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Vogelzug-Drehscheibe in Mitteleuropa

Fast doppelt so groß wie das Saarland ist der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Am 1. Oktober vor 20 Jahren wurde der erste Wattenmeernationalpark auf deutschem Boden gegründet. Mittlerweile haben sich die Nutzer des Wattenmeers - wo wie etwa 12 Millionen Zugvögel - einen ihrer wichtigsten Lebensräume zurückerobert.

Von Annette Eversberg |
    Das Wattenmeer ist kein Ort der Ruhe. Seit es den Nationalpark gibt, haben sich die Nutzer des Wattenmeers, wie etwa die 12 Millionen Zugvögel einen ihrer wichtigsten Lebensräume zurückerobert, weiß Bernd Hälterlein, Vorsitzender der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft für Schleswig-Holstein und Hamburg:

    "Der Nationalpark ist wirklich die Drehscheibe des Vogelzuges in Mitteleuropa. Es gibt einen weiten Einzugsbereich von Brutvögeln, die in der Arktis brüten, von Grönland, Kanada bis nach Sibirien und weiterziehen in die Überwinterungsgebiete in Südwesteuropa und in Afrika. Und um die langen Zugwege zu bewältigen, sind sie auf die Drehscheibe angewiesen, um hier zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst zu rasten, und ihre Energiereserven, ihr Depotfett durch Fressen, Fressen, Fressen, aufzufüllen und dann die nächste Etappe in Angriff nehmen zu können."

    Auch die Seehunde können heute in Ruhe ihre Jungen aufziehen. Dr. Thomas Borchardt vom Nationalparkamt in Tönning:
    "Früher gab es ganz typische Krankheiten. Die Tiere mussten ursprünglich annehmen, dass auf jedem Boot ein Jäger sitzt. Bei Bootsannährung sind die grundsätzlich sehr frühzeitig zu Wasser gegangen. Die Jungtiere mussten dann über den Sand robben. Und wenn der Nabel nicht richtig verheilt war, dann gab es oft Infektionen, auch richtige Bauchfellentzündungen, die dann zum Tode führen konnten. Die Sterblichkeit lag bei 60 bis 65 Prozent und durch die Beruhigung im Nationalpark ist die Sterblichkeitsrate bei den Jungtieren zurückgegangen auf 30 Prozent."

    Das alles gehört für den World Wide Fund for Nature, der seit 1985 mit einem Büro in Husum vertreten ist, zur Habenseite des Nationalparks. Dr. Hans-Ulrich Roesner, Leiter des WWF-Büros zählt noch andere Positivpunkte auf:

    "Ein Fortschritt ist aber auch, dass die Herzmuschelfischerei, die den Boden sehr stark zerstört, verboten wurde. Ein Fortschritt ist auch, dass die Salzwiesen heute wieder in Blüte stehen. Und am Anfang des Nationalparks sah das alles aus wie ein Golfrasen voller Schafkot."

    Selbst die Erdölförderung auf einer künstlichen Bohrinsel im Wattenmeer ist den ökologischen Anforderungen des Nationalparks angepasst worden. Harald Graeser vom Betreiberkonsortium DEA Wintershall:

    "Wir haben in laufenden wissenschaftlichen Begleituntersuchungen seit Ende der 80er Jahre das Projekt untersuchen lassen und haben insgesamt festgestellt, dass die Auswirkungen sich nur auf den Inselbau beziehen. Dass nachhaltige negative Entwicklungen nicht festzustellen sind."

    Das wird vom schleswig-holsteinischen Nationalparkamt bestätigt. Dennoch ist der WWF mit der Erdölförderung im Wattenmeer nicht glücklich, weil sie zu den Defiziten gehöre, die die Nationalparkentwicklung im Sinne der international gültigen Kriterien noch immer hemmen:

    "Das Wichtigste ist, dass der Nationalpark noch kein echter Nationalpark ist. Er ist ein Entwicklungsnationalpark. Und das ist er deshalb, weil er auf seinem größten Teil der Fläche immer noch befischt wird. Nationalparke, so versteht man sie weltweit, bei den etwa 4000 Nationalparken, die es auf der Welt gibt, sind einfach Gebiete, wo Natur sich ursprünglich entwickeln können soll. Und da geht es nicht, dass ein Nationalpark auf dem größten Teil der Fläche noch befischt wird."

    Die Begründung von Kritikern, dass Nationalparke in Europa nicht so umzusetzen sind, wie etwa in Afrika, lässt Hans-Ulrich Roesner nicht gelten. Denn in Afrika sei es wegen der Not der Menschen viel schwerer, ein Gebiet auszuweisen, dass nur den Tieren und Pflanzen vorbehalten ist:

    "Wir sind ein reiches Land. Auch wenn das von der Tagespolitik nicht von jedem gesagt wird. Aber wir müssen uns das im weltweiten Vergleich anschauen. Wir können es uns natürlich leisten, unsere ein bis zwei Prozent der Landesfläche auch ungestört liegen zu lassen. Wir vom WWF können gut damit leben, dass das es eine Zeit lang dauert, dass man für die Entwicklung eines echten Nationalparks auch Zeit braucht. Deswegen wollen wir Lösungen auch gemeinsam mit der Fischerei erarbeiten. Und ich hoffe, dass das in den kommenden Jahren auch gelingen wird."