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Völkermord vor 100 Jahren
Herero und Nama verklagen Deutschland

Vertreter der Herero- und Nama-Völker in Namibia fordern von Deutschland Schadensersatz für den Völkermord vor mehr als hundert Jahren. Deshalb haben sie die Bundesrepublik verklagt. Die Anerkennung der deutschen Schuld könne nur ein erster Schritt sein, sagen die Nachfahren der Opfer. Eine Entschuldigung ohne Entschädigung wollen sie nicht aktzeptieren.

Von Georg Schwarte | 06.01.2017
    Stammesoberhaupt Chief Vekuii Rukoro (M, rote Uniform) und andere örtliche Stammesältere stehen auf dem Hügel, von dem aus der damalige deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha den Schießbefehl gab, der den Beginn des Völkermordes an den Herero markierte.
    Gedenken an Völkermord in Namibia: Stammesoberhaupt Chief Vekuii Rukoro (M, rote Uniform) und andere örtliche Stammesältere stehen auf dem Hügel, von dem aus der der Schießbefehl für den Genozid gegeben wurde (picture alliance / dpa / Jürgen Bätz)
    Die Opfer: verdurstet, vergewaltigt, im Kampf getötet. Ausgehungert und in Konzentrationslager gepfercht. Von den deutschen Kolonialherren um Land, Vieh, Stolz und Ehre beraubt. Der Tatort: Deutsch-Südwestafrika. Die einstige deutsche Kolonie – das heutige Namibia. Die Täter: deutsche Siedler, deutsches Militär. Das Deutsche Reich.
    Der Anwalt der jetzt in New York klagenden Volksstämme der Herero und Nama Kenneth McCallion spricht von Völkermord: "Obwohl es Jahrzehnte vor dem Holocaust passierte, ist das der erste Völkermord, den Deutschland unseliger Weise als dunklen Fleck auf seiner Seele trägt."
    Zwei Klagen scheiterten
    Jahrelang hatten die Nachfahren der Opfer der beiden Volksgruppen der Herero und Nama an Deutschland appelliert: Gesteht nicht nur deutsche Schuld ein, sondern leistet auch Entschädigung an die Angehörigen der Opfer. Eine Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof scheiterte bereits 1999 mangels Antragsberechtigung.
    Eine weitere Klage vor einem Gericht in Washington DC mit einer Forderung von zwei Milliarden Dollar Entschädigung wurde ebenfalls abgewiesen. Und dennoch sagen die Opfervertreter: "Eine Entschuldigung ohne Entschädigung? Wenn das die Haltung der Bundesregierung ist, dann appellieren wir an den Bundestag, diese Haltung der deutschen Regierung abzulehnen", so Vekuii Rukoro, einer der Klageführer der heute vor einem New Yorker Bundesgericht eingereichten Sammelklage.
    "Holocaustopfer wurden entschädigt - anders als die Herero und Nama"
    Auch wenn der Begriff des Völkermords erst 1948 definiert wurde, sei das, was damals zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika passierte, eben das: ein Völkermord, sagt der Klägeranwalt McCallion. Anders als die Herero und Nama aber seien beispielsweise Holocaustopfer entschädigt worden: "Die Entschädigung für Völkermord begangen durch Deutsche ist nicht komplett, wenn das nicht auch im Fall der Herero und Nama passiert."
    Deutschland aber verhandelt derzeit mit der namibischen Regierung über einen Strukturfonds für das Land, erkennt seine Schuld zwar an, weigert sich aber Entschädigungen zu zahlen. Zudem, so die Kläger in ihrer Klageschrift, die dem ARD-Studio New York vorliegt, seien die beiden Volksgruppen nicht an den derzeit laufenden Verhandlungen beteiligt. Ein Verstoß gegen eine UN-Erklärung, die seit 2007 die Rechte indigener Volksgruppen regelt, sagen die Kläger: "Anerkennung der deutschen Schuld ist ein wichtiger erster Schritt, aber die Beteiligung der indigenen Gruppen an den Verhandlungen und eine Entschädigung sind die Schritte, die jetzt fehlen."
    Der Opferanwalt McCallion hofft, dass der Richter, der noch benannt werden muss, das Verfahren in New York bereits in wenigen Wochen oder Monaten eröffnen könnte. Einer der beiden Klageführer, der Herero Rukoro, sagt, bliebe es bei der deutschen Haltung, Entschuldigung ohne Entschädigung, sei das eine ungeheure Beleidigung nicht nur der Intelligenz aller Namibier, aller Afrikaner, aller Opfer, sondern der auch gesamten Menschheit.