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Virtueller Coach
Bessere Ratschläge im Körper von Sigmund Freud

Ein Perspektivwechsel, bei dem man sich selbst möglichst objektiv von außen betrachten soll, ist ein bewährtes therapeutisches Mittel. Doch was, wenn man sich im Körper von Sigmund Freund selbst Ratschläge geben könnte? Forscher an der Universität Barcelona machen das Selbstgespräch mit Freud durch Virtual Reality möglich - mit verblüffenden Ergebnissen.

Von Anneke Meyer | 23.12.2016
    Ein Mann trägt eine VR-Brille und ist in eine räumliche, virtuelle Welt eingetaucht.
    Ein virtuell gestützter Perspektivenwechsel durch Virtual Reality Brillen könnte auch bei ernsthafteren Problemen ein nützliches Werkzeug werden. (picture-alliance/ dpa/ Maximilian Schönherr)
    "Die Bewegungskamera ist schon an. Sie verfolgt deinen Körper und schickt die Information an den Computer. Und der animierte Körper, den du gleich siehst, bewegt sich dann genau wie dein echter."
    Der Informatiker Guillermo Iruretagoyena hält mir etwas entgegen, das aussieht wie eine Taucherbrille. Dort, wo normalerweise das Glas wäre, sitzt ein hochauflösendes Display. Eine Virtual Reality Brille. Ich nehme sie und setze sie auf.
    "In der virtuellen Realität kann man in einen animierten Körper schlüpfen"
    Guillermo Iruretagoyena: "Stay like that - is it okay?" - Anneke Meyer: "Ja, it's okay." - Guillermo Iruretagoyena: "So what do you see?" - Anneke Meyer: "Ich sehe mich als Mel Slater im Spiegel! Mein Mund bewegt sich, wenn ich spreche, was sehr lustig ist. Ich habe leichte X-Beine und meine Arme bewegen sich, wenn ich meine Arme bewege."
    "In der virtuellen Realität kann man jemandem in einen animierten Körper, einen Avatar schlüpfen lassen", erklärt mir Mel Slater, der Echte. Er ist Professor für virtuelle Umgebungen an der Universität Barcelona:
    "Wenn man durch das Headset an sich runter schaut oder in einen virtuellen Spiegel, dann sieht man den Avatar. Bewegt man sich, macht er genau dieselben Bewegungen. Das erzeugt eine sehr starke Illusion: Man glaubt, dass der Körper des Avatars der eigene Körper ist. Was uns interessiert hat, war: Was passiert, wenn dieser virtuelle Körper bestimmte Eigenschaften hat? Sigmund Freud zum Beispiel war ein berühmter Therapeut. Gibt man sich selbst, wenn man glaubt, in seinem Körper zu stecken, bessere Ratschläge?"
    Wie sehr hilft das Selbstgespräch mit Freud?
    Um das herauszufinden, versetzen Mel Slater und sein Team ihre Versuchspersonen in einen virtuellen Therapieraum mit zwei Avataren. Der eine sah aus wie der Proband selber, der andere hatte die Gestalt des berühmten Psychoanalytikers. Erst erklärten die Versuchsteilnehmer im Körper ihres Avatar-Zwillings ein Problem. Dann wurden sie in den Körper Freuds versetzt und hörten sich selber zu.
    "'Doktor Freud, mein Chef behandelt mich ungerecht' oder was auch immer. In der Perspektive von Freud konnten sie jetzt quasi jemand anderem zuhören und dann etwas erwidern."
    Diesen Rollentausch durften die Probanden so oft wiederholen, bis sie das Gefühl hatten, alles wäre gesagt. Anschließend wurde per Fragebogen erhoben, wie sehr ihnen das Selbstgespräch mit Freud geholfen hatte. Eine Kontrollgruppe sprach, statt mit Freud, mit einer zweiten Version ihres eigenen Abbildes.
    "Was wir dabei herausgefunden haben, ist: Diese Selbstgespräche mit Freud machten unsere Versuchspersonen zufriedener als die Selbstgespräche mit ihrem eigenen Ich."
    Virtuell gestützter Perspektivwechsel als nützliches Therapiewerkzeug
    Ein Perspektivwechsel, bei dem man sich selber möglichst objektiv wie von außen betrachten soll, ist ein bewährtes therapeutisches Mittel. Im Selbstgespräch mit einem anderen – zum Beispiel Freud - ist es offenbar einfacher, so eine objektive Position einzunehmen als im reinen Monolog. Mel Slater vermutet aber noch einen anderen Aspekt hinter dem Phänomen:
    "Wenn alle um einen herum glauben, man wäre unglaublich schlau, dann hat man die Tendenz, sich dementsprechend zu verhalten. Das hier ist etwas Ähnliches: Die Versuchspersonen bekommen Freuds Attribute verliehen und das aktiviert Fähigkeiten, die jeder hat, deren man sich aber nicht bewusst ist."
    Mel Slater selber hätte sich allerdings nicht bei einem Freud-Avatar auf die Couch gelegt:
    "Freud war nicht meine Wahl. Wir haben eine Umfrage gemacht: 'Wem würdest du am liebsten ein persönliches Problem erklären?' und Freud kam auf Platz eins."
    Und zwar unmittelbar gefolgt von Angelina Jolie. Persönliche Vorlieben hin oder her: Virtuell gestützter Perspektivenwechsel könnte auch bei ernsthafteren Problemen ein nützliches Werkzeug werden, glaubt Mel Slater. Mit Psychologen der Universität Oxford plant er eine weiterführende Studie. Sigmund Freud wird wohl nicht wieder dabei sein, dafür aber echte Patienten.