Karin Fischer: Sidi Larbi Cherkaouis Wurzeln liegen nicht im Ballett, sondern bei MTV. Zuerst tanzte er nämlich zu Musikclips. Irgendwann stieß der junge Autodidakt belgisch-marokkanischer Herkunft dann zu Alain Platel und dessen berühmter Truppe und entdeckte den Tanz jenseits von Popmusik. 2002 wurde er in Monte Carlo als bester Nachwuchschoreograf ausgezeichnet. In den letzten Jahren hat er sich viel mit dem Glauben, mit Religiosität, Spiritualität, Mythen und mit kultureller Tradition auseinandergesetzt. Es ging etwa auch in der Zusammenarbeit mit Akram Khan dabei immer schon um das Ausloten von Bewegung und Verständigung zwischen den Kulturen. Zusammen mit einem Musikethnologen stellt Sidi Larbi Cherkaoui entsprechend Livemusik auf die Bühne, so auch bei der jüngsten Uraufführung, die gestern im "Cirque Royal" in Brüssel stattfand: "Babel (Words)" hieß das Stück. Frage an Wiebke Hüster: Im Mythos von "Babel" geht es ja auch um Vielsprachigkeit und Verständnislosigkeit - wie zeigt man das denn im Tanz?
Wiebke Hüster: Das zeigt Cherkaoui ganz einfach: Er bezieht sich auf den Mythos, dass die Menschen, bevor sie gesprochene Sprache entwickelt haben, sich mit Gestensprache verständigt haben. Das erzählt die schwedische Tänzerin Ulrika Svensson auf sehr amüsante Weise. Sie kommt in knallengen, glänzenden Latexhosen mit Kniestiefeln auf die Bühne gestiefelt, schaut so ein bisschen mitunter zu schweren Augenwimpern ins Publikum und fängt an, Gestensprache wörtlich, verbal und eben mit Bewegung zu beschreiben und sagt: Das Schöne war, damals waren die Menschen eigentlich nur ruhig, wenn sie geschlafen haben. Das ist der Punkt Gestensprache. Dann entwickelt sich die Sprache, und es geht immer um diesen Moment, deswegen auch Turmbau zu Babel, in dem die Verständigung schiefging. Und dieser Mythos von dem Turm, den die Menschen bauen, weil sie an den Thron Gottes langen wollen, also eigentlich eine Hybris, und für den sie bestraft werden mit dem Zerfall ihrer Verständigungsmöglichkeiten in Vielsprachigkeit, in Vielzüngigkeit, in Streit, territoriale Kämpfe. All das kommt in diesem zweistündigen Abend brillant vor.
Fischer: Das Bühnenbild hat der Künstler Anthony Gormley gestaltet, das ist der Mann, der im letzten Herbst 100 Tage lang Bürgerinnen und Bürger von London dazu brachte, sich jeweils für eine Stunde auf einen Sockel auf dem Trafalgar Square zu stellen, das aber Tag und Nacht. Was hat er der Sache beigefügt?
Hüster: Gormley ist interessiert am menschlichen Leib, am menschlichen Körper und seiner Wahrnehmung. Deswegen hat er die Leute auf diesen Sockel gestellt in London, damit wir uns auseinandersetzen mit einem zeitgenössischen Körperbild. Und das interessiert ihn natürlich auch in der Zusammenarbeit mit dem Choreografen. Er hat für Cherkaoui schon mal gearbeitet, bei Zero Degrees mit Akram Khan und hat dort zwei mit schwerem Sand gefüllte menschliche, menschengroße Puppen auf die Bühne gestellt, die ganz unheimlich wirkten, weil die wirklich sehr, sehr echt zu bewegen waren. Hier macht er genau das Gegenteil: Er baut fünf Quader aus Metallrahmen, und diese Quader sind unterschiedlich groß, wie ein Container etwa, wie ein kleines Zimmer. Der größte ragt auf wie ein Turm, und die anderen werden auch zu diesem Turmbau in diesen allergrößten hineingeschoben und dann aufgerichtet. Die Tänzer machen die irrsten Sachen mit diesen Dingern. Das Fantastische ist, sie lassen natürlich, wenn man sie nach hinten schiebt, genug Platz zum Tanzen, man kann auch in ihnen tanzen. Sie sind eigentlich das ideale Bühnenbild für Tanz, sie sind wahnsinnig variabel. Sie werden auch zu einer Einwanderungspasskontrollstelle, sie werden zu einer Art Gummizelle oder Gefängniszelle, in der sich ein Tänzer wirklich in einer unglaublichen Pantomime gegen die Zellwände wirft. Also man kann unglaublich viel damit machen. Das hat diese Tänzer sehr, sehr inspiriert.
Fischer: Das Ensemble ist - das ist ja fast schon logisch für Cherkaoui - multinational geprägt, und beim Tanz geht es ja auch schon lang nicht mehr nur ums Tanzen. Wenn ich Sie richtig verstehe, Frau Hüster, ist Vielfalt auch das Thema Cherkaouis bei diesem Abend?
