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"Vielleicht werden wir unser Weltbild auch ändern müssen"

Professor Rolf-Dieter Heuer, ab nächstem Jahr Direktor des CERN, bezeichnet den Einsatz des LHC als einen Weg, einen Teil der Kleinst-Materie des "dunklen" Universums zu verstehen. Bisher seien gerade fünf Prozent des sichtbaren Universums wissenschaftlich bekannt.

Rolf-Dieter Heuer im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Das größte Experiment in der Geschichte der Naturwissenschaft beginnt heute Vormittag in Genf: mehr als 100 Meter unter der Erde bei Minus 271 Grad Celsius. Urknall, schwarze Löcher, bisher alles graue Theorie. Mit einem gigantischen Teilchenbeschleuniger wollen Physiker nun herausfinden, wie alles begann in unserem Universum und was die Welt im Innersten zusammenhält. Über 3,5 Milliarden Euro wurden in die angeblich größte Forschungsmaschine der Welt investiert. Hunderte Wissenschaftler aus aller Welt werden künftig am europäischen Teilchenforschungszentrum CERN mitarbeiten, ab dem Jahreswechsel unter der Leitung des deutschen Physikprofessors Rolf-Dieter Heuer. Ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt, ob er nervös ist vor dem heutigen Start.

    Rolf-Dieter Heuer: Nein, ich bin nicht nervös. Ich bin sehr gespannt und würde mal sagen, freudig erregt.

    Heinlein: Dieser Teilchenbeschleuniger LHC ist ja angeblich die größte Forschungsmaschine, die Menschen je gebaut haben. Stimmt dieser Superlativ?

    Heuer: Ich bin immer skeptisch mit Superlativen. Ich würde es leicht einschränken und sagen eine der größten.

    Heinlein: Betreten sie bei CERN mit dieser Maschine denn wissenschaftliches Neuland? Es gibt ja bereits viele Teilchenbeschleuniger weltweit.

    Heuer: Ja. Wir betreten selbstverständlich Neuland. Das rechtfertigt solch eine Maschine natürlich auch nur. Wir kommen zu höheren Energien als mit jeder anderen Maschine vorher und kommen dadurch auch näher an den Urknall, an die Entstehung des Universums heran. Wir können besser verstehen, was den Mikrokosmos, also die kleinsten Teilchen, mit dem Makrokosmos, also dem Universum, verbindet.

    Heinlein: Geht es also um die faustsche Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält? Geht es um das physikalische Bild der Natur, des Universums insgesamt? Können Sie uns das in einfachen Worten erklären?

    Heuer: Wir haben in den letzten 30, 40 Jahren mit unserer Forschung an den Beschleunigern ein fantastisches, sehr gutes Verständnis der unbelebten und belebten Natur, des Aufbaus und der Kräfte, die im Mikrokosmos herrschen, gewonnen. Leider erklärt das lediglich knapp 5 Prozent des Universums, nämlich das sichtbare Universum. Gut 95 Prozent des Universums sind, wie ich es nennen würde, das dunkle Universum. Sie bestehen aus dunkler Materie und dunkler Energie. Die dunkle Materie verhält sich wie normale Materie. Sie klumpt, formt Cluster, Galaxien und so weiter. Und die dunkle Energie treibt das Universum auseinander. Mit dem LHC hoffe ich persönlich, dass wir das erste Licht in dieses dunkle Universum bekommen.

    Heinlein: 95 Prozent liegen aber noch im Dunkeln. Wie viel Prozent werden Sie denn in den kommenden Jahren aufhellen können?

    Heuer: Wenn der LHC das hält, was ich mir von ihm verspreche, dann zusätzlich 25 Prozent zu den 5 Prozent, die wir jetzt schon verstehen. Das finde ich eine tolle Sache.

    Heinlein: Werden Sie in einigen Jahren also die Frage beantworten können, woher wir kommen und wozu wir überhaupt da sind?

