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Virtuelle OP

Medizin.- Immer mehr Operationen werden heute minimal-invasiv durchgeführt. Der Vorteil dieser sogenannten Schlüsselloch-Chirurgie: Sie ist schonender als ein normaler Eingriff. Doch muss dieses OP-Verfahren von den Ärzten auch trainiert werden. Dazu nutzen sie vor allem Simulatoren.

Von Frank Grotelüschen |
    "Ich muss jetzt mit der Kamera gewisse Punkte, also Kugeln, finden und fotografieren. Letztendlich kann man sich das ein bisschen so vorstellen wie ein dreidimensionales Computerspiel: Ich muss diese Kugeln treffen und dann fotografieren."

    Uwe Krieger steht vor einem Bildschirm, einen Joystick in der Hand. Hochkonzentriert bewegt er ihn hin und her, auf der Suche nach den Kugeln, die er fotografieren soll. Das Geschicklichkeitsspiel ist die Vorübung für eine Operation. Denn gleich soll Krieger, Assistenzarzt am Kreiskrankenhaus Wetzlar, eine Gallenblase entfernen. Sein Patient: Ein Trainingscomputer, bestehend aus Monitor, Tastatur und einer künstlichen Bauchdecke – eine schwarze Gummihaut mit zwei Löchern drin. Daneben diverse Zangen, Scheren und Endoskope – die Instrumente, die man für einen minimal-invasiven Eingriff braucht.

    Vorsichtig steckt Krieger die Instrumente in den Gummibauch. Er nickt zufrieden. Die Simulation ist realistisch. Die Instrumente fühlen sich fast so an wie im Operationssaal.

    "Schwarzer Joystick mit einem Knopf drauf. Ähnlich wie eine Kamera im echten OP."

    Bevor er mit dem Eingriff beginnt, verschafft sich Krieger einen Überblick – und aktiviert das Endoskop, die kleine Kamera. Auf dem Monitor erscheint das Bild.

    "Ich sehe jetzt einen virtuellen Bauch, wie im Körper eines Menschen. Zum einen sehe ich die Gallenblase vor mir. Ich sehe die Leber. Und hier unten schon Darmanteile."

    Jetzt kann die OP beginnen. Bevor er die kranke Gallenblase entfernen kann, muss Uwe Krieger ein Blutgefäß sowie den Gallengang abklemmen und durchschneiden. Das Abklemmen passiert mit einer Art ferngesteuertem Tacker.

    "Jetzt clip ich erst den Gallengang ab und dann das Gefäß."

    Zwischen zwei Klammern liegt die Schnittstelle. Krieger wechselt das Instrument.

    "Jetzt habe ich die Schere ausgewählt und muss erst den Gallengang durchtrennen, und letztendlich das Gefäß. Ja, ich denke das war’s jetzt."

    Dann stutzt der junge Arzt. Irgendwas ist schiefgegangen.

    "Das blutet jetzt. Ich war etwas zu grob. Die Übung ist nach hinten losgegangen. Die Gallenblase wäre jetzt eröffnet gewesen. Jetzt muss man etwas feinfühliger umgehen."

    Zum Glück ist das Blut nur virtuell, der Fehler hat keine Folgen. Genau das ist der Vorteil des Trainingscomputers, sagt Jakob Izbicki, Chef der Chirurgischen Uniklinik am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf.

    "Das Tolle ist, dass Sie mit diesem System Fehler simulieren können. Sie können damit die Reaktionsweise auf diese Fehler trainieren. Sie können auch eine gewisse Ruhe antrainieren, wie mit solchen Komplikationen umgegangen werden kann. Aber das ersetzt nie die Erfahrung, die am Patienten gewonnen wird."

    Seit ein paar Jahren erst sind die Trainingscomputer so gut, dass man Eingriffe wirklich realistisch simulieren kann. Dazu zählen Operationen an Gallenblase, Blinddarm und Dickdarm. Noch aber sind die Geräte viel zu teuer, als dass sie sich jede Klinik leisten könnte. Das soll sich ändern, sagt Jürgen Brenner, Direktor des European Surgical Institute.

    "Dann geht es darum, die Geräte zu miniaturisieren, bis auf Playstation-Format herunterzubringen und in der Masse zu produzieren. Dann werden Sie günstiger. Dann hat jede Klinik so ein Gerät, vielleicht sogar in der Zukunft jeder Chirurg zu Hause."

    Am OP-Simulator wagt Uwe Krieger einen zweiten Anlauf. Diesmal ist das Szenario noch realistischer: Gallengang und Blutgefäß sind von Fettgewebe umgeben und müssen erst mal freigelegt werden.

    "Das ist auch im richtigen Leben der knifflige Teil der Operation, dass man diese Strukturen erkennt und nicht verletzt."

    Mit einem Haken zieht Krieger die Fettstränge hoch, um sie mit einer Art Elektrostift wegzubrutzeln. Ein Geduldsspiel. Immer wieder flutscht das Fett vom Haken – ähnlich, als würde man mit Messer und Gabel mit einem sehnigen Stück Fleisch auf seinem Teller kämpfen. Endlich ist das Fett beseitigt.

    "Jetzt muss ich die Arterie und den Gallengang durchtrennen und nehme dazu die Schere. So, der Gallengang ist durch, relativ gut. Und das Gefäß mach ich zum Schluss auch noch durch. So."

    Der schwierigste Teil der OP ist gelungen. Erleichtert lehnt sich Krieger zurück. Fast könnte man meinen, er hätte einen richtigen Patienten vor sich und keinen Trainingscomputer.

    "Aufatmen, ja. Letztendlich muss man schon gestehen, dass man sich ein wenig in die Geschichte reinsteigert, auch wenn’s nur eine Simulation ist. Ich bin vom Kurs begeistert und denke, dass man nach den vier Tagen, die man hier operiert, relativ gut rausgeht."