Hüster: Absolut. Cherkaoui macht natürlich - aber nur nebenher, wirklich als Nebenschauplatz - Witze über die Geschichte des zeitgenössischen Tanzes. Er macht sich lustig über seinen früheren Lehrer und Mentor, Alain Platel, über dessen letztes Stück speziell, in dem die Menschen sich eigentlich nur noch wie Tiere oder wie geistig Behinderte artikuliert haben, kaum mehr sprachlich - darüber macht er sich hier in einer herrlichen Parodie lustig. Aber er macht sich eben auch über diesen Gestus des zeitgenössischen Tanzes lustig. Wir haben Menschen aus 33 Nationen in der Company, das gilt ja heute, das gehört zum guten Ton, das muss so sein. Hier macht es bei diesen 18 Musikern und Tänzern, die Cherkaoui hier vereint, zum ersten Mal eigentlich wirklich Sinn, das zu betonen, denn die sprechen in der Tat jeder mit der ihm eigenen von den 15 Sprachen, die hier an diesem Abend verwendet werden. Und das ist das eigentlich Komische an diesem großen Abend, dass man eben ständig auch in der Lage ist, in der Rolle ist dessen, der nicht versteht, der ausgeschlossen ist.
Wiebke Hüster: Das zeigt Cherkaoui ganz einfach: Er bezieht sich auf den Mythos, dass die Menschen, bevor sie gesprochene Sprache entwickelt haben, sich mit Gestensprache verständigt haben. Das erzählt die schwedische Tänzerin Ulrika Svensson auf sehr amüsante Weise. Sie kommt in knallengen, glänzenden Latexhosen mit Kniestiefeln auf die Bühne gestiefelt, schaut so ein bisschen mitunter zu schweren Augenwimpern ins Publikum und fängt an, Gestensprache wörtlich, verbal und eben mit Bewegung zu beschreiben und sagt: Das Schöne war, damals waren die Menschen eigentlich nur ruhig, wenn sie geschlafen haben. Das ist der Punkt Gestensprache. Dann entwickelt sich die Sprache, und es geht immer um diesen Moment, deswegen auch Turmbau zu Babel, in dem die Verständigung schiefging. Und dieser Mythos von dem Turm, den die Menschen bauen, weil sie an den Thron Gottes langen wollen, also eigentlich eine Hybris, und für den sie bestraft werden mit dem Zerfall ihrer Verständigungsmöglichkeiten in Vielsprachigkeit, in Vielzüngigkeit, in Streit, territoriale Kämpfe. All das kommt in diesem zweistündigen Abend brillant vor.
Fischer: Das Bühnenbild hat der Künstler Anthony Gormley gestaltet, das ist der Mann, der im letzten Herbst 100 Tage lang Bürgerinnen und Bürger von London dazu brachte, sich jeweils für eine Stunde auf einen Sockel auf dem Trafalgar Square zu stellen, das aber Tag und Nacht. Was hat er der Sache beigefügt?
Hüster: Gormley ist interessiert am menschlichen Leib, am menschlichen Körper und seiner Wahrnehmung. Deswegen hat er die Leute auf diesen Sockel gestellt in London, damit wir uns auseinandersetzen mit einem zeitgenössischen Körperbild. Und das interessiert ihn natürlich auch in der Zusammenarbeit mit dem Choreografen. Er hat für Cherkaoui schon mal gearbeitet, bei Zero Degrees mit Akram Khan und hat dort zwei mit schwerem Sand gefüllte menschliche, menschengroße Puppen auf die Bühne gestellt, die ganz unheimlich wirkten, weil die wirklich sehr, sehr echt zu bewegen waren. Hier macht er genau das Gegenteil: Er baut fünf Quader aus Metallrahmen, und diese Quader sind unterschiedlich groß, wie ein Container etwa, wie ein kleines Zimmer. Der größte ragt auf wie ein Turm, und die anderen werden auch zu diesem Turmbau in diesen allergrößten hineingeschoben und dann aufgerichtet. Die Tänzer machen die irrsten Sachen mit diesen Dingern. Das Fantastische ist, sie lassen natürlich, wenn man sie nach hinten schiebt, genug Platz zum Tanzen, man kann auch in ihnen tanzen. Sie sind eigentlich das ideale Bühnenbild für Tanz, sie sind wahnsinnig variabel. Sie werden auch zu einer Einwanderungspasskontrollstelle, sie werden zu einer Art Gummizelle oder Gefängniszelle, in der sich ein Tänzer wirklich in einer unglaublichen Pantomime gegen die Zellwände wirft. Also man kann unglaublich viel damit machen. Das hat diese Tänzer sehr, sehr inspiriert.
Fischer: Das Ensemble ist - das ist ja fast schon logisch für Cherkaoui - multinational geprägt, und beim Tanz geht es ja auch schon lang nicht mehr nur ums Tanzen. Wenn ich Sie richtig verstehe, Frau Hüster, ist Vielfalt auch das Thema Cherkaouis bei diesem Abend?
Hüster: Absolut. Cherkaoui macht natürlich - aber nur nebenher, wirklich als Nebenschauplatz - Witze über die Geschichte des zeitgenössischen Tanzes. Er macht sich lustig über seinen früheren Lehrer und Mentor, Alain Platel, über dessen letztes Stück speziell, in dem die Menschen sich eigentlich nur noch wie Tiere oder wie geistig Behinderte artikuliert haben, kaum mehr sprachlich - darüber macht er sich hier in einer herrlichen Parodie lustig. Aber er macht sich eben auch über diesen Gestus des zeitgenössischen Tanzes lustig. Wir haben Menschen aus 33 Nationen in der Company, das gilt ja heute, das gehört zum guten Ton, das muss so sein. Hier macht es bei diesen 18 Musikern und Tänzern, die Cherkaoui hier vereint, zum ersten Mal eigentlich wirklich Sinn, das zu betonen, denn die sprechen in der Tat jeder mit der ihm eigenen von den 15 Sprachen, die hier an diesem Abend verwendet werden. Und das ist das eigentlich Komische an diesem großen Abend, dass man eben ständig auch in der Lage ist, in der Rolle ist dessen, der nicht versteht, der ausgeschlossen ist.