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"Vielleicht ist das genau die Stärke, dass es ein Debattierklub ist"

Vor allem bei sehr emotional geführten gesellschaftlichen Debatten sei es wichtig, Argumente aufzugreifen und zu gewichten, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock. So könne man Lösungen finden, die für viele Menschen möglichst akzeptabel seien.

Peter Dabrock im Gespräch mit Matthias Gierth | 10.05.2012
    Matthias Gierth: Herr Professor Darbrock, was können Ethikräte heute überhaupt bewirken?

    Peter Dabrock: Vielleicht sollte man erst einmal sagen, was sie nicht bewirken können. Nach meiner Auffassung sind Ethikräte jedenfalls kein Ersatzparlament und auch kein Ersatzverfassungsgericht. Aber sie sind sehr gute Instrumentarien, um in einer komplexen pluralen gesellschaftlichen Debatte Argumente aufzugreifen, zu gewichten, zu strukturieren und so auch die gesellschaftliche Debatte zu befördern.

    Gierth: Aber was ist ein Ethikrat dann doch letztlich mehr als ein – wie Kritiker sagen – Debattierklub, da seine Voten ja völlig unverbindlich ergehen?

    Dabrock: Vielleicht ist das genau die Stärke, dass es ein Debattierklub ist, dass wir uns einen Debattierklub leisten, bevor es dann in das Parlament geht. Gesellschaftliche Debatten sind uns doch gerade in diesen Fragen, wo es um Leben und Tod geht, wichtig. Und ich glaube, dass es da gut tut, weil sie eben oft sehr emotional geführt werden, noch mal die Argumente sich genauer anzuschauen und dann auf eine Lösung zuzusteuern, die für möglichst viele Menschen möglichst akzeptabel und gut ist.

    Gierth: Aber müssten dann diese Diskussionen nicht doch viel breiter, an mehr Orten geführt werden, stärker in der Öffentlichkeit?

    Dabrock: Das ist jedenfalls eine gute Anregung. Und die Auffassung auch der neuen Vorsitzenden Christiane Woopen und vielen anderen Mitgliedern des Ethikrates, die ich auch teilen würde, ist, dass genau, wenn der Deutsche Ethikrat ein Forum ist, um solche bioethischen Debatten oder überhaupt ethische Debatten in der Gesellschaft zu forcieren, dass er dann auch noch viel stärker, das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern auch vor Ort suchen muss.

    Gierth: Wenn wir generell auf die Möglichkeiten eines Ethikrates eingehen, Bewusstsein zu prägen, welche Erörterungen des Ethikrates, des Deutschen wie vielleicht auch des Vorgängergremiums, des Nationalen Ethikrates, waren aus Ihrer Sicht in Deutschland wirklich prägend?

    Dabrock: Ich glaube, dass der deutsche Ethikrat auch in seiner letzten Amtsperiode wirklich sehr wichtige Impulse geben konnte. Auf der einen Seite war es der Ethikrat, der bevor eine Initiative im Deutschen Bundestag bedacht worden ist, das Thema Biobanken auf das Tablett der deutschen Öffentlichkeit gebracht hat. Noch wichtiger sind meines Erachtens die beiden Stellungnahmen gewesen, einerseits zur Präimplantationsdiagnostik, PID, und zum anderen zu Intersexualität. Und diese beiden Stellungnahmen waren unterschiedlich und genau in ihrer Unterschiedlichkeit haben sie sehr gut zusammengepasst und gezeigt, was so ein Ethikrat leisten kann.

