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"Vielleicht hätte ich mich schon umgebracht"

Alle vier Jahre werden die Gay Games ausgetragen, die Olympischen Spiele der Homosexuellen. In dieser Woche fanden sie zum ersten Mal in Deutschland statt. 10.000 Lesben und Schwule aus siebzig Ländern traten in 35 Sportarten an. Für viele Teilnehmer waren die Spiele eine Pause von einem Alltag mit Einschränkungen. Auch der ehemalige Basketballprofi John Amaechi hat sich lange verstecken müssen.

Von Ronny Blaschke |
    John Amaechi mustert die Tribüne des Leichtathletikstadions. Am Kölner Stadtwald laufen, springen und werfen Homosexuelle um den Sieg, sie setzen damit ein Zeichen gegen Diskriminierung. John Amaechi, ein Mann von mächtiger Statur, genießt die Stimmung. Für ihn wäre eine solche Offenheit während seiner Laufbahn undenkbar gewesen. In der Basketballliga NBA führte er ein Leben im Schatten:
    "Ich hätte meinen Job verloren. Als ich gespielt habe, hätte ich in 33 Staaten der USA gefeuert werden können, weil ich schwul bin. Mittlerweile sind es noch 13, das ist verrückt. Ich habe in einer Welt existiert, wo man nicht über Schwule gesprochen hat. In der Umkleidekabine haben meine verheirateten Mitspieler damit geprahlt, wie sie Sex mit zwei Frauen hatten. Aber ich konnte nicht erzählen, dass ich mit einem Typen im Kino war."
    Bis 2003 bestritt John Amaechi mehr als 300 Spiele in der NBA, für Cleveland, Orlando und Utah. In einer Liga, in der jeder Spieler im Schnitt ein uneheliches Kind haben soll. 2007 outete sich der Amerikaner mit englischem Pass in seiner Biografie als schwul. Als erster Profi der NBA - und als bislang einziger. Für viele ehemalige Kollegen ist der 39-jährige Amaechi ein Versager, für die Teilnehmer der Gay Games ist er ein Vorbild:
    "Sichtbare Vorbilder sind wichtig, aber das Problem liegt woanders. Zum Beispiel Lebron James in der NBA. Er ist nicht schwul - aber angenommen, er würde sich als schwul outen: Viele Menschen glauben, dass James damit alle Probleme lösen würde, aber so funktioniert das nicht. Wir brauchen Menschen, die sich umschauen, nachdenken, die ihre Nachbarn und ihr Umfeld respektieren. Ich sehe zum Beispiel ein schwules Paar in New York, das Händchen hält. Und ich sehe, wenn dieses Paar eine bestimmte Straße betritt, und plötzlich nicht mehr Händchen hält. Sie wissen, sie haben die sichere Gegend verlassen haben."
    Auch die Bühnen des homosexuellen Sports sind nicht immer sicher. Im Deutschen Sportmuseum im Kölner Zollhafen wird das zurzeit dokumentiert. Die Ausstellung "Gegen die Regeln" porträtiert schwule Sportler wie Peter Karlsson. Der schwedische Eishockeyspieler wurde 1995 in einer Disko ermordet, mit 64 Messerstichen. Oder Justin Fashanu: der englische Fußballer nahm sich 1998 das Leben, weil der Druck der Öffentlichkeit ihm zu groß geworden war. Die Chronik dieser Tragödien scheint endlos zu sein. Ein lesbisches Paar schreitet durch den Ausstellungssaal und bleibt vor dem Banner der Gay Games stehen. Es war der amerikanische Zehnkämpfer Tom Waddell gewesen, der die Spiele 1982 in San Francisco ins Leben rief. Seitdem sind die Gay Games für viele Athleten ein Ausflug in die Freiheit.
    Da sind zum Beispiel 16 lesbische Fußballerinnen aus den Townships Johannesburgs. In ihrer Heimat kann Händchenhalten lebensgefährlich werden. Tumi Mkhuma, die zierliche Stürmerin mit den Rastalocken und der Rückennummer neun, führt die Erwärmung ihres Teams an. Sie sagt, dass sie sich nur beim Fußball richtig sicher fühlt. Das liberale Köln sei für sie wie das Paradies. Vor 15 Monaten wurde sie in einer Kneipe bewusstlos geschlagen, vergewaltigt und liegen gelassen wie ein Stück Müll:
    "Wenn ich ehrlich bin: Würde ich nicht für das Team spielen, ich wüsste nicht, wo ich jetzt wäre. Vielleicht hätte ich mich schon umgebracht. Das Team hat mich so sehr unterstützt wie niemand sonst. Sie haben mich zu der gemacht, die ich bin."
    Die Gay Games - ein politisches Forum. Diesen Status stützen die Organisatoren mit einem Förderprogramm. Während der Spiele 2002 in Sydney richtete es sich an die australischen Ureinwohner. Für 100 Aborigines wurden Unterkünfte, Anreise und Kleidung bezahlt. Die Kölner unterstützen nun Athleten aus Osteuropa. Auch die südafrikanischen Fußballerinnen hätten sich ihre Reise ohne Spenden nicht leisten können. Doch sie müssen zurück nach Johannesburg, in einen Alltag voller Angst. Jeffrey Johnson hingegen kann in Deutschland bleiben. Für immer.
    Der 45 Jahre alte Mittelstreckenläufer stammt aus Jamaika. Johnson ist über 1500 Meter gerade Achter geworden, nur zwei Läufer waren langsamer. Trotzdem ist er zufrieden. 31 Jahre hatte Johnson seine Intimität leugnen müssen. Eine Brieffreundschaft hat ihn Mitte der Neunziger Jahre nach Köln geführt. Inzwischen ist er mit einem deutschen Mann verheiratet, er läuft für den SC Janus, den ersten schwullesbischen Sportverein Europas, gegründet 1980. Geschichten wie Jeffrey Johnson haben viele Teilnehmer der Gay Games zu erzählen. Sie bewegen sich zwischen Trauer und Zuversicht:
    "In der jamaikanischen Gesellschaft ist es sehr, sehr intolerant schwul zu sein. Auseinandersetzungen physisch oder psychisch, davon wird berichtet. Oder Leute verlieren ihr Leben. Morde. Niemand durfte das wissen bei mir, weil ich wusste, dass dann Gefahr droht für mich. Erst seitdem ich hier bin, habe ich mich geoutet."
    Für Jeffrey Johnson haben die Gay Games etwas Befreiendes. Die Teilnehmer genießen ihre Partys, Festivals und Konzerte. Es geht um Sport und Spaß, gewiss nicht um Bedrohung. Doch die Spiele sind eine seltene Insel der Sicherheit. Erst im vergangenen Jahr wurde ein Homosexueller bei einem Wettbewerb in Kopenhagen zusammengeschlagen, Feuerwerkskörper flogen in eine Sportstätte. Auch in Köln traten einige Sportler unter falschem Namen an. Aus Angst, ihre Existenz zu verlieren. Der einstige Basketballer John Amaechi, das große Idol der homosexuellen Sportbewegung, kritisiert die Gesprächskultur des Sports, den Nährboden für solche Auswüchse:
    "Wenn sich ein Manager im deutschen Fußball homophob äußert, und es passiert nichts, wenn er also nicht bestraft wird, dann ist das eine bewusste Entscheidung des Fußballs, Homophobie zu tolerieren. Das wäre so, als wenn ein Kind in der Schule sagen würde: Oh, schaut euch den Neger an. Und der Lehrer sagt nur: Okay."