Archiv

Virtual-Reality-Kino
Reales Rundum-Erlebnis

Im März wurde das erste Virtual-Reality-Kino der Welt in Amsterdam eröffnet, bald folgt ein Kino in Berlin. Virtual-Reality-Bilder beanspruchen das Gehirn dreimal mehr als normale, zweidimensionale Bilder, deshalb dauern die Vorstellungen nur 30 statt 90 Minuten. Geboten wird ein Mix aus Zeichentrick-, Dokumentar- und Spielfilm.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Gäste des Virtual-Reality-Kinos von Amsterdam
    Gäste des Virtual-Reality-Kinos von Amsterdam (Deutschlandradio/Kerstin Schweighöfer)
    Was ist denn da los? Einen Steinwurf vom Amsterdamer Hauptbahnhof entfernt bleiben Passanten vor einer grossen Schaufenster-Scheibe stehen. Amüsiert schauen sie nach innen.
    Manche machen ein Foto mit dem Handy. Die gut 50 Menschen auf der anderen Seite der Glasscheibe merken nichts davon. Sie sitzen in bequemen Drehsesseln, mit Kopfhörern und großen rechteckigen Brillen, die an Skibrillen erinnern. Geistesabwesend drehen sie sich im Kreis, mal nach rechts, mal nach links, und machen seltsame Handbewegungen.
    "Willkommen im Virtual Reality Cinema - dem allerersten der Welt", schmunzelt sein Gründer Jip Samhoud voller Stolz, als wir das Foyer betreten.
    Es ist nostalgisch eingerichtet: mit Tresen, kleinen Tischen und Plüschsofas. Denn das VR-Kino, wie es kurz genannt wird, soll das traditionelle Kino ja nicht verdrängen, betont Samhoud, ein junger blonder Amsterdamer Unternehmer:
    "Das Publikum wird sich weiterhin Filme auf einer Leinwand anschauen, aber manchmal Lust bekommen, diese Distanz zu verlieren und in einen Film einzutauchen. Denn Virtual Reality bedeutet, dass man nach oben und nach unten gucken kann, nach rechts und nach links - man ist mittendrin."
    Kindliche Verwunderung in den Augen von Erwachsenen
    Die Testphase in Amsterdam verlaufe gut. Innerhalb der nächsten 12 Monate will Samhoud 50 Filialen in ganz Europa eröffnen, die erste Anfang April in Berlin.
    "Es ist gewöhnungsbedürftig, das schon. Aber wenn die Menschen die Brillen wieder absetzen, haben auch Erwachsene eine kindliche Verwunderung in den Augen. Das Gehirn denkt, dass sich etwas bewegt."
    Die Drehbuchautoren müssen deshalb darauf achten, dass in den Filmen keine allzu abrupten Bewegungen vorkommen. Einer von ihnen sitzt am Nebentisch und heißt Ronald Giphart, ein bekannter niederländischer Schriftsteller:
    "Das wird die Welt verändern! Wollen Sie wissen, wie sich diese Erfahrung anhört?"
    Endlich, wir dürfen rein. Ein Assistent erklärt uns, wie die Brillen funktionieren.
    Dann geht’s los mit einem Zeichentrickfilm. Als erstes müssen wir uns von einem riesengroßen Kaninchen beschnüffeln lassen, sozusagen Nase an Nase.
    "Das ist virtual reality" - "du bist live dabei!"
    Kontrastprogramm! Auf einmal Trümmer und zerbombte Häuser, soweit das Auge reicht. Wir sind im Gazastreifen, mitten im Wohnzimmer einer palästinensischen Familie.
    Zwei Söhne hat sie bereits verloren, klagt neben mir die Mutter. Ich bekomme eine Gänsehaut. Würde ihr zum Trost gerne die Hand auf den Arm legen.
    Ich schiebe meine Brille etwas nach oben und sehe, wie der Assistent die Jalousien hochzieht. Draußen vor der Scheibe bildet sich eine Menschentraube und macht Fotos. Jetzt bin ich so etwas wie ein Tier im Zoo.
    Der Spielfilm von Roland Giphard beginnt, ich stehe in einer Amsterdamer Küche, genau zwischen einem streitenden Yuppie-Ehepaar. Die beiden haben in den Medien Karriere gemacht und vollmundig dazu aufgerufen, Flüchtlingen zu helfen, werden dann aber mit ihrer Scheinheiligkeit konfrontiert, als ein Fernsehteam mit laufenden Kameras vor der Tür steht und einem Flüchtling aus Aleppo: Ob sie den wohl für eine Nacht aufnehmen wollten? Die beiden verziehen sich in den Hinterhof, als ich ihnen folge, habe ich Angst, die Vase mit den Tulpen umzustossen.
    Dann wenden sie sich auf einmal an mich:
    "Das ist virtual reality", sagen sie, "du bist live dabei – ja, du!"
    "Was bist du eigentlich? Zuschauer oder Teilnehmer?"
    Nach 30 Minuten ist der Spuk vorbei. Es dauert eine Weile, bis wir uns wieder in der Echtzeit zurechtfinden. Es war ermüdend. Aber alle sind begeistert:
    Die Handlungen der Filme waren anspruchsvoll und ergreifend, der Qualität der Bilder ließ teilweise zu wünschen übrig und ist nicht mit HD zu vergleichen. Noch nicht. Aber ansonsten hat Ronald Giphard recht. VR-Kino ist:
    "Woooow!"