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Virtueller Wahlkampf ohne Biss

Der Wahlkampf strömt zunehmend ins Internet. Vorbild wie immer: Die USA, wo Barack Obama twitterte, dass die Festplatten krachten. Und auch in Deutschland begaben sich 2009 die Parteien auf Stimmenfang im Netz. Allerdings: Nicht besonders erfolgreich, sank die Wahlbeteiligung doch so tief wie nie. Wie also lässt sich der Wähler mobilisieren?

Von Alexandra Kemmerer | 12.04.2010
    Strategien und Mechanismen des amerikanischen Wahlkampfs lassen sich hierzulande nicht einfach kopieren. Das zeigt der Kölner Historiker und Journalist Andreas Elter in seiner Studie zur Veränderung unserer politischen Öffentlichkeiten durch das Web 2.0. Er hat Internetseiten und Kommunikationsangebote der Parteien in den Blick genommen, Formen und Inhalte untersucht und seine Befunde durch Leitfragen-Interviews mit prominenten Fernsehjournalisten und Umfrageergebnisse von Meinungsforschungsinstituten ergänzt.

    Es wird ganz bewusst die Perspektive eines Durchschnitts-Wahlbürgers eingenommen, der sich über die Parteien und ihre Ziele im Internet informieren will, und nicht die eines Parteimitglieds, eines besonders internetaffinen Menschen oder gar eines aktiven Bloggers.
    Solche kaum aktiv vernetzten Normalbürger sind laut Elter die Zielgruppe des Buches: Dass sich darunter viele Politiker finden lassen, legen seine Erkundungen im virtuellen Wahlkampf nahe. Zwar demonstrierten Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, Karl-Theodor zu Guttenberg und Oskar Lafontaine, Guido Westerwelle und Renate Künast, Jürgen Trittin und Gregor Gysi Präsenz in eigenen Blogs, auf Internetseiten und bei Facebook, doch mit der Interaktivität war es meist nicht weit her.

    Und auch das anfänglich aufgeregte Twittern mancher Kandidaten verstummte schnell wieder. Dabei hatten es sich Follower und Medien so sehr gewünscht, das große Revirement des Politischen: die Politprominenz mit einem Mal ganz nah und greifbar. Nicht nur gutgläubige SPD-Anhänger, auch etablierte Medien ließen sich mehr als ein Jahr lang von einer selbst ernannten Kommunikationsguerilla hinters Licht führen, die bei Twitter die Identität des Parteivorsitzenden Franz Müntefering angenommen hatte und sich erst nach dem Wahltag selbst enttarnte.

    Kein Wunder, dass das Urteil über den "blutarmen" Wahlkampf im Web 2.0 in der Blogosphäre kritisch ausfiel. Positiv bewertet wurde von den Bloggern nur die technikaffine "Piratenpartei", die mit ihrer monothematischen Kampagne auch inhaltlich auf netzspezifische Themen setzte. Doch wenn sich im Netz ohnehin nur mit Datenschutz und Urheberrecht punkten lässt - lohnt es sich dann für die etablierten Parteien überhaupt, politische Inhalte auf die Länge einer SMS einzudampfen? Was sagt uns die Rede vom Internet als "Schmelztiegel der Meinungen"? Leider geraten Andreas Elter oft formale und inhaltliche Fragen völlig durcheinander, notwendige Differenzierungen bleiben auf der Strecke.

    Die simple Frage lautet: Wo erreiche ich eigentlich meine Klientel am besten und wo neue Wählergruppen? Parteien, die auf jüngere Wähler oder eine urbane und formal gebildete Mittelschicht abzielen, können durch das Internet – und in Teilen auch durch Web 2.0-Angebote – ihre Zielgruppen sehr gut erreichen und vor allem mobilisieren. Parteien, die ältere oder weniger formal gebildete Zielgruppen ansprechen wollen, benötigen nach wie vor insbesondere direkte Kontakte bzw. die klassischen Medien als Mittler und Verstärker ihrer Botschaften.
    Das hat demografische Gründe: nur 30,1 Prozent der Wahlberechtigten waren, so Elter, im Wahlkampf 2009 der netzaffinen "Generation Internet" zuzurechnen. Hinzu kommen, vergleicht man die deutschen Kampagnen mit dem Wahlkampf in den USA, grundlegende Unterschiede der Parteienlandschaft und des politischen Systems. Allerdings wurden im Superwahljahr die Möglichkeiten des Web 2.0 von den Parteistrategen auch nicht annähernd genutzt. Im Interview mit dem Autor bringt das der ZDF-Journalist Stefan Raue in einer Prägnanz auf den Punkt, die die Studie insgesamt leider an vielen Stellen vermissen lässt:

    Im Prinzip lösen die Parteiauftritte nicht ein, was Internetdiskussion und –kommunikation alles kann. Internetkommunikation ist spontan, sie ist offensiv, zum Teil auch aggressiv, ist witzig, ironisch, ist sprunghaft. Was ich bei den Parteien in ihren Onlineauftritten sehe, sind starre, statische Geschichten mit eher bürokratischen Erklärungen. Da werden brav die Reden der Vorsitzenden wiedergegeben, es ist ohne Pfiff, voller Angst, dass sie da auf irgendwelche Minen treten, weil sie überhaupt nicht wissen, was diese Öffentlichkeit, das Internet mit ihnen macht.
    Öffentlichkeit, als Raum politischer Verständigung und Auseinandersetzung, das Zentrum und Basis unserer Demokratie, ist gegenwärtig in einem profunden Wandel begriffen. Während etablierte Printmedien um ihr Überleben kämpfen und das klassische Berufsbild des Journalisten in allen Mediensparten unter dem Druck immer neuer Sparzwänge erodiert, informieren sich viele Bürger im Internet über Politik, auch wenn sie dabei bislang meist passive Konsumenten bleiben. Ob das Netz zu einer Repolitisierung beiträgt - diese Frage bleibt bei Andreas Elter unbeantwortet.

    Fest steht, dass das Internet und das Web 2.0 aus dem Kanon der politischen Kommunikationsmittel nicht mehr wegzudenken sind. Ob dies aber aus Sicht der Parteien auch zu dem gewünschten Erfolg (höhere Mobilisierung, mehr Partizipation, stärkere Wahlbeteiligung) führt, bleibt fraglich. Bis zur Klärung dieser Frage wird die Politik also nach wie vor auf alle Kommunikationskanäle setzen und ihre internetspezifischen Angebote stark verfeinern müssen( ... ) bis dahin wird es wohl aus Sicht der Parteien heißen müssen: Bierzelt und Blog.
    Was aber heißt das für den Bürger, an den Andreas Elter sein Buch immer wieder nachdrücklich adressiert? Geht es hier am Ende nicht doch nur um ganz pragmatische Politikberatung? Vor allem aber: Was bedeutet der von Elter immer wieder plakativ beschworene, doch nicht wirklich gründlich diagnostizierte Strukturwandel medialer Öffentlichkeiten für die Legitimation demokratischer Politik?

    Leider hat sich der Autor nicht die Mühe gemacht, die komplexen Vielschichtigkeiten des medialen und damit politischen Wandels genauer unter die Lupe zu nehmen, zu analysieren und zu bewerten. So bleibt dieser schmale Band eine anregende kleine Materialsammlung zu einem Thema, über das weiter nachzudenken und zu reden ist, zu bloggen und zu twittern.

    Bierzelt oder Blog? Politik im digitalen Zeitalter, Das Buch von Andreas Elter hat 139 Seiten, ist in der Hamburger Edition erschienen und kostet 12 Euro (ISBN 978-3-868542165).