Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv

Virtueller Radsport
Ein betrugsanfälliger Trend

E-Racing boomt. Einen Weltmeistertitel im virtuellen Radsport gab es kürzlich, eine ganze Bundesliga-Rennserie wurde virtuell ausgetragen. Das macht es andererseits auch wichtiger, Betrug zu verhindern. Fünf virtuelle Radsportler wurden wegen Manipulationen bereits gesperrt. Wie geht die Branche damit um?

Von Tom Mustroph | 28.02.2021
Der niederländische Radrennfahrer Mathieu Van Der Poel fährt mittels der Plattform Zwift auf dem Hometrainer und nimmt damit an einem virtuellen Rennen teil.
Der niederländische Radrennfahrer Mathieu Van Der Poel bei einem virtuellen Rennen. (IMAGO / Panoramic International)
Die Pandemie hat den virtuellen Radsport beflügelt, gerade hierzulande. Höhepunkt war der Weltmeistertitel im E-Racing von Jason Osborne im vergangenen Herbst. Aber auch die Infrastruktur dahinter stimmt, wie Tim Böhme, Digital Head Coach des Bundes Deutscher Radfahrer, resümiert:
"Unser Programm sah dann so aus, dass wir dienstags ein Workout gegeben haben, wo jedermann teilnehmen konnte. Zu Coronazeiten sind da auch die Vereine mit aufgesprungen. Bei den Workouts ging es um das Training, vor allem aber auch, um das Training zu vermitteln, den Leuten live zu zeigen, wie der BDR trainiert, wie wir Intervalltraining, Bergtraining, Leadouttraining umsetzen, dass es dann die Nachwuchssportler, Vereinssportler und Breitensportler nachtrainieren können."
Mittwochs gab es Rennen, um Talente zu casten. Und an den Wochenenden fand die in den virtuellen Raum verlagerte Bundesliga statt. Dort traten insgesamt 700 Athletinnen und Athleten an und bis zu 6.000 Enthusiasten verfolgten die Rennen auf Youtube.
Amateur-Radsportler Nico Herzog trainiert auf dem Rollentrainer bzw. Heimtrainer in seinem Schlafzimmer. Er nutzt im Winter und während der derzeitigen Ausgangsbeschränkungen zur Unterstützung und Motivation eine Fahrrad-Simulations-App namens Zwift.
Erste E-Cycling-WM - Der Boom des virtuellen Radsport geht weiter
Die Digitalisierung setzt sich auch im Sport fort. Nach ersten virtuellen Radrennen im Sommer richtet der Weltverband UCI nun sogar die erste Weltmeisterschaft im virtuellen Radsport aus. Der deutsche E-Cycling-Nationalkader hat dabei ganz reale Medaillenhoffnungen.

"Das ist sehr motivierend"

Dabei saßen die Sportlerinnen und Sportler zu Hause auf ihren Rädern und starrten auf Monitore, auf denen virtuelle Landschaften an ihnen in genau dem Tempo vorbeiflogen, das sie mit ihren Pedaltritten erzeugten.
Auch Profis waren häufiger auf Plattformen wie Zwift aktiv. Tanja Erath, aktuell beim US-Team TIBCO – Silicon Valley Bank unter Vertrag, entwickelte sogar ein gewisses Suchtverhalten zum virtuellen Treten, erzählt sie:
"Da habe ich schon morgens die App gecheckt, wieviele Einheiten ich machen darf, ohne dass mein Trainer sauer wird. Gerade in der Lockdownzeit waren zeitweise 30.000 Leute online und sind gleichzeitig Rad gefahren. Und das ist sehr motivierend. Man sitzt zwar allein im Schlafzimmer oder im Radzimmer auf der Rolle, aber man weiß, da draußen leiden auch gerade 30.000 andere auf dem Fahrrad."

