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Vier Jahreszeiten an einem Tag

Dass die Azoren das Wetter in Europa beeinflussen, haben Wissenschaftler bereits Ende das 19. Jahrhunderts vermutet. Obwohl sie das so genannte Azorenhoch da noch gar nicht kannten. Sechs Meteorologen in Ponta Delgada beobachten das extrem wechselhafte Wetter. Von Jochen Faget

    Francisco Afonso Chaves schickte den ersten Wetterbericht von den Azoren nach Lissabon. Sein Ur-Ur-Enkel João Luís Cogumbreiro de Melo Garcia, der zu Hause in alten Familiendokumenten stöbert, ist heute noch ganz stolz darauf:

    "Mein Ur-Ur-Großvater besuchte 1901 im Auftrag des portugiesischen Königs alle meteorologischen Forschungszentren Europas, um auf den Azoren eine Wetterstation einzurichten. Von dieser Station aus meldete er dann Informationen nach Europa. Grob gesprochen kommt das Wetter nämlich aus Richtung Amerika über den Atlantik.

    Das Wetter, das wir heute auf der Insel São Miguel haben, kann zwei Tage später in Mitteleuropa sein. Daraus schloss Chaves, dass, wenn es einen großen Sturm auf den Azoren gebe, man auch Stürme für Mitteleuropa voraussagen könne. Das war damals eine fundamentale Neuigkeit."

    Im großen und ganzen hatte Francisco Afonso Chaves Recht, bestätigt Diamantino Valente Henriques, diensthabender Meteorologe der Wetterstation auf dem Flughafens der Azoren-Hauptstadt Ponta Delgada:

    "Die Azoren sind ein einzigartiger Punkt im Nordatlantik. Die Luftströmungen auf der Nordhalbkugel bewegen sich von West nach Ost. Diese Systeme zu kennen, bevor sie Europa erreichen, ist sehr wichtig. So kann man exaktere Wettervorhersagen machen. Das Wetter, das über die Azoren zieht, kann eventuell auch Europa erreichen. Aber man muss wissen, in welcher Form. Ob es sich abschwächt oder verstärkt. Und dafür sind die Wetterbeobachtungen auf den Azoren von einzigartiger Wichtigkeit."

    Wegen des Azorenhochs eben, einem riesigen Hochdruckgebiet, das fast immer über der Inselgruppe hängt. Und Diamantino Henriques, Anfang 40, einer von sechs Meteorologen in Ponta Delgada, ist so etwas wie der Wächter des Azorenhochs.

    Viel hat sich geändert, seit Francisco Afonso Chaves Anfang des 20. Jahrhunderts mit den Wetterbeobachtungen auf den Azoren begann: In seinem Studierzimmer in der Altstadt von Ponta Delgada türmten sich noch Berge von Büchern, Briefe von Forscherkollegen aus ganz Europa; und von Chaves akribisch geführte Temperaturtabellen.

    In der Wetterwarte im Sicherheitsbereich des Flughafens stehen hingegen nur noch Computer. Sie sind mit dem Hauptrechner des Meteorologischen Instituts in Lissabon verbunden; und mit dem Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen im englischen Reading. Von dort kommen auch die täglichen Wetterprognosen, die Diamantino Henriques ausgedruckt und an die Pinwand hinter seinem Schreibtisch geheftet hat.

    "Hier haben wir die Wettervorhersage von gestern für heute und die nächsten Tage. Aber von den Azoren sieht man nur die Umrisse der Inseln. Wir bekommen nur die Grosswetterlage zugeschickt, die Grenzwerte. Die müssen wir bei unserer Vorhersage an die Topographie der Azoren anpassen."

    Kein leichter Job: Die Meteorologen seien dabei auf ihre persönlichen Erfahrungen angewiesen, sagt Diamantino Henriques. Die vielen Berge und Schluchten auf den Inseln machten eine Wettervorhersage schwer, die schnellen Veränderungen sie fast unmöglich. Aber im Lauf der Zeit bekommt man die Tücken des Azorenwetters schon in den Griff, lacht der Meteorologe, bevor er eine neue Wettervorhersage an den Flughafentower weitergibt.

