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Virtueller Zeitungskiosk im Aufbau

Hardware.- Bringen Tablet-Computer wie das iPad wirklich die Rettung für die angeschlagene Zeitungsbranche, wie oft geweissagt wird? Darüber informiert der Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Interview mit Manfred Kloiber.

    Manfred Kloiber: In Sachen Tablets wurde Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer AG, vor einigen Monaten schon fast religiös. In der Talkshow des US-Journalisten Charlie Rose forderte er seine Branche zum Gebet auf. Jeder Verleger der Welt solle sich einmal am Tag hinsetzten, um zu beten und Steve Jobs dafür zu danken, dass er die Verlagsbranche rettet, sagte Döpfner. Und tatsächlich arbeiten die großen Verlagshäuser dieser Welt an den technischen Umstellungen, die die Zeitung oder Zeitschrift auf das Tablet bringen sollen. Wie weit sind denn die Medienhäuser, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Naja, weiter als der Printbranche zunächst einmal lieb ist. Denn die Medienhäuser wissen ganz genau, dass sie eine bunte Vielfalt brauchen und sie haben eingesehen, dass die Monokultur, die Steve Jobs da mit dem iPad wohl durchaus beabsichtigt hatte, den Verlagshäusern eben nicht unbedingt weiterhelfen wird und sie warten deshalb auf neue Tablet-Computer - wie auch immer diese Pads heißen werden - und orientieren sich dabei im wesentlichen an den Standards, die Terry McDonnell bei der Präsentation von Sports Illustrated auf einem Tablet schon im Januar in diesem Jahr vorgestellt hat. Und das heißt, wir haben es hier mit einer Kombination aber gleichzeitig auch mit einer Konvergenz zu tun, nämlich von Video, von Text, von Foto und Audio. Und hinzu kommen noch Links zu weiteren Medienangeboten und - ganz wichtig - Suchmaschinen, die teilweise die Verlage auch aufsetzen wollen oder müssen. Und die aktuelle Ausgabe einer Zeitschrift oder Zeitung oder eines beliebigen Medienprodukts - Radio wird da sicherlich auch integriert werden - die kommt dann per Datenfunk auf das Tablett. Also der Frühstückende, Informationshungrige, oder der sich auf der Couch fläzende Magazinfreund, die blättern dann eben mit Wischbewegungen auf dem Bildschirm des Tablets das E-Magazin durch. Die schauen sich Videos an, die in den Seitenumbruch direkt integriert sind. Die bekommen Hintergrundinformationen über Suchmaschinen. Und damit das alles funktionieren kann, muss eben eine Menge Produktionssoftware und eine Menge an Logistiksoftware entwickelt werden. Und das fängt beispielsweise in den Verlagshäusern damit an, dass sie sich jetzt Gedanken machen über die Datenfunkstandards für die Auslieferung der elektronischen Magazine. Das geht weiter mit Algorithmen, die dafür sorgen, dass das Layout dann automatisch an die unterschiedlichen Displaygrößen und Auflösungen dieser unterschiedlichen Tablets angepasst werden kann. Und das hört noch längst nicht auf bei völlig neuen Redaktionssystemen, die es demnächst auch geben wird in den Redaktionen.

    Kloiber: Sie haben über Datenübertragungsstandards gesprochen. Auf welche Standards setzten die Verlagsmanager?

    Welchering: Also ursprünglich ganz stark auf den neuen Mobilfunkstandard Long Term Evolution. Doch die Infrastruktur braucht ja noch einiges. So lange wollen die Verleger nicht warten. Eine Agentur in Portland entwickelt gerade im Auftrag mehrerer US-Verlage einen virtuellen Zeitschriftenkiosk, den sie in die Hotspots von WLAN-Dienstleistern integrieren wollen. Da bin ich mal gespannt, wann das nach Europa rüberschwappt. Und die deutschen Verlage setzen gegenwärtig sehr stark, vielleicht etwas einseitig, auf UMTS.

    Kloiber: Die Medienangebote selbst werden ja, im Moment jedenfalls, als Applikation, als sogenannte Apps für mobile Geräte und deren Betriebssystem entwickelt. Hier beherrscht auch Apple die Diskussion. Wie wird das von den Technikexperten in den Verlagen gesehen?

    Welchering: Die sehen das wesentlich differenzierter. Die setzen beispielsweise nach wie vor sehr stark auf Symbian, weil dieses Smartphone-Betriebssystem eine ganz breite Basis im Markt hat. Oder die Wirtschaftstitel etwa, die setzen stark auf Research in Motion mit dem Blackberry, weil sie da ihre Zielgruppe sehen. Auf Android ruhen ganz, ganz große Hoffnungen. Also die Verlagshäuser sehen, dass sie hier unterschiedliche Tablets eben mit unterschiedlichen Betriebssystemen, mit unterschiedlichen Displaygrößen, mit unterschiedlichen Ausstattungen bedienen müssen. Und deshalb etabliert sich da eine Technik, die eigentlich aus dem Fernsehbereich kommt oder die man zumindest daher kennt. Da werden ja verschiedene Videoformate, unterschiedliche Videoformate in sogenannten Playout-Centers hergestellt und gemeinsam ausgeliefert. Und für die Verlage läuft das dann so, dass das ein Algorithmus für die Seitenauslieferung wird. Und dieser Algorithmus erkennt das Betriebssystem des jeweiligen Tablets, der kriegt heraus, welche Displaygröße und -auflösung hier vorliegen und der organisiert danach das Layout des E-Magazins. Und diese Art der Anpassung muss man schon dann auch in der Produktionssoftware für die E-Magazine sehen. Da muss sie hinein, da muss sie integriert werden. Also da gibt es ganz spannende Ansätze und eigentlich alle Hersteller von Redaktionssystemen arbeiten auch an entsprechender Medienproduktionssoftware für Tablet-Produkte, nur halten sich die meisten da noch sehr bedeckt. Etwas offener ist da die Berliner Neofonie mit ihrer Produktionssoftware We-Magazine. Das soll unter anderem von Gruner & Jahr demnächst für eine Tablet-Ausgabe des Stern eingesetzt werden.

    Kloiber: Werden dadurch dann die traditionellen Redaktionssysteme abgelöst?

    Welchering: Die werden eher erweitert. Allerdings werden deren Grafik- und Layoutsysteme und die Software dafür durch solche Programme wie das We-Magazine und verwandte wohl ersetzt werden. Und diese Programme sehen auch von der Oberfläche aus wie traditionelle Layoutprogramme, nur dass hier eben nicht nur Text und Bild, sondern eben auch noch andere, Videos, Audios, Picturecast, Link zur Suchmaschine, eben Bestandteil dieses Layouts sind. Und das hat natürlich auch wesentliche technische Folgen. Denn jedes Element in diesem Layout auf dieser Zeitschriftenseite liegt in einer Art Container. Und nachdem die Seite dann auf das Tablett überspielt wurde, berechnet dann eben der Seitenauslieferungsalgorithmus den ganz konkreten Seitenaufbau. Und das wird dann auf dem Tablet zusammengesetzt. Also wir haben es hier mit einem ganz starken Paradigmenwechsel in der Produktion zu tun.