Dienstag, 19. März 2024

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Virologe zu Covid-19
"Eine stille Pandemie"

Der Ausbruch des Coronavirus sei nicht mehr einzudämmen, sondern nur noch zu verlangsamen, sagte Virologe Jonas Schmidt-Chanasit im Dlf. Es handele sich um eine sogenannte stille Pandemie: Das Virus breitet sich weltweit aus, wird aber erst bemerkt, wenn schwere Erkrankungsfälle auftreten.

Jonas Schmidt-Chanasit im Gespräch mit Ralf Krauter | 26.02.2020
Virologen Prof. Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg
Prof. Jonas Schmidt-Chanasit: Sehr schwer, den Ursprung noch herauszufinden (privat)
Das neue Coronavirus mit dem offiziellen Namen SARS-CoV-2, ist erneut in Deutschland gelandet. In der Uniklinik Düsseldorf werden zwei Infizierte aus dem Kreis Heinsberg behandelt, wo bis Montag prophylaktisch alle Schulen geschlossen wurden. In Baden-Württemberg befindet sich ein weiterer Patient in Quarantäne. Während bei den Patienten in Nordrhein-Westfalen noch unklar ist, wo die sich angesteckt haben, führt die Spur im Kreis Göppingen ganz klar nach Italien. Der Infizierte war kürzlich in Mailand, und damit genau in jener Region wo die Zahl bestätigter Corona-Infektionen seit dem Wochenende regelrecht zu explodieren scheint, auf mittlerweile über 322 Fälle. Norditalien ist ein neuer Infektionsherd mitten in Europa, zehn Betroffene sind dort bereits gestorben. Virologe Professor Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg äußert sich über den Ursprung des Virus, die Suche nach Patient Null und die Situation in Deutschland.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Ralf Krauter: Weiß man denn inzwischen mehr über den Ursprung der Corona-Infektionen in Italien?
Jonas Schmidt-Chanasit: Das weiß man nicht, und das ist besonders schwer, weil sich das Virus unbemerkt weiterverbreiten kann. Es handelt sich ja um eine sogenannte stille Pandemie, das heißt, das Virus breitet sich weltweit aus, wird aber erst bemerkt, wenn natürlich diese schweren Erkrankungsfälle auftreten, und die sind natürlich nur die Spitze vom Eisberg. Das macht es dann natürlich sehr schwer, den Ursprung noch herauszufinden, wo man sagen kann, gut, es gab jetzt schon vielleicht zwei Wochen eine stille Zirkulation, und man sieht jetzt wirklich nur diese schweren Erkrankungsfälle, und die sind ja glücklicherweise nur in ein bis zwei Prozent der Infizierten denn auch sichtbar.
Die Jagd nach Patient Null
Krauter: Trotzdem versuchen Epidemiologen in Italien ja fieberhaft diesen sogenannte Patienten Null oder die Patientin Null zu finden, die also quasi den Start der Infektionskette gebildet hat. Mit welchen Methoden gehen die da jetzt vor?
Schmidt-Chanasit: Das sind klassische epidemiologische Methoden auf der einen Seite, das heißt durch Befragung, wer hatte mit wem Kontakt. Das hat aber alles seine Grenzen, und zwar wenn die Inkubationszeit dermaßen lang ist, also jetzt zum Beispiel bis zu einem Monat, können Sie sich vorstellen, wenn Sie jemand fragt, wo waren Sie denn vor einem Monat, und mit wem hatten Sie alles Kontakt, das wird schon schwierig. Das ist jetzt genau die Situation, dass man wahrscheinlich diesen Patienten Null oder das Kontagion sozusagen, wo das alles begonnen hat, der Infektionspunkt, dass man das nicht mehr identifizieren wird. Eine zweite Möglichkeit ist, das über Sequenzanalysen zu machen. Man hat also das Erregererbgut und kann dann sehr gut nachvollziehen, wer wen angesteckt hat. Das kann man auch mit einer molekularen Uhr koppeln und weiß dann auch sozusagen den zeitlichen Ablauf. Also örtlich und zeitlich kann man das aufgrund der Erregererbsubstanz sehr gut nachvollziehen, und dann kann man letztendlich Mutmaßungen anstellen, wo der mögliche Ort gewesen sein könnte und wer sozusagen zu den ersten Personen gehört hat, die sich damit angesteckt haben.
Krauter: Diese Jagd nach Patient Null, die läuft. Vielleicht wird sie nicht von Erfolg gekürt sein, entnehme ich Ihren Worten. Warum wäre es so wichtig, den Ursprung zu finden, welche Antworten erhoffen sich denn Mediziner davon?
Schmidt-Chanasit: Da geht es natürlich um ein tiefes Verständnis, wie sich dieses Virus ausbreitet, was die Mechanismen der Ausbreitung sind. Ich hatte das nun schon erwähnt, das hat alles Grenzen. Gerade wenn wir uns letztendlich in einer Pandemie befinden, wird das immer schwieriger, weil wir dann sozusagen so viele Enden haben, die man letztendlich nicht mehr zusammenführen kann. Irgendwann, wenn die Anzahl der Patienten letztendlich ein Niveau erreicht, was für das Gesundheitssystem schwer händelbar ist, wird man sich auf andere Sachen fokussieren müssen, nämlich auf die Behandlung der Schwererkrankten. Da müssen die Ressourcen letztendlich dann auch rein. Insofern sind dann die Prioritäten andere.
