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Visa-Ärger in der Türkei

Spalt für Spalt öffnet die Europäische Union der Türkei die Beitrittstür. Trotzdem müssen türkische Bürger bisher ein Visum beantragen, wenn sie in die EU einreisen wollen. Und dabei gibt es in der letzten Zeit offenbar Probleme.

Von Gunnar Köhne | 02.07.2010
    In Eray Özcans Atelier am Bosporusufer laufen die Vorbereitungen für die nächste Ausstellung auf Hochtouren. An der Wand lehnen mehrere bunt bemalte Leinwände der 49-jährigen Künstlerin. Vor ihr auf der Staffelei liegen einige Tuben Ölfarben, die ihr Freunde aus Deutschland mitgebracht haben, denn für Eray selbst war die Einreise nicht möglich.

    "Ich hatte ein Touristenvisum beantragt, weil ich zusammen mit zwei Freunden nach Deutschland reisen wollte. Wir wollten eine Freundin besuchen, die dort lebt. Es wäre eine Reise von fünf bis sechs Tagen gewesen, wir hatten unsere Hin- und Rückflugtickets schon gekauft, aber mein Visumantrag wurde abgelehnt. Meine Freunde durften also fahren, ich nicht. Ich vermute, dass mir Deutschland kein Visum gegeben hat, weil ich als Künstlerin mein Einkommen nicht ausreichend belegen konnte."

    Dem Istanbuler Generalkonsulat schien die Künstlerin nicht ausreichend in der Türkei verwurzelt. Das Konsulat zweifelte an ihrer Rückkehr-Bereitschaft. Dabei hatte die Malerin alle nötigen Unterlagen in einem dicken Ordner mitgebracht, als sie im November letzten Jahres im Konsulat vorsprach. Als Sicherheit legte sie eine Bürgschaft ihres Lebensgefährten sowie Kopien ihrer Kreditkarten vor, aber die wurden abgelehnt. An den Nachweisen über die zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland habe sich das Konsulat ebenfalls uninteressiert gezeigt. 40 Minuten habe das Gespräch in der Antragsstelle gedauert, am nächsten Tag bekam Özcan die Absage.

    "Das war eine Riesenenttäuschung, weil wir davon geträumt hatten, zusammen zu reisen. Die anderen waren auch sehr traurig. Ich hatte vor, ein paar Museen zu besuchen und ich wäre auch gerne nach Hamburg gefahren. Besonders den Hamburger Hafen hätte ich gern gesehen."

    So wie Eray Özcan ist es Ende vergangenen Jahres auch einer Künstlerin aus Ankara ergangen, die in Krefeld an einer Keramikausstellung teilnehmen sollte. Trotz Einladung der Stadt Krefeld wollte die Deutsche Botschaft in Ankara der jungen Frau kein Visum ausstellen.

    Offenbar keine Einzelfälle. Auf einer neu eingerichteten Internetseite bringen die Betroffenen ihre Enttäuschung und Wut zum Ausdruck und tauschen besonders absurde Behördenerlebnisse aus. So berichtet ein Mitarbeiter des Istanbuler Museums für Moderne Kunst, die Sachbearbeiterin im deutschen Konsulat habe von ihm – es war erst Anfang des Monats - einen Einkommensnachweis vom laufenden Monat sehen wollen. Die entsprechenden Belege für die drei letzten Monate, erinnert er sich, reichten ihr nicht.

    "Nachdem sie alle Unterlagen durchwühlt hatte, zeigte sie auf die drei Einkommensnachweise, die ich von dem Museum, in dem ich arbeite, vorgelegt hatte, und sagte: den Einkommensnachweis dieses Monats haben Sie nicht beigelegt, das heißt unvollständige Unterlagen. Ich fragte sie, wie das denn möglich sein sollte, den Einkommensnachweis des laufendenden Monats vorzulegen. 'Das halten Sie wohl alles für selbstverständlich?', wies mich die Beamtin zurück, machte einen langen Vermerk auf meinem Antrag, und schloss das Mikrofon."

    Die Unzufriedenheit über die Visapolitik Deutschlands wächst und belastet die deutsch-türkischen Beziehungen zunehmend. Die türkische Regierung fordert unbegrenzte Visumsfreiheit, so wie es mittlerweile auch anderen EU- Beitrittskandidaten wie Makedonien zugestanden wurde. Das deutsche Generalkonsulat weist die Kritik zurück und gleichzeitig darauf hin, dass im vergangenen Jahr allein in Istanbul 64.000 Visa vergeben wurden. Die Zahl der abgelehnten Anträge läge bei nur etwa neun Prozent.

    Nichtsdestotrotz macht Eray Özcan die pauschale Unterstellung wütend, Touristen aus der Türkei würden Besuchervisa für einen langfristigen Deutschlandaufenthalt missbrauchen.Freiberufliche Künstler wie sie hätten nun mal kein regelmäßiges Einkommen – will Deutschland deshalb auf Besuche renommierter internationaler Künstler verzichten?

    "Ich könnte noch einmal ein Visum für Deutschland beantragen. Aber in der Zwischenzeit hat sich ja an meiner Situation nichts geändert. Ich bin ja in deren Augen immer noch eine Künstlerin ohne regelmäßiges Einkommen. Warum sollte ich es noch einmal versuchen? Noch einmal möchte ich die Enttäuschung nicht erleben."