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Vielleicht viel Lärm um nichts

Polarforschung. – Der Lomonossow-Rücken ist ein untermeerischer Gebirgszug am Nordpol, fernab von allen bewohnten Gebieten. Dennoch streiten sich Russland, Kanada und Dänemark um die Bergkette auf dem Grund des Polarmeers, denn sie vermuten große Bodenschätze im Untergrund des Ozeans. Derzeit lässt Dänemarks den umstrittenen Gebirgszug mitten in der Arktis durchleuchten.

Von Dagmar Röhrlich | 30.08.2007
    Bis vor wenigen Wochen war der Lomonossow-Rücken nur Insidern bekannt. Eine russische Fahne aus Titan sorgte dafür, dass sich das geändert hat:

    "Die Russen haben ja sehr spektakulär diese russische Flagge am geographischen Nordpol versenkt, was rechtlich überhaupt keine Bedeutung hat, aber es hat ein Zeichen gesetzt, und es war schon eine Leistung mit Mini-U-Booten dort abzutauchen, unter dem Eis, zu zeigen, dass sie dazu fähig sind","

    meint Christian Reichert von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR in Hannover. Dank Kälte und Eis ist der Arktische Ozean das wohl am wenigsten erforschte Gebiet der Erde. Und ausgerechnet dort erhoffen sich die Politiker reiche Rohstoffvorkommen. Derzeit wissen die Geologen kaum mehr, als dass der Lomonossow-Rücken das Nordpolarmeer in zwei Tiefseebecken teilt. Reichert:

    ""Der Lomonossow-Rücken bildet eine Verbindungsbrücke – untermeerisch – zwischen Mittelsibirien und Nordwestgrönland beziehungsweise Nordostkanada. Wenn man auf die Karte guckt von oben, dann geht das praktisch wie so ein Eimerhenkel von der russischen Seite rüber zu der kanadischen-grönländischen Seite."
    An Land wäre er ein beachtliches Gebirge: Mehr als 3500 Meter ragt er über den Tiefseeboden auf. Der Lomonossow-Rücken lag nicht immer da, wo er heute ist. Reichert:

    "Man kann nachweisen, dass seine ursprüngliche Position einmal direkt am eurasischen Kontinent gelegen hat, das heißt, dass sein westliches Ende etwa vor Nordgrönland lag und dann fest verbunden war mit den norwegischen vorgelagerten Inseln also Spitzbergen, Franz-Josefs-Land und dann vor Russland Nowaja Semlja bis hin zu den Neusibirischen Inseln."
    Das war vor 55 Millionen Jahren. Damals waren Grönland und Nordamerika sowie Norwegen und Großbritannien noch eine einzige Landmasse, und der Rücken klebte als Landfinger an diesem Urkontinent, so wie heute die kalifornische Halbinsel. Er könnte also zu Grönland, zu Kanada oder Russland gehören – oder ganz für sich am Nordpol liegen. Das Land, das ihn für sich beanspruchen will, muss – nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen – beweisen, dass er unmittelbar mit seinem Festland verbunden ist. Reichert:

    "Diesen Nachweis zu erbringen, das dürfte nicht einfach sein, vor allen Dingen unter den dort herrschenden Bedingungen. Zum einen ist das sehr fern von jeder Logistik und derzeit auch massiv von mächtigen Eisfeldern beeinflusst. Es ist also sehr aufwendig und sehr teuer, die notwendigen Daten zu erbringen, um es zweifelsfrei zu klären."
    Es geht um die Verbindung zwischen dem Lomonossow-Rücken und dem Festland – sie darf keine Verwerfung im Gestein aufweisen. Das herauszufinden verlangt groß angelegte seismische Untersuchungen und gleich mehrere Tiefbohrungen an verschiedenen Punkten dieser Nahtstelle – und alles unter dem Packeis. Eine gewaltige Aufgabe. Bislang ist es Wissenschaftlern nur einmal überhaupt gelungen, trotz Packeis in diesen Tiefseerücken zu bohren. Das war 2004, und ein Eisbrecher, ein Atomeisbrecher und ein eisbrechendes Bohrschiff waren notwendig, um allein die 400 Meter Tiefseeschlamm zu durchdringen, die sich im Lauf der Jahrmillionen auf dem Gebirge abgelagert haben. Wenn Russland jetzt also eine Titanflagge aufpflanzt, ist das vor allem eines: medienwirksames Säbelrasseln. Das gilt auch für die vorgestellten Bodenproben. Reichert:

    "Mit einem U-Boot kann man nur die dem Meeresboden nächsten Proben aufsammeln, vielleicht noch mit kleinen mit hydraulischen Geräten ein bisschen eindringen in den Meeresboden, aber dies hat alles keine Beweiskraft. Denn alles, was locker oben aufliegt, kann auf den verschiedensten Wegen dorthin gelangt sein.
    Deshalb beweisen solche Proben nicht, zu welcher Landmasse der Rücken gehört."

    Das lässt sich nur herausfinden, wenn man mehrfach in den Nahtzonen zwischen Kontinenten und Lomonossow-Rücken tief ins Gebirge hinein bohrt. Nur so wird klar, ob Land und Rücken fest miteinander verbunden sind. Dieser Aufwand lohnt sich unter Umständen aber wirtschaftlich gar nicht. Reichert:

    "Wobei die Frage, ob es dort überhaupt solche Bodenschätze in wirtschaftlich lohnender Form gibt, eigentlich noch sehr bezweifelt werden kann. Die Abschätzungen sind alle statistischer Natur. Da vergleicht man ähnliche geologische Strukturen, die bekannt sind, mit den unbekannten und setzt das im Dreisatz über die Fläche um und sagt, rein statistisch gesehen müsste soviel an Kobalt und Nickel da zu finden sein."
    Viele andere Lagerstätten in leichter erreichbaren Gegenden sind derzeit bekannt und trotzdem unwirtschaftlich. Unbekannte arktische Lagerstätten stünden in der Rangfolge noch viel weiter hinten an. Außerdem fehlen die Technologien, sie auszubeuten. Selbst Öl- und Gasvorkommen dort wären nicht allzu reizvoll. Falls sie existierten. Zwar war das Meer über dem Nordpol früher eisfrei und voller Leben, aber es braucht mehr als Biomasse, damit Erdöl entsteht. Reichert:

    "Um Erdöl, Erdgas herzustellen, braucht man eine richtige Küche und Druck- und Temperaturbedingungen, wie sie normalerweise nur in Sedimentbecken von mindestens fünf Kilometer Tiefe herrschen, und das hat man dort in der arktischen Tiefsee keinesfalls."
    Der Lomonossow-Rücken ist ein vielleicht ungedeckter Wechsel auf die Zukunft.