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"Richtig ist, Massenveranstaltungen abzusagen"
Krauter: Am Montag war in der italienischen Presse zu lesen, dass möglicherweise Menschenansammlungen im Umfeld eines Fußballspiels in Padua der Ausgangspunkt der Infektionswelle in Norditalien waren. Könnte da was dran sein?
Schmidt-Chanasit: Ja, das ist sehr gut vorstellbar. Massenveranstaltungen sind natürlich ein großes Problem. Da kann es zu vielen, vielen Infektionen kommen, und insofern sind die Maßnahmen, Massenveranstaltungen abzusagen, genau die richtigen, zum einen, um weitere Infektionen zu vermeiden und zum anderen den weiteren Ausbruch zu verlangsamen. Man wird ihn nicht mehr ganz aufhalten können. Von eindämmen ist auch gar nicht mehr zu sprechen, aber zumindest verlangsamen, dass quasi nicht die Rettungsstellen und die Intensivstationen alle auf einmal sozusagen überlastet werden, sondern dass man das über einen längeren Zeitraum zieht und somit die Patienten auch alle noch gut behandeln kann.
Krauter: Der Fall Italien, der jetzt schon weitere Kreise zieht, hat, glaube ich, allen vor Augen geführt, das der Pandemiestatus jetzt dann doch erreicht ist. Kann es sein, dass der Kampf gegen die Ausweitung der ursprünglich in Asien vor allem beheimateten Epidemie zu einer weltweiten, ausgerechnet in einem hochentwickelten Land in Europa verlorengegangen ist?
Schmidt-Chanasit: Ja, das habe ich immer gesagt. Es geht jetzt darum, die weitere Ausbreitung zu verlangsamen. Es ist nicht gelungen, den Ausbruch auf China zu begrenzen. Wir haben jetzt Ausbrüche in anderen Ländern. Besonders problematisch der Ausbruch im Iran, der mittlerweile sich auf die ganze Region ausgeweitet hat. Insofern kann es jetzt nur darum gehen, das zu verlangsamen und uns gut auf die Patienten, die jetzt sicherlich in den nächsten Tagen und Wochen auch in Deutschland auftreten werden, dass wir uns darum gut kümmern können, dass sie entsprechend diagnostiziert werden können und dann auch behandelt werden können.
Viele Infektionen nur mit sehr leichter Symptomatik
Krauter: Haben wir in Deutschland bisher einfach nur Glück gehabt, weil es nur vereinzelte Fälle gab und zum Glück auch keiner der Infizierten an einer Massenveranstaltung teilgenommen hat, nach allem, was wir wissen?
Schmidt-Chanasit: Das sieht momentan so aus, aber ich habe ja schon gesagt, das Virus verbreitet sich unbemerkt oder kann es zumindest. Das heißt, es kann durchaus sein, dass wir schon seit zwei Wochen Coronavirusinfektionen in Deutschland haben, nur es hat niemand bemerkt, weil natürlich in einer Vielzahl der Fälle diese Infektion nur mit einer sehr leichten Symptomatik verläuft, das heißt, wie ein Schnupfen, oder asymptomatisch, das heißt, gar nicht bemerkt wird. Die Leute werden sich da natürlich nicht testen lassen. Insofern ist es hier durchaus denkbar, dass das Virus schon auch einige Tage in Deutschland zirkuliert und wir jetzt auch die Fälle in Nordrhein-Westfalen oder in Baden-Württemberg auch nur wieder die Spitze vom Eisberg sind. Hier bleibt abzuwarten, ob sich das bestätigt. Das werden die epidemiologischen Untersuchungen vor Ort jetzt auch bringen, wo sind die Patienten hergekommen, mit wem hatten sie Kontakt, und dann wird man früher oder später sehen, ob es auch schon in den letzten Tagen weitere Infektionen in Deutschland gegeben hat.
Krauter: Womit rechnen Sie denn ganz konkret in Deutschland in den nächsten Tagen und Wochen?
Schmidt-Chanasit: Wir rechnen mit einer weiteren Ausbreitung, mit weiteren Fällen natürlich, und hier kommt es jetzt ganz entscheidend darauf an, ob die Gegenmaßnahmen greifen. Da kann jeder ja auch mithelfen, sozusagen die Ausbreitung zu verlangsamen, indem die Hygienemaßnahmen ergriffen werden: häufiges Händewaschen, dass man sich nicht ins Gesicht fasst, dass man sozusagen im öffentlichen Raum weniger Knöpfe, Türklinken und so weiter berührt, insoweit das möglich ist, Menschenansammlungen meidet. Also das kann schon dazu führen, dass sich das Ganze nicht so schnell ausbreitet und natürlich von staatlicher Seite die Kapazitäten geschaffen werden, um Erkrankte schnell zu identifizieren und zu behandeln, weil nach wie vor geht natürlich von den Schwererkrankten die größte Gefahr für Infektionen aus. Gerade wenn die im Krankenhaus sind und nicht erkannt werden, das ist dramatisch. Das haben wir in Wuhan gesehen, weil da sind ja schon Patienten mit anderen Vorerkrankungen. Wenn die sich dann auch noch infizieren im Krankenhaus, also das muss auf jeden Fall verhindert werden. Darum ist es ganz wichtig, sich auf diese Kranken zu fokussieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.