"Intervalle unter Laborbedingungen"

Manche Einheiten des Trainings draußen hat Tanja Erath sogar direkt in den virtuellen Raum verlegt:
"Ich kann sagen, dass bei mir viele der spezifischen Intervalle inzwischen auf der Rolle laufen, weil ich unabhängig vom Straßenverkehr bin. Unabhängig von Ampeln und Kreuzungen kann ich meine Intervalle perfekt, unter Laborbedingungen sozusagen, abliefern."
Das verändert auch in den Vereinen die Abläufe. Viele Trainer sind mit ihren Gruppen auf die Rolle gegangen, beobachtete Günter Schabel, Vizepräsident Leistungssport des BDR:
"Das hat schon Einfluss genommen. Und dann hatten wir jetzt noch den starken Wintereinbruch, wo wir gemerkt haben, dass da auch weitaus mehr mit Zwift gefahren wird, als normal ein Crosstraining, was man früher gemnacht hat. Es hat auf jeden Fall Einfluss genommen auf die Trainingsgestaltung."
Ein Problem hat der virtuelle Radsport allerdings: Weil die Daten vom heimischen Gerät hochgeladen werden, bietet sich für ambitionierte Bastler die Möglichkeit der Manipulation. Fünf Radsportler, darunter auch zwei deutsche Teilnehmer, sperrte die Datenanalyseabteilung der Plattform Zwift bereits. Sie überprüft vor allem ungewöhnliche Ausschläge der Leistungskurven.

Sauna vor dem Wiegen?

Ein weiterer Angriffspunkt ist das Gewicht. Wer sich leichter macht, als der Körper eigentlich ist, landet bei den gleichen Wattwerten weiter vorn im Feld. Bei der virtuellen Radsport-WM der UCI fand deshalb einen Tag vor dem Start ein Wiegen unter Video-Aufsicht statt. Gab es hier die Abschwitztricks, die man vom Boxen kennt, um in eine tiefere Gewichtsklasse zu kommen? Tanja Erath, selbst WM-Teilnehmerin, hält dies nicht für realistisch:
Der deutsche Leichtgewichts-Ruderer und Radsportler Jason Osborne. 
Der deutsche Leichtgewichts-Ruderer und Radsportler Jason Osborne wurde E-Race-Weltmeister (dpa / picture alliance / Darko Vojinovic)
"Dadurch, dass es ja nur 24 Stunden vorher geht und man nicht unbedingt 24 Stunden vor einem wichtigen Rennen dehydriert sein will, ist der Saunabesuch nicht unbedingt etwas, was man 24 Stunden vor einem Rennen macht. Deshalb hat das für mich nicht wirklich eine Option dargestellt."
Ohnehin könne man über Zwift den Gewichtsverlauf über eine längere Zeit einsehen und dabei größere Ausschläge erkennen, betont sie.
Eine weitere Unsicherheit im digitalen Radsport sind die Bestleistungen, die bei Trainingsausfahrten im echten Gelände aufgestellt und dann auf Plattformen wie Strava hochgeladen werden. Inzwischen tummeln sich in den Bestenlisten auch E-Bike-Fahrer. Durch Abweichungen der GPS-Daten können sich außerdem Start- und Zielpunkte um mehrere Meter unterscheiden, was sich in Zeitdifferenzen niederschlägt.

Virtueller Radsport bei Sechs-Tage-Rennen möglich

Für Tanja Erath, eine gelernte Sprinterin, sind die Gipfelbestzeiten auf Strava aber ohnehin nicht so wichtig, erklärt sie. Um die Wettkämpfe auf virtuellen Plattformen wie Zwift betrugssicher zu machen, schlägt der Bundestrainer Tim Böhme vor:
"Am Besten wären stationäre Wettkämpfe, dass man die Finals eben an einem Ort fährt."
BDR Vizepräsident Günter Schabel sieht die Sechstagerennen prinzipiell als guten Ort für die Austragung solcher virtueller Events. Da könnten die Männer und Frauen auf den Rollen dann sogar von echtem Publikum angefeuert werden. Das wäre dann die Hybride aus klassisch analogem und neuem virtuellen Radsport.