    Bei der Präimplantationsdiagnostik hat der Deutsche Ethikrat zwar eine Stellungnahme abgegeben, aber ungefähr die Hälfte der Mitglieder hat sich für, die nahezu andere Hälfte gegen die Präimplantationsdiagnostik gewandt. Das hat manche Kritik hervorgerufen, das ist meines Erachtens eine völlig falsche Wahrnehmung dieser Stellungnahme gewesen. Vielmehr hat sie in hervorragender Art und Weise die Pro- und Contra-Argumente auf den Punkt gebracht und jeder, der unsicher war, wie er sich zur Präimplantationsdiagnostik verhalten sollte, hat in diesem Text die besten Pro- und Contra-Argumente gefunden und konnte sich danach sehr gut entscheiden. Die andere Stellungnahme zur Intersexualität ist einhellig. Dort schlägt der Ethikrat gemeinsam vor, über ein drittes Geschlecht nachzudenken. In der Hinsicht ist der Ethikrat vorangegangen. Und beides zusammen, glaube ich, sind zwei ganz hervorragende Beispiele dafür, wie ein Ethikrat gesellschaftliche Debatten einerseits strukturieren und andererseits forcieren kann.

    Gierth: Jetzt haben Sie zurückgeschaut auf vergangene Themen. Welche Themen möchten Sie künftig dort auf die Agenda setzen?

    Dabrock: Beim ersten Treffen des neuen Ethikrates sind drei Themen identifiziert worden, denen sich der Ethikrat in der nächsten Zeit zuwenden will. Das ist in einer Einzelveranstaltung die Frage, wie sich Patentierung vor allem im pharmazeutischen Bereich auf Entwicklungsländer und Menschen dort auswirken wird. Und die anderen beiden Themen, die in Arbeitsgruppen verhandelt werden, sind zum einen die Hirntod-Frage und zum anderen ein Auftrag der deutschen Bundesregierung, über die Konsequenzen der Gendiagnostik nachzudenken. Beide Themen halte ich für sehr gewichtig. Wir steuern zwar nun auf eine Neuregelung des Transplantationsgesetzes zu. Dort wird es im parlamentarischen Verfahren wohl keine größeren Aufregungen mehr geben. Aber durch die dann wohl absehbar kommende sogenannte Entscheidungslösung werden ja alle Bürgerinnen und Bürger aufgefordert sein, sich noch einmal Gedanken zu machen, ob sie Organe spenden wollen oder nicht. Und die letzte öffentliche Veranstaltung der letzten Amtsperiode des Deutschen Ethikrates zum Thema Hirntod hat eine ungeheure Resonanz erfahren in der Bevölkerung. Und das zeigt, welch großer Informations- aber auch Gesprächsbedarf zum Thema Hirntod herrscht.

    Gierth: Für wen werden Sie selbst im deutschen Ethikrat sprechen? Für die evangelische Theologie, für sich selbst?

    Dabrock: An Ende werde ich natürlich im Deutschen Ethikrat für mich selbst sprechen. Das heißt, ich bin ja berufen als jemand, der sich auf dem Feld von Bioethik eine gewisse Expertise in den letzten Jahren erworben hat. Aber ich kann nicht davon abstrahieren, dass ich natürlich ein evangelischer Theologe bin, der versucht, Elemente des christlichen Glaubens so in die Gesellschaft einzuspielen, dass es der Gesellschaft im Ganzen nicht schadet, sondern dass es Fragen des Gemeinwohls mit voranbringt.

    Gierth: Erstmals sind im Deutschen Ethikrat auch Vertreter der jüdischen Religion und ein Muslim vertreten. Was kann eine solche religiöse Vielfalt bewirken?

    Dabrock: Ich begrüße es sehr, dass im Deutschen Ethikrat über Mitglieder und Repräsentanten der evangelischen und katholischen Kirche hinaus noch andere Religionsgemeinschaften zur Sprache kommen. Es spiegelt doch einfach die gewachsene kulturelle und auch religiöse Vielfalt in unserem Land wieder. Und entsprechend halte ich es auch für wichtig, dass wir eben diese Religionsgemeinschaften im Ethikrat dabei haben. Wir haben ja sonst auch im Ethikrat Mitglieder, die ganz ausdrücklich, ihre säkulare Prägung mit einbringen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock
    Der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock (Deutscher Ethikrat - Fotograf: Reiner Zensen)