Donnerstag, 18. April 2024

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Völkermord in Ruanda
Genozid im Gotteshaus

1994 ermordeten Angehörige der Hutu-Mehrheit vor den Augen der Welt im afrikanischen Ruanda auf grauenvolle Weise etwa 800.000 Menschen, überwiegend Angehörige der Tutsi. Die meisten starben in Gotteshäusern, wurden von Priestern nicht beschützt, sondern sogar ausgeliefert.

Von Jesko Johannsen | 03.04.2014
    "Dies ist die Gedenkstätte von Nyamata. Früher war das eine katholische Kirche. Nach dem Massaker in der Kirche wurde das Gotteshaus zur Gedenkstätte. Mehr als 10.000 Menschen wurden in dem Gebäude und auf dem Gelände getötet."
    Führung mit Anita Ovinesa. Nyamata liegt südlich von Ruandas Hauptstadt Kigali. In der heutigen Gedenkstätte stehen noch die Bänke von damals. Auf ihnen liegen alte, vermoderte Kleider gestapelt. Es sind die Kleider der Toten.
    "Hier ist noch der Original-Altar und die weiße Decke, die damals darauf lag. Sie ist voller Blut. Wir haben hier Beispiele für die Waffen: Macheten, Speere und andere Gegenstände, mit denen die Menschen getötet wurden. Wir haben die Rosenkränze der Opfer und einen alten Personalausweis, auf dem die Einteilung der Menschen durch die damalige Regierung zu sehen ist: Hutu, Tutsi und Twa. Und dort steht das Taufbecken. Es war voll mit Blut, weil sie darin die Köpfe wie in einer Küche abgeschnitten haben."
    In einer Gruft im Hof der Kirche liegen 25.000 Menschen bestattet. Ihre Gebeine können heute besichtigt werden. Als Erinnerung und gegen das Vergessen.
    Die katholische Kirche von Nyamata ist eine von zahlreichen Kirchen in ganz Ruanda, die zum Massengrab wurden. Die meisten der 800.000 Opfer des Genozids starben in Gotteshäusern. Viele wurden von den Priestern nicht beschützt oder sogar ausgeliefert. Bis heute belastet dieses Verhalten die katholische Kirche: Während des Genozids verurteilte die Geistlichkeit das Morden nicht. Nach dem Genozid gab es keine Entschuldigung.
    Kennedy Ndahiro ist Journalist bei der größten – regierungsnahen – Tageszeitung Ruandas. Er beobachtet das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der ruandischen Bevölkerung seit Jahren. Für ihn hat die katholische Kirche zu wenig getan, um Ansehen zurückzugewonnen. Andere Glaubensgemeinschaften stünden besser da.
    "Die anglikanische Kirche hat das Morden verurteilt. Es gab auch unter deren Priestern Mörder. Aber die Kirchenleitung hat das verurteilt. Der heutige Präsident Kagame ist nach dem Krieg in das muslimische Viertel von Kigali gegangen. Er hat sich dort bei den Muslimen bedankt, dass sie sich nicht am Genozid beteiligt haben. Er hätte dasselbe nicht zur katholischen Kirche gesagt."
    Die Kirche gibt dem Kolonialismus eine Mitschuld
    Die katholische Kirche in Ruanda sieht ihre Rolle dagegen völlig anders. Für Bischof Esmeralde Mbonyintege, den Sprecher der Kirche, tragen Kolonialisierung und Missionierung die Hauptschuld: Der Kolonialismus habe das Rassendenken in der Kirche und ihren Bildungseinrichtungen verfestigt. Nicht alle Geistlichen hätten sich dem entziehen können. Den Rest habe die postkoloniale Politik erledigt:
    "Wahrscheinlich war unsere Kirche nicht dafür bereit, die Märtyrer-Rolle einzunehmen. Die Kirche musste sich entscheiden: entweder sterben oder sprechen. Die Machthaber erkannten dieses Dilemma und haben es für sich ausgenutzt."