    Das Klima auf den Azoren hat es in sich. Damit hatte schon der Wetterpionier Francisco Afonso Chaves, der eigentlich Artillerieofizier war, seine Probleme. Ur-Ur-Enkel João Cogumbreiro erzählt schmunzelnd:

    "Der Major Chaves wohnte am oberen Ende der Straße, die heute seinen Namen trägt. Damals gab es noch keine Autos auf der Insel, also musste er die Straße jeden Tag zu Fuß hinuntergehen. Natürlich haben ihn alle Nachbarn gefragt, wie das Wetter wird. Dann schaute er in den Himmel. Wenn es regnete, dann sagte er, am Nachmittag werde die Sonne scheinen. Wenn sehr schönes Wetter war, sagte er, am Abend werde es regnen. Er hatte eben nicht nur Humor, sondern er wusste auch, dass die Azoren während eines einzigen Tages oft alle vier Jahreszeiten erleben. Unser Wetter ist eben sehr wechselhaft."

    Während in der Inselhauptstadt Ponta Delgada die Sonne scheint und sommerliche Temperaturen um die 25 Grad herrschen, schüttet es beim Vulkankrater von Furnas, weht dort ein nahezu eisiger Wind. Bewölkt ist es auf den Inseln sowieso fast immer, kurze Regenschauer fallen mindestens einmal täglich. Das Azorenhoch - in Europa ein Garant für gutes Wetter - macht den Menschen dort, wo es herkommt, das Leben eher schwer, bestätigt der Meteorologe Diamantino Henriques:

    "Das Azorenhoch wirkt sich auf dem Ozean eben anders aus, als auf dem Festland. Für Europa bedeutet es klaren Himmel und trockene Luft. Auf dem Ozean bringt es feuchte Luft und Niederschläge. Denn welche Luftmassen auch immer auf die Azoren kommen, sie bringen Feuchtigkeit mit. Wenn die Luft dann an den Bergen aufsteigen muss, verdichtet sich der Wasserdampf. Darum regnet es bei uns im Winter viel und im Sommer auch nicht gerade wenig. Es regnet eben immer."

    Und Wettervorhersagen sind wichtig auf den Azoren: Für den Flugverkehr zwischen den Inseln, für die Schifffahrt, für die Fischer und für die Landwirte. Jeder will wissen, wie das Wetter wird, lacht Diamantino Henriques. Es komme sogar vor, dass Nachbarn, die verreisen wollen, ihn fragten, ob die Wetterlage dafür gut sei.

    Es hat sich eben nicht alles verändert, seit Francisco Afonso Chaves mit seinen Wetterbeobachtungen begonnen hat. Auf seinem Fussmarsch zum regionalen Fernsehsender wird auch Diamantino Henriques immer wieder von Passanten angesprochen. Sie kennen ihn vom Wetterbericht aus den Nachrichten, wollen wissen, wie morgen das Wetter wird. Meteorologen sind auch auf den Azoren Fernsehstars. ‚Nehmen Sie lieber einen Regenschirm mit, scherzt Henriques, am Nachmittag dürfte es leichte Schauer in der Stadt geben.

    Dann wirds ernst, die Wettervorhersage wird aufgezeichnet: Der Meteorologe bespricht mit dem Grafiker noch einmal die Einblendungen für den Wetterbericht, der Regisseur sitzt bereits auf seinem Stuhl und wartet. Vor der grünen Wand des Studios, auf die die Wetterkarten projeziert werden, übt Diamantino Henriques noch einmal seinen Text. ‚Achtung, bitte’ verkündet der Regisseur.

    Das Azorenhoch hänge weiter über den Inseln, berichtet Diamantino Henriques dann den Zuschauern. Und man weiss ja, was das bedeutet: Heiter bis wolkig, ein bisschen Sonne und vereinzelt Regen. Der Meteorologe verabschiedet sich - bis morgen dann und guten Abend.