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Vier Morde und ein Buddha

Der in Insiderkreisen für seine satirischen Produktionen im NDR-Extra Drei als Fernsehautor bekannte Wimmer Wilkenloh hatte sich die Recherchen für sein Krimiprojekt sicherlich einfacher vorgestellt. Die Idee war im Kopf. Es sollte eine Geschichte werden über ein gefälschtes Buch von Theodor Storm, um das sich Spekulanten streiten. Ort der Handlung: Storms Heimatstadt Husum. Die graue Stadt am grauen Meer.

Von Steffen Graefe | 22.08.2005
    Am Tatort
    Am Tatort (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    " Die Recherche zur kriminalistischen Arbeit in Husum hätte mich fast meine Anfangseuphorie gekostet. Dabei lief alles im ersten Augenblick ziemlich unkompliziert an. Über die Auskunft bekam ich die Telefonnummer, stellte mich als Krimiautor vor und bekam von der Sekretärin sofort einen Termin beim Leiter der Kriminalpolizei in Husum, also direkt an der Quelle, sozusagen. Im Vorfeld hatte ich mich präpariert, hatte mir einige Fragen zu meiner Krimiidee zurechtgelegt, und wollte außerdem noch einiges zur allgemeinen Polizeiarbeit wissen. Doch als ich dem Kripobeamten meinen Anfang erzählte, ihm meine Leiche im Watt präsentierte, meinte der ziemlich trocken: Da sind sie hier in Husum aber völlig falsch. Bei Mord sind die Kollegen in Flensburg zuständig."

    Der in Insiderkreisen für seine satirischen Produktionen im NDR-Extra Drei als Fernsehautor bekannte Wimmer Wilkenloh hatte sich die Recherchen für sein Krimiprojekt sicherlich einfacher vorgestellt. Die Idee war im Kopf. Es sollte eine Geschichte werden über ein gefälschtes Buch von Theodor Storm, um das sich Spekulanten streiten. Ort der Handlung: Storms Heimatstadt Husum. Die graue Stadt am grauen Meer. An einem nebligen Novembertag wird hier eine Leiche im Watt gefunden. Fischer bergen die Leiche. Um eine solche Bergung realitätsgetreu beschreiben zu können, besuchte der Autor einen Fischer in der Nähe seiner Ferienwohnung in Eiderstedt.

    " Es dauerte eine gewisse Zeit, bis ich ihm überhaupt erklärt hatte, was ich haben wollte, dass er mir den Ablauf an Bord beschreibt. Und dann hab ich mir Notizen gemacht und wollte mein Wissen am nächsten Tag im Hafen von Husum an einem Krabbenkutter überprüfen. Da stand ich nun vor dem Schiff mit den Winden und Masten, und Querbalken, und ich muss sagen: die Notizen passten vorne und hinten nicht. In welcher Reihenfolge wurden die denn nun eigentlich benutzt? Wie werden die Netze ins Wasser gelassen und wie wieder herausgeholt? Und ich war genauso schlau, wie vor dem Gespräch."

    Diese Schwierigkeiten beim Recherchieren merkt man dem 400-Seiten Opus nicht mehr an. Das kleinbürgerliche Milieu der norddeutschen Provinzstadt wird geradezu akribisch und mit einem Schuss Humor vorgeführt. Dass der Autor seinen in vier Mordfällen und keineswegs in überweltlichen Regionen ermittelnden Kommissar als einen Buddhisten auftreten lässt, wirkt wie eine Persiflierung des im Allgemeinen recht banalen Alltags der Polizei. Sogleich wird der Kommissar verdächtigt, Mitglied einer Sekte zu sein, obwohl der Buddhismus doch nur eine Weltanschauung ist. Lehrte nicht Buddha das Gesetz von Ursache und Wirkung? Auch ein ermittelnder Kommissar muss die empirische Wirklichkeit als ein Geflecht von Zusammenhängen verstehen lernen und erkennen, dass jeder Handlungen Ursachen zugrunde liegen, die zunächst verborgen sind.

    " Das braucht schon ein umfassendes Wissen, um Wirklichkeit zu deuten, und nicht nur an der Oberfläche hängen zu bleiben, sozusagen nur die Illusion der Dinge zu sehen. Das muss auch ein Kriminalist leisten. Der hat ja nicht nur Blutspuren oder einen Fingerabdruck, um sie einer Person zuzuordnen. Er muss auch Zusammenhänge der Spuren begreifen und sie richtig einordnen. Der Buddhist wurde sagen: Achtsam sein."

    Die buddhistische Achtsamkeit führt den Kommissar allerdings zunächst in die Irre. Bei der Aufklärung des Falles kann der Buddhismus alleine nicht helfen. Denn dem Buddhisten erschließt sich nur die allgemeine Erkenntnis, dass alle menschlichen Handlungen in einem Ursache-Wirkungsgeflecht miteinander verwoben sind. Wie sie miteinander verbunden sind, also die psychologischen Motive in diesem Geflecht, bleiben ihm prinzipiell verborgen, denn der Buddhismus interessiert sich nicht (thematisiert nicht) für die Psychologie des Menschen.

    Da wird ein angeblich von Theodor Storm geschriebener Roman gefunden, obwohl Storm niemals Romane geschrieben hat. Schon hat sich die Husumer Rundschau die Rechte für den Abdruck des Romans gesichert. Scheinbar unabhängig von diesem Fund werden vier Personen ermordet, darunter der Vorsitzende der Theodor Storm Gesellschaft, nachdem er beauftragt wurde, in einem Gutachten die Echtheit des Fundes zu überprüfen. Hunderte Seiten lang tappen Kommissar Svensen und mit ihm die Leser im Dunkeln. Auf die richtige Spur führt schließlich Storms Märchen vom Häwelmann, einem egomanischen Kind, das Sigmund Freud für die Entwicklung seiner komplexen Darstellung des Primären Narzissmus Anschauungsmaterial hätte geben können. Der Mörder hat eine bestimmte Psychologie, die mit diesem Kindermärchen zu tun hat. Wie Storms "Häwelmann" ist er eine Art "Hätschelkind".

    Wenn sich der Verlag auch beim Lektorieren ein wenig mehr Mühe hätte geben können, ist Wimmer Wilkenloh mit diesem Erstling ein zugleich lesenswerter wie spannender Thriller gelungen. Dieser Kriminalroman entbehrt nicht gewisser psychologischer Finessen.