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Vietnamesische Journalisten
Hanois langer Arm

Viele Jahre war Deutschland ein sicherer Zufluchtsort für Dissidenten und kritische Journalisten aus Vietnam. Doch seit der mutmaßlichen Entführung von Trinh Xuan Tanh ist die Sorge unter manchen Exilanten gewachsen - sie werden wirtschaftlich unter Druck gesetzt und bedroht.

Von Silke Ballweg | 15.01.2018
    Ein Fernseher zeigt den Angeklagten in einer Sendung des vietnamesischen Staatsfernsehens.
    Vietnamesische Dissidenten und kritische Journalisten verfolgen das Schicksal von Trinh Xuan Tanh. (Hoang Dinh Nam / AFP)
    Draußen steht Sicherheitspersonal und kontrolliert die Taschen der Besucher; drinnen sitzt der Journalist Trung Khoa Le auf dem Podium. Die von der Berliner Tageszeitung "taz" in Kooperation mit "Reporter ohne Grenzen" organisierte Veranstaltung, bei der es um die Situation vietnamesischer Blogger und Journalisten in Deutschland geht, muss geschützt werden. Denn die Medienschaffenden werden derzeit angefeindet.
    "Nachdem wir zu der Veranstaltung eingeladen hatten, wurden wir bedroht. Unbekannte haben im Internet gepostet, dass sie kommen und Stinkbomben werfen würden. Jemand schrieb sogar, er würde auf mich schießen. Seit der Verschleppung von Trinh Xuan Tanh haben wir Angst, dass jemand Ernst machen könnte."
    Das Schweigen gebrochen
    Trung Khoa Le lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Seit zehn Jahren betreibt er die vietnamesisch-sprachige Onlinezeitung "Thoibao.de" (zu Deutsch: Die Zeit), mit der er sich an seine Landsleute in Deutschland wie in Vietnam richtet. Anfangs schrieb Trung Khoa Le aus Berlin vor allem positiv über die Regierung in Hanoi, für seine Webseite übernahm er sogar Artikel aus den staatlichen vietnamesischen Medien. Doch die einseitige, beschönigende Propaganda aus seiner Heimat störte ihn zuletzt immer mehr.
    Als der kurz zuvor mutmaßlich entführte Trinh Xuan Thanh im August vergangenen Jahres im vietnamesischen Staatsfernsehen aussagte, er sei aus freien Stücken in seine Heimat zurückgekehrt, wollte Trung Khoa Le nicht länger schweigen. In seiner Online-Publikation widersprach er von Berlin aus den Darstellungen der offiziellen Staatsorgane.
    "Ich habe an dem Tag direkt Trinh Xuan Thanhs deutsche Rechtsanwältin kontaktiert, mir einige Details der Entführung schildern lassen. Dann habe ich die ganze Angelegenheit in meiner Onlinezeitung veröffentlicht."
    Wirtschaftlicher Druck aus Vietnam
    Kurz darauf wurde seine Webseite in Vietnam gesperrt. Die staatliche Fluggesellschaft Vietnam Airlines zog die Anzeigen, die sie jahrelang bei "Thoibao.de" geschaltet hatte, zurück. Hund, Verräter oder Stinker wird Trung Khoa Le seither im Internet beschimpft. Mehrmals drohte man, ihn zu erschießen.
    "Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Leute, die Trinh Xuan Thanh entführt haben, sich immer noch in Berlin aufhalten. Deswegen rechne ich weiter mit Gefahr."
    Medien in Vietnam unterstehen einer strengen Zensur. Wer offen über Arbeiterproteste, Landraub oder Korruption bei höherrangigen Politikern schreibt, muss mit Verfolgung und Gefängnis rechnen. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" sitzen derzeit 15 Blogger in Vietnam hinter Gitter. Auf der Rangliste der Pressefreiheit rangiert das Land auf Platz 175 von 180 Ländern.
    Auf verwackelten Smartphone-Bildern sieht man, wie Sicherheitsleute mit Schlagstöcken auf ein Haus zugehen. Es kommt zu Diskussionen mit den Bewohnern und offenbar auch zu kleineren Rangeleien. Der Blogger Bui Thanh Hieu erzählt in Berlin, er habe das Video im April 2012 außerhalb von Hanoi aufgenommen. Es zeige, wie die Bewohner von ihrem Grundstück vertrieben werden sollen. In seiner Heimat hat Bui Thanh Hieu Fälle wie diese jahrelang veröffentlicht. Seine Kritik der sozialen Missstände machte ihn zu einem der bekanntesten Blogger in Vietnam.
    "Drohungen sind größer geworden"
    "Als 2005 mein Sohn geboren wurde, hatte meine Frau bei der Geburt einige Komplikationen. Doch im Krankenhaus wollte man sich nur kümmern, wenn ich Schmiergeld zahle. Da habe ich angefangen, über die ungerechte Behandlung der ganz normalen Leute zu schreiben, ich wollte nicht länger hinnehmen, wie man mit ihnen umgeht."
    Wegen seiner Veröffentlichungen wurde Bui Thanh Hieu während der vergangenen Jahre immer wieder in Vietnam inhaftiert. 2013 konnte er mit einem Stipendium der Schriftstellervereinigung PEN schließlich nach Deutschland kommen. Mittlerweile hat er politisches Asyl erhalten, mit seiner Familie lebt er nun in Berlin. Auch von hier aus schreibt er weiter über die Lage in seiner Heimat.
    "Bis zur Verschleppung von Thinh Xuan Tanh hatte ich keine Angst. Aber jetzt sind die Drohungen gegen uns viel größer geworden. Ich kann nicht erwarten, Polizeischutz zu bekommen. Aber ich habe schon das Gefühl, auf mich aufpassen zu müssen."
    Für Bui Thanh Hieu und Trung Khoa Le war Deutschland in den vergangenen Jahren ein Ort, an dem sie sich sicher wähnten. Doch dieses Gefühl ist ihnen abhanden gekommen. Seit der Verschleppung von Thinh Xuan Tanh fürchten die beiden den langen Arm der kommunistischen Partei in Hanoi.