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Virtuelle Stoffprobe

Informationstechnik. - Lässt man Einzelbilder schnell genug wechseln, so erscheinen schon 20 Bilder pro Sekunde als flüssige Bewegung. Diese Schwäche des menschlichen Auges macht sich der Film seit über 100 Jahren zunutze. Der Tastsinn lässt sich aber nicht so leicht überlisten. Fingerspitzen können über tausend Einzelsignale pro Sekunde problemlos unterscheiden. Wissenschaftler der Uni Hannover haben mit HAPTEX ein System entwickelt, das virtuelle Textilien dennoch fühlbar machen soll.

Von Michael Engel |
    Hauchdünne, Seide, fester, steifer Tweed, grob gewebte Muster: Im Institut für Mensch-Maschine-Kommunikation der Universität Hannover gibt es jede Menge Stoff. Zum virtuellen Ertasten. Zuvor aber müssen die Eigenschaften der Textilien als Datensätze erfasst werden, erklärt Dennis Allerkamp:

    " Diese Textilie werden im Computer simuliert. Das heißt, da steht ein physikalisch korrektes Modell dahinter. Dafür haben wir vorher die Textilie gemessen, das heißt, wir haben Kräfte gemessen, die auftreten, wenn wir die Textilie ziehen in verschiedene Richtungen, und die sind in dieses physikalische Modell eingeflossen. "

    Sind die Daten der Textilien gespeichert, kann es mit der virtuelle Stoffprobe losgehen. Zwei Roboterarme - vor dem Bildschirm eines Rechners aufgestellt - sind quasi das haptische Bindeglied zwischen realer und virtueller Welt. Dennis Allerkamp will jetzt wissen, wie sich die Stoffprobe anfühlt, die er auf dem Bildschirm sieht und fasst dazu mit seiner rechten Hand in die Roboterarme - Daumen links - Zeigefinger rechts:

    " Wir haben jetzt hier - man kann sagen "Fingerhüte" - da kann man den Daumen und den Zeigefinger hier so reinstecken, und diese Fingerhüte sind verbunden mit Roboterarmen. "

    Jeder der beiden Roboterarme besitzt an seinen Endgelenken eine Öffnung, in die der Doktorand Daumen und Zeigefinger hineinsteckt. Auf dem Bildschirm erscheinen jetzt zwei helle Kugeln in der Größe einer Münze. Eine Kugel symbolisiert die Fingerkuppe, die andere die Spitze des Daumens. Jetzt gilt es, die Hand so zu beweben, dass man den virtuellen Stoff zu fassen bekommt.

    " Ich kann jetzt diese Kugeln in die Nähe der Textilien bringen und damit die Textilie auch berühren. Und diese Simulation berechnet auch Kräfte, die auf meinen Finger wirken, damit ich das Gefühl habe, dass ich wirklich eine Textilie anfasse. Und die werden jetzt über diese Roboterarme wieder auf meinen Finger gegeben, und deswegen habe ich jetzt auch wirklich das Gefühl, dass ich eine Textilie anfasse. "

    Wird der Stoff durch Aneinanderpressen von Daumen und Zeigefinger virtuell angefasst, erzeugen die Roboterarme einen Widerstand. Man kann an der Textilie ziehen und spürt die Festigkeit des Gewebes. Durch sanftes Gleiten auf der Oberfläche des virtuellen Stoffes lässt sich die Gewebestruktur erfahren. Viele winzig kleine Stifte hämmern jetzt mit einer Frequenz von bis zu 400 Hertz gegen die Fingerkuppe und erzeugen so das Gefühl einer rauen Oberfläche - je nachdem - um welchen Stoff es sich gerade handelt. Professor Franz-Erich Wolter, Leiter des Instituts für Mensch-Maschine-Kommunikation, sieht die Simulation der taktilen Wahrnehmung noch in der Grundlagenforschung:

    " Das ist ein sehr schwieriges Problem, wie man dort angemessen die Oberflächenkontakte beim Anfühlen von verschiedensten Gegenständen verwirklicht. Wie muss man das aufbauen? Wie muss man die Stifte mit welchen Frequenzen reizen? Wie muss man die Amplituden modellieren? Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen. "

    Tatsächlich ist die Wahrnehmung lange nicht perfekt. Schuld daran sind die hochsensiblen Tastsinnesorgane in den Fingerkuppen, die sich so leicht nicht täuschen lassen: Oberflächenstrukturen wie zum Beispiel Rippen sind gut reproduzierbar. Bei der Vermittlung von Weichheit und Flauschigkeit des Gewebes gibt es aber noch erhebliche Defizite, so der Experte.

    " Eine langfristige Vision könnte dann sein, dass man über das Internet mit solchen Systemen Textilien aus China kauft. Seide anfühlt in einer realistisch illusionierten, haptischen Umgebung. Und das wäre eine Anwendungsmöglichkeit. "

    In ferner Zukunft, hofft Professor Franz-Erich Wolter, könnte es möglich sein, dass sich Menschen - bei einer virtuellen Konferenz - mit einem Händedruck begrüßen. Haptisch simuliert - mit einem Datenhandschuh. 20 Jahre wird diese Entwicklung allerdings noch dauern.