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Vive la ...?

Mit dem Slogan "Frankreich liebt man oder verlässt es" hat Nicolas Sarkozy dem rechtsradikalen Front National den Rücken gestärkt. Denn schon diese Vereinigung hatte den Spruch für ihre faschistische Meinungsmache benutzt. Nun debattiert Frankreich, das Land der Revolution, über seine nationale Identität.

Von Burkhard Birke |
    "Wenn es Personen gibt, die sich genieren, in Frankreich zu leben, dann sollten sie sich nicht genieren, ein Land zu verlassen, das sie nicht lieben."

    Nicolas Sarkozy im Wahlkampf. Den Slogan "La France on l'aime ou on la quitte" - Frankreich liebt man oder verlässt es - hatte er beim rechtsradikalen Front National entliehen. Nun wird im März in den Regionen gewählt, der Front National erstarkt wieder und der geplante Eroberungsfeldzug der Regierungspartei UMP droht kläglich zu scheitern. Hat deshalb ein zuletzt angeschlagener Präsident seinem Land eine nationale Identitätsdebatte verordnet? Pardon verordnen lassen? Denn Eric Besson hat diese Aufgabe übernommen. Der Minister für Immigration, Integration, nationale Identität und Entwicklung, so der offizielle Titel, hat auch schon konkrete Vorstellungen entwickelt: Der Jugend sollen zunächst die Symbole der französischen Republik und deren Geschichte nähergebracht werden.

    "Ich denke, es wäre auch gut, dass alle jungen Franzosen einmal im Jahr die Gelegenheit hätten, die Marseillaise zu singen."

    "Vielleicht ist es sinnvoll, über nationale Identität zu diskutieren, aber das ist nicht einfach. Das, was ich da über die Nationalität und die Marseillaise höre, greift ein wenig zu kurz. Warum keine Debatte, aber fein und nuanciert?",

    meint Frau auf der Straße. Und die angesprochene Jugend:

    "Es ist ein Irrtum zu glauben, Franzose zu sein ließe sich genau definieren: Jeder ist Franzose auf seine Weise!"

    Wie lässt sich die nationale Identität aufwerten und was heißt es eigentlich, Franzose zu sein? Mit diesen beiden Fragen wendet sich das Ministerium im Internet an die Bürger und hat den Präfekten Diskussionsrunden verordnet, die allerdings, wenn überhaupt, nur sehr zäh anlaufen.

    Weil die Diskussion von oben, vom Präsidenten Nicolas Sarkozy, aufoktroyiert wurde?

    "Der Nationalismus wird durch die Identitätskrise wiedergeboren. Er ersetzt die Vaterlandsliebe durch den Hass der anderen. Weil wir die Frage vernachlässigt haben, wissen wir nicht mehr richtig, wer wir waren! Wegen des Selbsthasses haben wir die Türen zur Zukunft verschlossen. Man baut auf dem Hass gegen sich selbst, gegen die seinen und gegen sein Land nichts auf! Deshalb müssen wir über unsere nationale Identität sprechen!""
    Das sieht die Opposition völlig anders. Nicht nur, weil dahinter einmal mehr ein wahltaktisches Manöver vermutet wird, will sich das Gros der Sozialisten die organisierten Diskussionsrunden boykottieren. Parteichefin Martine Aubry:

    ""Das ist eine große Täuschung, das ist ungesund und extrem gefährlich, wenn man Einwanderung und nationale Identität gegenüberstellt – als wären die Einwanderer das Problem der nationalen Identität. Das Problem der Identität in Frankreich ist, dass man zerstört, was uns lieb und teuer ist: Unser Sozialmodell, öffentliche Dienstleistungen, das Frankreich der Menschenrechte, das Frankreich der Freiheit."

    Womit die Sozialistenchefin einen Beitrag zum Thema geleistet hätte – ein Thema, das die Vordenker im Land schon viel länger beschäftigt, allerdings aus etwas anderer Perspektive. Was bedeutet es, Franzose zu sein?

    "Wenn Sie Mamadou heißen und ihre Bewerbung losschicken, kriegen Sie keinen Job - was bedeutet: Sie sind etwas weniger französisch als die anderen",

    hebt Direktor Francois Rachline vom Institut Montaigne vor allem auf den Gleichheitsgedanken ab. Andere merken an, nur wer Klarheit über seine nationale Identität habe, könne überzeugter Europäer sein! Vielleicht hat die Debatte doch ihr Gutes, wenn das Ergebnis am Ende mehr Gleichheit, Toleranz, Solidarität und Offenheit ist und nicht eine Blaupause zur Steuerung der Immigration.