Ausbildungs-Abschlüssen zu beschäftigen, wäre ihm wichtig. Doch ohne Studium und Volontariat ist ein fester Job als Journalist kaum zu ergattern. Da ist "Funk" ausnahmsweise ganz wie ARD und ZDF.