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Völkerschlacht mit Vorgeplänkel

In seinem Buch über die Völkerschlacht widmet sich der FAZ-Journalist Andreas Platthaus ausführlich den politischen Gegebenheiten und porträtiert die Protagonisten, die für dieses Blutvergießen verantwortlich waren. Anschließend zeichnet er ein detailreiches Bild des Elends.

Von Paul Stänner | 14.10.2013
    "Der Keim zum Wiederaufstieg Frankreichs wurde in der Stunde von Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht gepflanzt."

    Dieser Satz von Andreas Platthaus kommt im letzten Viertel seines Buches. Die Schlachten um Leipzig sind geschlagen, die Stadt ist ein einziges riesiges Lazarett und Totenhaus, die Dörfer rundum abgebrannt, die Bevölkerung leidet Hunger und Not. Und dann das - das Ende der Schlacht bedeutet das Wiedererstarken des geschlagenen, bislang größten europäischen Players. Alles umsonst? Wir stehen im Gedenkjahr der Schlacht um Leipzig. Vor zweihundert Jahren rückte eine europäische Koalition aus Russland, Österreich, Preußen und einigen kleineren Verbündeten auf Leipzig zu, um den als unbesiegbar geltenden Napoleon, den der Militärtheoretiker Clausewitz einen "Kriegsgott" genannt hatte, zu stellen. Die Kampagnen in Ägypten und letzthin Russland waren ihm missglückt, Russland 1812 sogar dramatisch missglückt, aber Napoleon hatte wieder eine Armee mobilisieren können und war noch immer das Genie unter den europäischen Feldherren.

    "Beide Seiten waren mittlerweile seit Wochen im grässlichen Herbstregen unterwegs und sehnten die Entscheidungsschlacht herbei."

    Schreibt Andreas Platthaus in seiner groß angelegten Schilderung der 1813er Ereignisse. Natürlich steht im Mittelpunkt des Buches die Schlacht:

    "Murat hatte seine Infanterie westlich von Liebertwolkwitz auf die beiden Ortschaften Merkkleeberg und Wachau verteilt. Murats fünfundvierzigtausend Mann hatte am Morgen des 14. Oktober nur eine Vorhut dieses Heeres gegenübergestanden, die aus insgesamt vierzigtausend Russen, Preußen und Österreichern bestand und vom russischen Generalleutnant Sayn-Wittgenstein befehligt wurde. An der Vehemenz der französischen Gegenangriffe konnten die Alliierten dann tatsächlich erkennen, dass für die Franzosen die Zeit der taktischen Rückzüge vorbei war und sie Leipzig um jeden Preis verteidigen wollten."

    Die Völkerschlacht bei Leipzig war ein moderner Krieg in dem Sinne, dass die regierenden Monarchen nicht selbst die Heere führten - ausgenommen der unersetzliche Napoleon - sondern die operativen Geschäfte den professionellen Spezialisten überließen. Eine konventionelle Schlachtbeschreibung hätte die Heerführer in den Vordergrund gestellt, aber Platthaus hat erkennbar wenig Interesse an ihnen.

    Stattdessen schildert er ausführlich das historisch-politische Vorfeld der Leipziger Schlacht - den ewig zaudernden preußischen König Friedrich Wilhelm III., der regelrecht zum Jagen getragen werden musste, den russischen Zaren Alexander I., der immer Mühe hatte, sein Ungestüm im Zaum zu halten und Franz I. von Österreich, der sinnigerweise schon einmal als Franz II. deutscher Kaiser gewesen war, bevor die Ereignisse ihn zurückgestuft hatten.

    Ihnen widmet Platthaus ausführliche Biografien und Charakterzeichnungen, die erkennbar machen, von welchen persönlichen und politischen Motiven das Handeln der Koalitionäre bestimmt war. Die Geschichte dieser Vorfeldgeplänkel zeigt sich als eine Abfolge von geschlossenen und gebrochenen Verträgen, von sich wandelnden Absichten und taktischen Bewegungen. Randfiguren der großen Schlacht, die bis zum Ersten Weltkrieg die verlustreichste der europäischen Geschichte war, rückt Platthaus in den Mittelpunkt - jenen Buchhändler Friedrich Arnold Brockhaus zum Beispiel, der in den Tagen der Schlacht ein offiziöses Nachrichtenbüro unterhielt, Erstaunliches leistete und damit die Grundlage legte für sein späteres Lexikon-Imperium.

    Eine kleine, von der Geschichtsschreibung kaum beachtete englische Einheit, die sogenannten "Rocketeers", wird ausführlich dargestellt, weil sie mit Raketen, die zum direkten Beschuss des Feindes eingesetzt wurden, eine neue Waffe auf das Schlachtfeld gebracht hatte. Johann Wolfgang Goethe als gewandelter Napoleon-Bewunderer ist ebenfalls Thema.

    Andreas Platthaus ist kein Schlachtenmaler. Ihn interessiert die Psychologie der Handelnden, vom König bis zum Verleger. Breiter als die Helden- und Verzweiflungstaten auf beiden Seiten schildert er das Elend der Zivilbevölkerung und die Schrecken in den Lazaretten und der Stadt selbst: Was muss das für eine Situation gewesen sein, wenn Gräber geplündert wurden, um mit den Särgen Feuer unterhalten zu können, die die Verwundeten wärmen sollten! Das Buch liest sich wie ein Schmöker. Man sollte sich Zeit nehmen und in Ruhe lesen. Wer nicht speziell militärhistorisch interessiert ist, wird sich nicht die Mühe machen, jede einzelne Gefechtsbewegung nachzuvollziehen, zumal das Buch unter dem Problem leidet, dass es keine Karten hat, aus denen sich die Stellungen und Bewegungen der militärischen Formationen erkennen ließen. Auch die bildhaften Beschreibungen von Andreas Platthaus reichen nicht aus, das Geschehen im Detail zu erfassen.

    Der "Schlachtenbummler" heißt das letzte Kapitel, in dem Platthaus, der in Frankfurt und Leipzig lebt, vier Tage im Oktober des vergangenen Jahres schildert, an denen er über die ehemaligen Schlachtfelder gezogen ist und versuchte, die Spuren entweder der Schlacht oder des Gedenkens an sie zu finden. Und es zeigt sich, das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.

    Andreas Platthaus: 1813. Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt.
    Rowohlt Berlin, 480 Seiten, 24,95 Euro.