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Visuelles Kulturerbe
Afghanistan kämpft um seine Filmbestände

Den afghanischen Film gab es schon vor den Mudschaheddin und dem Einmarsch sowjetischer Truppen. Was er zeigte, gibt es heute vielfach nicht mehr: ein zur Modernisierung strebendes Land mit Inseln städtischer Zivilisation. Ein Gespräch über den Kampf um Identität.

Martin Gerner im Gespräch mit Beatrix Novy | 16.01.2014
    Beatrix Novy: Der afghanische Film – es gab ihn vor Mudschaheddin und Taliban, vor dem Einmarsch sowjetischer Truppen, und was er zeigte, gibt es heute vielfach gar nicht mehr: ein zur Modernisierung strebendes Land mit Inseln städtischer Zivilisation und im Wortsinn blühenden Landschaften. Der in Deutschland lebende Leiter des Afghanischen Film-Instituts, den die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" heute in ihrer Ausgabe vorstellt, Ibrahim Arify, kämpft um die Rettung dieser Schätze auf Zelluloid. Auch mein Kollege Martin Gerner, seit Jahren als Afghanistan-Korrespondent im Land, kennt das Problem, das auch eines der auswärtigen Kulturpolitik ist, und ihn habe ich danach gefragt, was es damit genau auf sich hat.
    Martin Gerner: Erst mal muss man sagen, das ist deshalb spannend, weil Afghanistan ja gar nicht als Filmland bekannt ist. Was weiß man über afghanischen Film, über ein afghanisches Filmarchiv, das es gibt, aber das riskiert zu verfallen, allein deshalb, weil 16- und 35-Millimeter-Filme unter diesen klimatischen Bedingungen leiden und zerbrechen. Deshalb haben die Franzosen kurz nach 2001 angefangen, mit staatlicher Hilfe einen Teil erster Langspielfilme zu digitalisieren, und jetzt im letzten Jahr, auch im Zuge der documenta, die ja einen einmonatigen Aufenthalt in Kabul hatte, hat man da eine neue Grundlage gelegt, digital das zu erweitern auf das möglichst ganze Filmarchiv. Es ist ein erklärtes Ziel der deutschen Kulturpolitik, das mit zwei Digitalisierungsmaschinen zu machen, die sehr, sehr teuer sein werden. Das geht in den Bereich der Hunderttausende Euros. Man wartet jetzt auf afghanischer Seite, wann das anfangen kann.
    Zwei Digitalisierungsmaschinen als erklärtes Ziel
    Novy: Das heißt, das schleppt sich noch hin, weil das Geld nicht da ist oder nicht bereitgestellt wird?
    Gerner: Tatsache ist natürlich, dass es qualifiziertes Personal braucht für eine sehr teuere Technik. Das ist immer über die Jahre wieder ein Problem gewesen. Und es ist natürlich die Frage jetzt auch, welches Ausrufungszeichen man kulturell setzen möchte. Die deutsche Kulturpolitik in Afghanistan investiert auch Gelder in die Restaurierung historischer Bauten. Sicher ist, dass es gleich mehrere Ziele, die sich die afghanische Seite im Sinne identitärer Wiederbelebung verspricht, beleben könnte.
    Novy: Wer ist denn eigentlich die afghanische Seite, das Kulturministerium?
    Gerner: Ja das ist eine interessante Frage. Die afghanische staatliche Filmbehörde Afghan Film, von der wir hier reden, für die und mit der das digitalisiert werden soll, ist einerseits eine staatlich unabhängige Einrichtung. Auf der anderen Seite ist der jetzige Leiter ein Deutsch-Afghane, der von deutschen Mitteln, Mitteln der GIZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, bezahlt wird, und das beinhaltet natürlich auch gewisse Präs und Hierarchien, die da wie überhaupt häufig in der Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahre aufeinandertreffen. Afghan Film ist eine Institution, die über wenig Mittel verfügt, wenn man es mal vergleicht mit europäischen Einrichtungen dieser Art. Es besteht der Wunsch auch des aktuellen Leiters seit Jahren, auch seines Vorgängers schon, ein unabhängiges Filminstitut zu haben, was auch produziert, was auch Bildung, was auch Filmunterricht leistet. Das reibt sich daran, dass sehr wenig Mittel überhaupt da sind beziehungsweise freigegeben werden von afghanischer Seite. Ich habe sehr viel mit afghanischen Filmemachern in den letzten Jahren zu tun, unabhängigen, die das auch gerne sehen würden. Aber Fakt ist: Es ist noch kein einziger Pfennig Filmgeld Förderung in Afghanistan generiert worden seit 2001.
    Seit 2001 kein Pfennig Filmgeld generiert
    Novy: Die das gerne sehen würden, haben Sie jetzt gesagt. Was könnten diese Bilder, diese Filme leisten, wenn sie denn einmal digitalisiert sind? In welchem Zusammenhang würden sie gezeigt werden können? Sie haben ja auch vorhin von ihrer identitären Funktion gesprochen.
    Gerner: Ich glaube, in erster Linie einfach mal für die Bevölkerung in Afghanistan, für diese zwei Drittel Bevölkerung, die jünger ist als 25 Jahre, ein Bild von diesem Land zu vermitteln, was im besten Fall in Geschichtsbüchern steht, die auch alt sind in Afghanistan, also zu sehen, wie sah König Amanullah, der afghanische Atatürk, wie sah er aus, wie hat er sich bewegt, was hat er gemacht. Das sind die ersten Stummaufnahmen in diesem Archiv, Filmfetzen zum Teil von 30, 35 Sekunden. Auch die deutsche Präsenz, damals schon die ersten Missionen 1915 folgende, dann die Zeit der 60er-Jahre, nicht nur mit den Hippie-Touristen aus Deutschland und Europa, sondern auch mit sehr gut gekleideten, die mit modernen Fotoapparaten der 60er herumgeführt worden sind. Da gibt es einen eindringlichen Film "Afghanistan – Land of Beauty and Hospitality". Da sieht man Afghanistan so befriedet, wie man es nicht glaubt, und man sieht auch den Buddha noch in der Nische stehen in Bamiyan, und das ist so eindrucksvoll für Ausländer wie für Inländer.
    Novy: Ein wichtiger Blick in ihre eigene Vergangenheit für Afghanen wäre das, und das war Martin Gerner.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.