    Heuer: Vielleicht nicht ganz beantworten, aber besser beantworten. Wir werden sicherlich mehr verstehen. Vielleicht werden wir unser Weltbild auch ändern müssen. Das was wir jetzt wissen ist ja nicht falsch. Wir werden unser Weltbild erweitern, unsere Kenntnisse erweitern. Wir werden wahrscheinlich sehr viel mehr über die Entstehung des Universums wissen, hoffe ich stark.

    Heinlein: Werden Sie neue Naturgesetze entdecken, die Entstehung der Welt, die Entstehung des Universums?

    Heuer: Neue Naturgesetze weiß ich nicht. Aber wenn Sie vergleichen: als Dirac (Anm. d. Red.: Paul Dirac, britischer Physiker und Mitbegründer der Quantenphysik, 1902-1984) die Antimaterie eingeführt hat, hat er mit einem Schlag die Zahl der Teilchen verdoppelt, aber unsere Erkenntnis auch weit mehr als verdoppelt. Wir haben unheimlich mehr Erkenntnis mehr gewonnen. Wenn wir jetzt in die dunkle Materie schauen, dann verdoppeln wir eventuell auch die Anzahl der Teilchen, nämlich diejenigen, die die dunkle Materie bilden, aber wir verstehen dadurch unheimlich viel mehr.

    Heinlein: Lässt sich denn, Herr Professor Heuer, die Entstehung der Welt, des Universums insgesamt tatsächlich nur physikalisch erklären, oder kommen Sie da ganz schnell in einen Bereich der philosophisch-theologischen Natur?

    Heuer: Irgendwann kommt man sicherlich in diesen Bereich der philosophisch-theologischen Natur und wir suchen auch in Podiumsdiskussionen genau diese Verbindung, diese Brücke zu schlagen. Meine Unterscheidung an dieser Stelle ist, die Physik fragt nach dem "wie" und nicht nach dem "warum". Das "warum" überlassen wir anderen.

    Heinlein: Eine Zeitung hat von der Gott-Maschine gesprochen. Diesen Begriff lehnen Sie ab?

    Heuer: Ich hatte vorhin schon einmal gesagt, dass ich Superlative nicht so gerne mag. Ich mag auch solche Schlagworte nicht so gerne. Ich finde diesen Begriff nicht sehr gut, muss ich gestehen.

    Heinlein: Mehr als 3,5 Milliarden Euro wurden investiert. Das ist eine gigantische Summe. Welchen praktischen Nutzen gibt es denn von diesem Projekt, oder geht es tatsächlich nur um Grundlagenforschung?

    Heuer: Es geht a priori natürlich "nur" um Grundlagenforschung. Aber das ist ja das, was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Grundlagenforschung, Forschung an sich gehört als Kulturgut zum Menschen. Ohne Grundlagenforschung gibt es keine angewandte Forschung. Irgendwann können sie dann keine angewandte Forschung mehr machen und irgendwie können sie dann gar keine Forschung mehr machen. Überlegen Sie mal: wenn jemand Röntgen damals gebeten hätte, eine Untersuchungsmethode zu finden, wie man Krankheiten oder Veränderungen im Körper finden kann, glauben Sie, er hätte dann auf Strahlung, auf Röntgenstrahlung gesetzt?

    Heinlein: Woher kommt denn das viele Geld, 3,5 Milliarden Euro?

    Heuer: Das Geld kommt zum großen Teil aus Europa. Der CERN hat 20 Mitgliedsländer, die den CERN und damit den LHC zum großen Teil finanzieren. Aber - und das möchte ich ganz stark betonen - es ist ein Welt-, es ist ein globales Projekt. Auch die Regionen in Amerika, sprich zum Beispiel USA und Kanada, und die Regionen in Asien haben sehr viel zum LHC beigetragen. Sie müssen auch sehen: das ist ein Projekt, das vor 25 Jahren angedacht wurde. Seit etwa 10 Jahren ist die Bauphase. Sie müssen diese große Summe auch sowohl global verteilt als auch über die Jahre verteilt sehen.

