Oder ist Ihnen mehr nach Bach zumute, einem tröstenden Choralsatz vielleicht, vorgetragen vom sechsköpfigen Calmus Ensemble, das weitgehend aus ehemaligen Mitgliedern des Leipziger Thomanerchores besteht und hier u.a. singt: "Gott kann besser, als wir denken, alle Not zum Besten lenken. Seele, so gedenke doch: lebt doch unser Herr Gott noch."
Johann Sebastian Bach - Choralsatz "Gott lebet noch!" Calmus Ensemble Querstand (LC 03722) VKJK 0204
Auf derselben CD des Labels Querstand gibt es noch eine Fassung vom Spiritual "Joshua fit the battle of Jericho", doch das erspare ich Ihnen schon deshalb, weil das Arrangement ausgesprochen langweilig ist...Aber vielleicht gehören Sie ja auch zu denen, die im Falle des verbrecherischen Regimes in Bagdad das Völkerrecht nicht buchstabengenau auslegen und den Einsatz Amerikas für Freiheit und Demokratie stärker gewürdigt sehen wollen. Dann könnte vielleicht eine Trauermusik Telemanns Ihre Stimmungslage besser treffen, die dieser damals in Hamburg lebende Komponist 1733 auf den Tod des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August des Starken verfasste: Eine groß besetzte, musikalisch aufwendige "Serenata eroica", bei der allegorische Figuren wie "Majestät", "Tapferkeit", "Weisheit" und "Großmut" die nämlichen Qualitäten des Dahingeschiedenen preisen. Aufgenommen wurde das insgesamt anderthalbstündige Werk 1997 vom WDR bei den Festlichen Tagen Alter Musik in Knechtsteden, veröffentlicht in CD-Form von der Firma Capriccio aber erst in 2002. Begleitet vom Orchester "Das Kleine Konzert" unter Leitung von Hermann Max singt Bassist Ekkehard Abele da: "Die Macht zum Gebieten und Schrecken besitzen, und sie doch nur zum Wohltun nützen, das ist ein königlicher Ruhm."
Georg Philipp Telemann - ’Die Macht zum Gebieten...’ aus der Arie der "Großmut" aus: "Serenata eroica" Ekkehard Abele, Bass Das Kleine Konzert Leitung: Hermann Max Capriccio (LC 08748) CD 67 004/5
Klar, Schrecken und Kriege haben auch in früheren Zeiten nicht zur Einstellung jeglicher künstlerischen Aktivität geführt. Heinrich Schütz zum Beispiel hat trotz Pest und 30jährigem Krieg in einem vergleichsweise langen Leben viele hundert Werke geschrieben. Aber die Haltung zu Leben und Tod war damals demütiger als heute, keiner schwang sich zu Sätzen auf wie "Alles ist machbar". Vielmehr besangen die Dichter in vielen Varianten die Vergänglichkeit des Lebens und die Eitelkeit irdischen Trachtens. So wie Matthias Claudius: "Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit". Aus diesem Text hat Max Reger eine 8-stimmige Motette gemacht. Auf einer CD der Firma Rondeau gelingt dem Windsbacher Knabenchor unter Leitung von Karl-Friedrich Beringer diese bewundernswert intensive Interpretation:
Max Reger - aus: Motette "Der Mensch lebt und bestehet" op. 138 (nur 1. Teil) Windsbacher Knabenchor Leitung: Karl-Friedrich Beringer Rondeau (LC 06690) ROP2016
Schallplatten-Neuerscheinungen mit Vokalmusik im Zeichen des Krieges - beim Nachdenken, mit welcher Musik ich da Ihre sonntägliche Stimmungslage am besten treffen könnte, fällt mir eine schon etwas ältere Produktion aus dem Hause Christophorus ein, die ganz alte Vokalmusik bietet, aus einer Zeit, wo zum Kriegsaufbruch offenbar auch noch gesungen wurde. Mit dem Ruf "Gott will es" zogen sie los, die Ritter, um das Heilige Grab, um Jerusalem zurückzuerobern. Thibaut der Vierte, König von Navarra, war sich im Jahre 1235 ganz sicher: "Ihr Herren, wißt, dass alle, die sich jetzt nicht aufmachen,...wohl kaum ins Paradies eingehen werden."
Thibaut IV - aus: "Seigneurs, sachiez..." Ensemble Estampie Christophorus (LC 0612) CHR 77183
Vielleicht sollte ich mich auch an Musiker halten, die den west-östlichen Dialog seit langem aufrechterhalten, musikalisch zumindest. Vladimir Ivanoff ist so einer. Mit seinem Ensemble "Sarband" geht er auf die Reise in den "Orient Imaginaire" oder zu historischer Weltmusik. Stehen heute meist die religiösen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Differenzen zwischen Orient und Okzident im Vordergrund, so will Sarband zeigen, dass die Musik nicht nur Dekor, sondern weltoffenes Medium gegenseitigen Respektes war und auch heute noch sein könnte. Eine von Ivanoffs zahlreichen CDs stellt geistliche Musik aus Syrien und dem heutigen Libanon oder byzantinische Kirchenmusik den Gesängen der Hildegard von Bingen oder dem Codex Las Huelgas aus Nordspanien gegenüber - Musik, die übrigens allesamt von Frauen geschaffen wurde. Und da kann dann eine Karfreitagsliturgie auch einmal so klingen:
Mündl. Tradition - arabo-byzantinisch - "Alyâwm" Ensemble Sarband, Leitung: Vladimir Ivanoff Jaro (LC 8648) Jaro 4210-2
A propos Karfreitagsliturgie - auch Passionsvertonungen kommen einem natürlich in den Sinn, zumal seit Aschermittwoch die Fasten- oder Passionszeit begonnen hat. Die Darstellung des Leidens Christi mit dichterischen und musikalischen Mitteln hat in der abendländischen Musikgeschichte einen prominenten Platz. Als unangefochtener Höhepunkt gilt heute die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. Das war nicht immer so: Lange Zeit war ein anderes, späteres Passionswerk in Deutschland weitaus populärer: Das Oratorium "Der Tod Jesu" von Carl Heinrich Graun. Seit seiner Uraufführung 1755 in der Königlichen Oper in Berlin wurde es weit über hundert Jahre lang bis 1884 an jedem Karfreitag erneut aufgeführt. Der RIAS-Kammerchor hat das Werk unter Leitung seines damaligen Chefs Uwe Gronostay 1981 für sich wiederentdeckt; Koch Classics veröffentlicht die fast schon hochromantische Interpretation jetzt auf CD - hier der Chor "Sein Odem ist schwach" aus dem ersten Teil.
Carl Heinrich Graun - Chor: 'Sein Odem ist schwach’ aus: "Der Tod Jesu" RIAS Kammerchor RIAS Sinfonietta Leitung: Uwe Gronostay Koch Classics (LC 10015) 3-6771-2
Die Neue Platte. Heute, im Zeichen des Irak-Krieges, aus dem Stapel der Neuerscheinungen etwas auszusuchen und Ihnen zu empfehlen, fiel nicht leicht. Doch vielleicht war es einen Versuch wert.