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Virtueller Gang untertage

Endlagerung. - Den strahlenden Müll aus Kernkraftwerken will man derzeit möglichst tief und weit weg von der Biosphäre begraben. Diese Endlager sollen für Hunderttausende von Jahren dicht halten, bis die Radioaktivität abgeklungen ist. Das Problem: Der Test, ob die Einrichtungen auch halten, was man sich von ihnen verspricht, ist schwer zu vollbringen, denn die Dauer der Vorgänge sprengt jeden Projektrahmen. Ein virtuelles Labor soll die Forschung für die Endlagerung jetzt vereinfachen. Am Projekt Virtus sind die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit sowie weitere Partner beteiligt. Tilmann Rothfuchs von der GRS berichtet über das virtuelle Labor im Gespräch mit Jochen Steiner.

Tilmann Rothfuchs im Gespräch mit Jochen Steiner | 28.06.2012
    Steiner: Herr Rothfuchs, wie sieht dieses virtuelle Labor eigentlich aus?

    Rothfuchs: Ja, Sie müssen sich vorstellen, wie ein modernes Computerspiel. Es ist also eine Software, die auf Arbeitsplatzrechner laufen kann. Und dann sehen Sie zum Beispiel in eine geologische Struktur hinein, und dann können Sie sozusagen virtuell in diese geologische Struktur eintauchen, zum Beispiel in einen Salzstock.

    Steiner: Was können denn Forscher in diesem Labor ganz konkret machen?

    Rothfuchs: Ich sagte, dass Sie virtuell in eine zum Beispiel Salzformation eintauchen können. Sie können dann in dieser Formation praktisch wie bei einem Computerspiel ein Endlager bauen. Sie können untertägige Hohlräume erstellen, sie können Bohrlöcher erstellen, sie können die dann so zusammenbringen, dass sie am Ende ein Endlager darstellen, in das Sie auch Abfälle einlagern können. Und dann können Sie dieses Modell, das Sie gebaut haben, aus dem Virtus heraus und in eins unserer modernen Rechenprogramme implementieren, wo sie dann, hochkompliziert sage ich in dem Zusammenhang, gekoppelt thermisch-hydraulisch-dynamische Prozessabläufe in einem Endlager modellieren und simulieren können.

    Steiner: Das heißt, man könnte auch Gefahrensituationen simulieren, unvorhersehbare Temperaturerhöhungen im Gestein, et cetera?

    Rothfuchs: Ja. Sie können im Prinzip jedes Szenario durchspielen, dass Ihnen so vorschwebt. Sie können also Versagens-Szenarien durchlaufen lassen und die Auswirkungen eines Versagens, also zum Beispiel das Versagen einer Barriere und seine Auswirkungen dann zum Beispiel auf die Radionuklid-Freisetzung durchspielen. Sie rechnen es durch, und die Ergebnisse dieser Berechnungen, die werden zurück exportiert in die Virtus-Plattform, wo sie visualisiert werden. Dort sehen Sie dann das Ergebnis, zum Beispiel die Ausbreitung der Wärme in einem untertägigen Endlager. Wie weit reicht diese Wärmeausbreitung und ähnliche Effekte.

    Steiner: Was wollen Sie denn mit diesen virtuellen Labor erreichen? Was sind die Ziele?

    Rothfuchs: Es geht darum, den an der Endlagerung oder Endlagerforschung beteiligten Institutionen ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem sie schnell und effektiv Endlagerkonzepte durchspielen können, sozusagen, und zwar in geologischen Systemen. Die sind dann natürlich in der Softwareplattform nicht echt, das sind dann geologische Daten, die die BGR dort einspielt, mit denen wir dann aber die Modelle durchrechnen und hinterher die erzielten Effekte auch in dieser Geologie in 3D visuell darstellen.

    Steiner: Aber warum machen Sie das alles denn virtuell, warum nicht im realen Labor, das es ja zum Beispiel in der Schweizer in Frankreich gibt?

    Rothfuchs: Ja, eins muss von vornherein klar sein: Die ganzen Rechnungen sind nichts ohne echte harte Daten, die wir natürlich fort gewinnen müssen. Das heißt, auch wir werden nicht verzichten können darauf, in Untertagelabors zu gehen, dort Gesteinsproben zu gewinnen und die nach allen Regeln der Kunst durchzumessen und die Gesteinseigenschaften festzustellen. Aber mit diesen harten Daten können wir dann, computersimuliert natürlich, sehr schnell und effektiv Szenarien in Endlagern durchrechnen. Wenn Sie so etwas in situ machen wollten, müssten Sie sehr lange warten. Das ist ein deutlicher Nachteil in einem echten Untertagelabor. Sie können dort immer nur einen Ausschnitt untersuchen. Mit dem virtuellen Untertagelabor können Sie praktisch den gesamten Nachweiszeitraum von einer Million Jahre durchrechnen. Und das in vergleichsweise kurzer Zeit.

    Steiner: Kann denn dieses virtuelle Labor, das Sie entwickelt haben, auch eine Hilfe für die reale Endlagersuche in Deutschland sein?

    Rothfuchs: Da soll das Instrument natürlich am Ende auch bereitgestellt werden. Dass Sie für einen konkret ausgewählten Standort dann zum Beispiel virtuell die Einrichtung eines Endlagers dort vor Ort simulieren und die Auswirkungen der eingelagerten radioaktiven Abfälle eben auch durchspielen können. Und zwar nicht nur dann für Salzformationen - im gegenwärtigen Moment ist die Projektplattform nur für Salzformationen ausgelegt - aber man kann per Knopfdruck umschalten auf Tonformationen oder auf Granitformationen. Man kann solche Untersuchungen auch vergleichend anstellen.