    Heinlein: Aber in den USA gibt es ja bereits ähnliche gigantische Maschinen. Ist vor diesem Hintergrund CERN, LHC auch eine Art europäisches Prestigeprojekt?

    Heuer: Ja. Ich glaube, man kann es so sehen, obwohl ich es viel lieber sehen würde als europäisches Projekt mit weltweiter Beteiligung.

    Heinlein: Ist denn mit diesem Projekt das Ende der Fahnenstange erreicht, oder wird bald irgendwo auf dieser Welt irgendwann ein noch größerer Teilchenbeschleuniger geplant und gebaut werden?

    Heuer: Ich glaube nicht, dass damit das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Ich würde aber auch nicht sagen, ein noch größerer. Ich würde sagen, ein andersartiger Teilchenbeschleuniger. Es ist ja so, dass wir neue Technologien auch benutzen, um unsere Teilchen zu höherer Energie zu beschleunigen. Wenn Sie sehen: der LHC ist im gleichen Tunnel, in dem sein Vorgänger LEP, ein Elektron-Positron-Beschleuniger, gestanden hatte, und der hat eine Energie von 200 GEV erreicht. Jetzt sind wir bei 14 TEV, also um den Faktor 70 höher.

    Heinlein: Eigentlich sollte das Projekt ja schon vor Jahren starten, Herr Professor Heuer. Was ist denn schief gelaufen? Warum gab es diese Zeitverzögerung?

    Heuer: Schief gelaufen ist, glaube ich, ein falscher Ausdruck. Es war halt doch etwas schwieriger, ein solches Hochtechnologieprojekt A zu entwickeln und B industriell umzusetzen. Sie müssen das ja auch mit der Industrie zusammen machen und auch die Industrie muss erst mal lernen, an der Hochtechnologiefront etwas Neues zu bauen. Das ist übrigens auch einer der Spin-offs, die wir in die Wirtschaft bringen.

    Heinlein: Eine Frage zum Schluss noch, Herr Professor Heuer. Im aktuellen OECD-Bildungsbericht wird beklagt, Deutschland falle bei der Ausbildung von Hochqualifizierten weiter zurück. Wäre das viele Geld, diese 3,5 Milliarden Euro, nicht besser investiert bei der Lehre, anstatt in dieses gigantische Projekt?

    Heuer: Diese 3,5 Milliarden kommen ja nicht alleine aus Deutschland und ich glaube, die Bildung, die Ausbildung in der Technologie, in den Wissenschaften wird zum Großteil auch getriggert durch neue Methoden, neue Technologien, die sie entwickeln können. Da ist der CERN ein Anziehungspunkt für Ingenieure, Techniker und Physiker aus aller Welt. Wir versuchen gerade zurzeit die Attraktivität für die deutschen Ingenieurswissenschaften zu erhöhen und junge Ingenieure auch in ihrer Ausbildungsphase zum CERN zu kriegen. Das ist eine ganz wichtige Sache. Ich sehe auch diesen Ausbildungsaspekt. Der beste Spin-off aus so einer Wissenschaft sind natürlich die jungen Leute, die wir ausbilden. Das ist ganz, ganz wichtig. Die jungen Leute, die dort ausgebildet werden, die werden an vorderster Front der Technologie ausgebildet, haben eigene Forschungsprojekte, lernen, in Gruppen zu arbeiten, lernen, sich in Gruppen zu behaupten, und lernen, international zu arbeiten. Das ist fantastisch. Die Leute werden uns quasi aus der Hand gerissen.

    Heinlein: Werden wir also in Zukunft mehr deutsche und europäische Nobelpreise in den Naturwissenschaften bekommen, denn bisher haben ja die US-Amerikaner in diesem Bereich die Nase vorn?

    Heuer: Nobelpreise sind schwer vorherzusehen und schwer planbar. Wir hoffen das beste.

    Heinlein: Der künftige Leiter des europäischen Teilchenforschungszentrums CERN in Genf, Rolf-Dieter Heuer. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.