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Virtuose per Fingerzeig

Den Segen moderner Musikelektronik bezweifeln viele Zeitgenossen spätestens dann, wenn sie einem musikalischen Alleinunterhalter nebst multifunktionalem Midi-Keyboard begegnen. Dabei können auch die elektronischen Instrumente sehr kreativ genutzt werden, wie die Musikmesse in Frankfurt am Main belegt.

Von Maximilian Schönherr |
    "Ich weiß nicht, ob Ihr mich schonmal Schlagzeug spielen gesehen habt. Ich kann außer Schlagzeug auch Klavier oder Bass spielen, aber Schlagzeug mag ich am liebsten. Das kann ich am schlechtesten."

    ...sagt der Amerikaner auf der winzigen Bühne. Und so klingt es: wenig spektakulär, ein Schlagzeugsolo halt. Bloß: Der Mann auf der Bühne in Halle 5.1 der Musikmesse in Frankfurt am Main spielt keine Trommeln, sondern eine elektrische Gitarre! Und mit einem Tritt auf den Fußschalter spielt er mit der Gitarre ganz andere Instrumente - und auch eine kleine Jazzband. Welches Instrument die Gitarre gerade wiedergibt, hängt davon ab, wo der Gitarrist mit seiner rechten Hand die Saiten anschlägt. Die Berührung in der Mitte löst einen anderen Klang – ein anderes Sample – aus als der Anschlag nahe am Bund.

    "Das geschieht über einen Tonabnehmer, der Saitenspannungen misst und dadurch die Position ermitteln kann. Und Transienten sind natürlich die ersten Teile eines Klanges. Damit ist die Erkennung schneller, als wenn erst erkannt werden muss, wann der Ton ruhig ist, und erst dann eine Messung passieren kann."

    …sagt Michael Hennecke von Terratec, wo diese Komplettlösung für Gitarristen namens "Axon" in Deutschland vertrieben wird. Bislang hatten Midi-Gitarren einen schlechten Ruf, weil es Sekunden dauern konnte, bis die Software erkannt hatte, wo der Gitarrist die Saite anschlug – weiter oben oder unten. Mit der Mathematik der Transienten gelingt diese Entscheidung – je nach Saitenspannung – in zwei bis elf Millisekunden. Das fühlt sich dann an wie Echtzeit. Endlich.

    "Was mir in letzter Zeit häufig passiert, dass ich sehr glückliche Musiklehrer oder Musiker finde, die das Gerät einfach nur benutzen, um Notation in ihren Rechner zu bringen. Das heißt, die haben Stücke komponiert, müssen die ihren Schülern geben oder bei der GEMA anmelden, und können mit Hilfe dieses Geräts binnen kürzester Zeit Transkriptionen erstellen und weitergeben."

    Das Comeback der Midi-Gitarre hier auf der Musikmesse in Frankfurt ist ein Zeichen dafür, dass Musiker sich nicht auf das gängige Eingabemedium, nämlich das Midi-Keyboard mehr festlegen lassen wollen. Wozu soll ein Gitarrist oder ein Flötist auch Tasten spielen lernen? Er wird sich auf Tasten sowieso nie so gut ausdrücken können. Hier in Halle 5.1 wird die Zukunftstechnik auf der Musikmesse gezeigt. Ein paar Stände weiter spielt ein Mitarbeiter der Vienna Symphonic Library Violine, Cello und Oboe. Er spielt diese hochwertigen Samples live über ein Keyboard, aber er moduliert die Töne mit einem Mundstück, in das er mehr oder weniger stark hineinbläst. Ein weiteres Zeichen dafür, dass Musiker mit dem Eingabemedium Keyboard zutiefst unzufrieden sind. Native Instruments aus Berlin ist bekannt für virtuelle, also rein computerbasierte Instrumente wie "Reaktor" und "Absynth". Die Firma stellt auf der Musikmesse ein neues Produkt namens "Kore" vor, was der ganzen Klickerei ein Ende bereiten soll. Stefan Schmitt:

    "Es geht in erster Linie darum, für Software ein neues User-Interface zu schaffen. Denn das User-Interface, was ein Computer hat, ist seine Tastatur und seine Maus. Das ist fürs Büro okay, aber für Musiker wünscht man sich da mehr."

    Dieses Laptop-große USB-Kästchen ermöglicht in Zusammenhang mit einer Software nicht nur das schnellere Ändern von Klangeigenschaften, sondern auch das Schichten mehrerer virtueller Instrumente übereinander und eine verbesserte Suche nach Klängen im Computer. In diese Zeit der Schnittstellensuche passt auch das Theremin, ein elektromagnisches Instrument mit zwei Antennen, erfunden 1919 von dem Russischen Physiker Leon Theremin. Die junge Theremin-Virtuosin hier in Halle 5.1 zupft in der Luft herum, stört damit das elektromagnetische Feld und moduliert die Celloklänge eines Moog-Synthesizers. Völlig berührungsfrei.