    Außerdem habe sich die katholische Kirche bei einer Synode im Jahr 2000 entschuldigt.
    Fotografien von Opfern des Völkermordes in einer Gedenkstätte in Ruandas Hauptstadt Kigali
    Fotografien von Opfern des Völkermordes in Ruanda (picture-alliance/ dpa / Wolfgang Langenstrassen)
    In einem Hotelrestaurant in Kigali hat Tom Ndahiro sein mobiles Büro aufgebaut. Er ist einer der bekanntesten Genozidforscher in Ruanda. Auch er unterstreicht die Verfehlungen der katholischen Kirche, kennt aber auch Ausnahmen:
    "Es gibt den Fall von Kayonza. Der katholische Priester dort hat sich vor die Mörder gestellt und ihnen gesagt, dass sie die Menschen in seiner Kirche nicht töten können, bevor sie ihn getötet haben. Sie haben ihn getötet. Aber er hat Courage gezeigt."
    Courage bewies auch Celestine Hakizimana. Die Geschichte des Priesters ist eine der wenigen positiven Beispiele für das Verhalten der katholischen Kirche im Genozid in Ruanda. Die Kirchengemeinde Saint Paul mitten in Kigali. Hier gibt es eine Fortbildungseinrichtung für Priester, eine Kirche und ein einfaches Gästehaus. 1994 hat der junge Priester Celestine hier bis zu 1500 Menschen das Leben gerettet. Auch Joseph Bitega gehörte dazu. Er besucht das Zimmer, in dem er sich damals versteckt hatte.
    "Hier ist Nummer 37. Hier hat mich Vater Celestine versteckt, als ich angekommen bin. In den Zimmern waren überall Flüchtlinge untergebracht."
    Mehr als zwei Monate hat Celestine, selber ein Hutu, die Flüchtlinge – überwiegend Tutsi - beschützt. Immer wieder stand er den unberechenbaren Milzen gegenüber. Heute erzählt er, dass er sich selber nicht sicher war, wie seine Aktion ausgehen würde:
    "Wenn die Interahamwe Saint Paul angegriffen haben, war das eine Attacke, gegen die wir uns nicht wehren konnten. Wir hatten nur die Macht der Moral und des Gebets auf unserer Seite."
    Oft habe er die Milizen mit Geld, Alkohol oder anderen Geschenken bestochen.
    Ein Priester vergewaltigt Frauen und selektiert Todeskandidaten
    100 Meter neben Saint Paul liegt die Kirche Sainte Famille. 20.000 Menschen flüchteten sich 1994 hierher. Doch der damalige Priester Wenceslas Munyeshaka verschleppte viele Frauen in ein nahes Hotel, um sie dort zu vergewaltigen. Drängten zu viele Flüchtlinge in die Kirche, wählte der Priester die aus, die erschossen werden und anschließend in Massengräbern verscharrt werden sollten Auch Nyiringondo war darunter.
    "Wir wurden in Autos gebracht und sollten zur Hinrichtungsstätte gefahren werden. Aber auf dem Weg dahin konnte ich entkommen. Ich rannte weg und sie haben auf mich geschossen. Aber ich hatte Glück und wurde nicht getroffen."
    Munyeshaka trug Gewehr und Pistole. Er zeigte sich gerne mit den Milizen und bedrohte die Flüchtlinge immer wieder. Bis heute lebt er unbehelligt in Frankreich. Die katholische Kirche in Ruanda aber fühlt sich dafür nicht verantwortlich. Es handle sich um Verbrechen von Individuen und nicht um Taten der Institution. Das gelte auch für den Fall des Priesters von Sainte Famille, sagt Bischof Mbunyintege.
    "Wenn Wenceslas, der in den Genozid verwickelt war und der noch nicht verurteilt wurde, in Frankreich lebt, dann ist das die Sache von Frankreich. Da er nicht in unseren Diözesen arbeitet, warten wir darauf, dass er verurteilt wird."