Von den 1,4 Millionen Jägern in Frankreich macht nur jeder vierte Jagd auf Enten und Zugvögel, aber diese Jäger sind am radikalsten. Eine ihrer Hochburgen ist die Bucht der Somme südwestlich von Boulogne am Ärmelkanal. In der fünf Kilometer breiten Bucht weicht das Wasser bei Ebbe 14 Kilometer zurück. 2600 Jäger sind in der Bucht selbst oder in den umliegenden Feuchtgebieten registriert, die Jagd ist hier nicht nur seit 200 Jahren ein Volkssport der ansässigen Fischer, sondern seit der Nachkriegszeit auch ein Tourismuszweig, denn viele Jäger reisen aus anderen Landstrichen Frankreichs an, und das unabhängig von den üblichen Ferienterminen. In der Bucht bauen sich die Jäger so genannte schwimmende Hütten. Diese sind mit Ketten im Grund befestigt und steigen mit der Flut an die Wasseroberfläche. Die Männer verbringen dort viele Nächte und schießen auf Pfeif- und Stockenten, auf Graugänse, aber auch auf einige Arten von Wattvögeln. Von den gejagten Arten untersteht eine sogar der strengsten europäischen Schutzkategorie, das ist der Kampfläufer. Andere gehörten auch besser geschützt, meint der ortsansässige Ornithologe Philippe Caruette:
Man muss die Bestände europaweit betrachten. Und da stellen wir fest, dass es Arten gibt, die gegenwärtig seltener werden. Das ist der Fall – in der Phase des Nestbaus - bei der Knäkente, bei der Uferschnepfe und beim Kiebitz, und zwar bedingt durch die veränderten landwirtschaftlichen Arbeitsmethoden .
Eine Million Kiebitze werden jährlich in Frankreich getötet, in anderen Ländern dürfen sie fast gar nicht mehr gejagt werden. Skandinavische Länder geben viel Geld aus, um gute Nistbedingungen für Pfeifenten zu schaffen, in Frankreich werden sie abgeschossen. Die Jäger in der Somme-Bucht verteidigen die Jagd mit Vehemenz, für sie ist sie ein kulturelles Erbe, ja fast eine Lebensart und kein Privatvergnügen. Sie führen ein Argument an, das auch Patrick Triplet, der Direktor des Naturreservats Somme-Bucht, gelten lässt:
Aber man darf vor allem nicht vergessen, dass die Jäger auch einen Beitrag leisten, um die Feuchtgebiete rings um die Bucht zu erhalten, die für eine Reihe von Vögeln ganz wichtig sind.
Denn in der Vergangenheit haben die Jäger auch verhindert, dass ein Gezeitenkraftwerk und große Hotelkomplexe in ihrem Naturparadies gebaut wurden. Die nun erst einmal auf unbestimmte Zeit hinausgeschobene Jagdsaison macht dem Ornithologen Philippe Caruette allerdings große Sorgen. Ein schlechter Termin sei immer noch besser als gar keiner, meint Caruette. Er fürchtet nämlich, dass viele Jäger sich jetzt nicht mehr von ihrem Hobby abhalten lassen und ahnungslos tun, wenn sie bei der Jagd erwischt werden.